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Peters Lebensart

Was Fischköppe so futtern ...

Peters Lebensart - Was Fischköppe so futtern ...Fotostrecke: Hamburger Kulinarik
Für mehr Hamburger Kulinarik bitte Bild klicken. © Susanne Krieg / hamburg-companion.com/de

... bei Muttern und unterwegs: Das Angebot reicht von norddeutscher Küchenklassik bis hin zu authentischer Gastronomie aus aller Welt.

Peter Peter01.09.2018

Der schneeweiße gewirkte Damast auf dem runden Tische war ... bedeckt mit goldgerändertem und so durchsichtigem Porzellan, daß es hier und da wie Perlmutter schimmerte. Eine Teemaschine summte. In einem dünnsilbernen, flachen Brotkorb ... lagen Rundstücke und Schnitten von Milchgebäck. Unter einer Kristallglocke türmten sich kleine, geriefelte Butterkugeln, unter einer anderen waren verschiedene Arten von Käse, gelber, grünmarmorierter und weißer sichtbar. Es fehlte nicht an einer Flasche Rotwein, welche vor dem Hausherrn stand, denn Herr Grünlich frühstückte warm, verspeiste nach englischer Sitte ein leichtgebratenes Kotelett.“  Mit dieser Skizze eines Hamburger Kaufmannsfrühstücks spielte Thomas Mann auf den kulinarischen Ruf der Elbmetropole an. Denn den „Pfeffersäcken“ war der seltene Spagat gelungen, sich als zutiefst protestantische Feinschmecker zu profilieren, auch wenn in der Jakobi-Kirche das makabre Gemälde vom „ryken slömer“ noch heute die Gourmets warnt. Hamburgs piekfeine Austernkeller waren ebenso Legende wie die von Heinrich Heine gepriesene Rauchfleischküche. Der Pariser Dichter Alexandre ­Dumas nahm in sein Lexikon der Kochkunst eine einzige Speise aus deutschen Landen auf: „ambourgéoise“, die süßsaure Aalsuppe, in deren Schinkenknochenbrühe nach Originalrezept Mehlklößchen, Backpflaumen, Birnen, Him- und Johannisbeeren vom Alten Land und vielleicht auch Aalstückchen schwimmen – vielleicht war aber auch einfach „ools“ drin, nur eben kein Aal.

Wer heute diesen großbürgerlichen Hanseatenprunk in der Gastronomie sucht, wird – sofern er nicht zu den Erwählten zählt, die zum seit 1356 zelebrierten Matthiae-Mahl ins Rathaus geladen werden – am ehesten fündig, wenn er das rot gelackte Treppenhaus des Fischereihafenrestaurants erklimmt. Im gediegen nautischen Ambiente leuchten Schiffsbilder und ziemlich viele Fotos von Promis und Ex-Promis. „Best turbot I ever had“, konstatierte Sean Connery. Gilt noch immer: die angelfrische schneeweiße Steinbuttschnitte mit fein geschnittenem Wurzelwerk, gebutterten Heidepetersilkartoffeln und Sahnemeerettich kratzt preislich an die 50-Euro-Marke, ein purer Genuss, den man nicht bereut. Schlicht, edel, maritim: große deutsche Küchenklassik!

Schillerlockenbrötchen, Pannfisch mit Senfsauce und Bratkartoffeln, Hummersuppe unprätentiös im Strandkorb auf der Hafenterrasse von Hummer Pedersen  oder Sushi und Sashimi in Tokio-Qualität vom TV-Koch Steffen Henssler: Das Fischereihafenquartier stand Pate für einen Trend, der zum Wahrzeichen Hamburger Gastronomie geworden ist. Ran an die Markthallen, rein in die Markthallen, und das nicht nur sonntags um fünf Uhr früh beim Aalfrühstück im ­Fischmarkt von Sankt Pauli. Eine solche Location, die die ganze Republik bestaunt, ist Tim Mälzers Bullerei. In einer riesigen Klinkerhalle des Schlachthofs serviert der Lokalmatador, was Carnivore-Hipster schätzen: Dry Aged Beef, Innereien und ein wiederentdeckter Klassiker wie geschmorte Kalbswade mit Erbspuree. Auf dem Isemarkt im lässigen Eppendorf lässt sich diese junge Kochgeneration regional inspirieren: Gemüsekisten, in denen grüne Kochbirnen gemeinsam mit grünen Bohnen auf Speck warten, gelbe Kirschen, weiße  Johannisbeeren, Heidschnuckenrillette mit Sanddornmark, Papenstücke vom Holsteiner Katenschinken, sensationellerweise tatsächlich noch an der Waterkant gepulte Busümer Krabben. 

Gleich hinter dem Ozean scheint auch die „ausländische Küche“ selbstbewusster, authentischer aufzutreten, lieber Kante und Profil zu zeigen, als sich dem vermeintlichen deutschen Einheitsgeschmack anzupassen. Syrer wie das elegante Saliba unter den Alsterarkaden oder der Imbiss Salibaba propagieren mit ihren Mazza-Variationen eine arabische Hochküche auf Augenhöhe mit deutscher Spitzengastronomie. Das 1964 gegründete Dim Sum-Haus am Bahnhof köchelt für chinesische Politprominenz kantonesische Schweinebauchschmortöpfe und ganze Edelfische, das Daruma gleicht einer Izakaya-Garküche in Kyoto, und das Portugiesenviertel evoziert Straßenleben in Lisboa. Kulinarische Integrationsgeschichte schrieb die Künstlertrattoria Cuneo nahe der Reeperbahn, in der sich angeblich linksintellektuelle Redakteure genauso pudelwohl fühlen wie Wirtschaftsbosse. Der Familienbetrieb wurde 1905 als Kantine für italienische Gastarbeiter eröffnet, die damals den Alten Elbtunnel buddelten. Wenig bekannt ist, dass Hamburg auch eine Pionierin der Kaffeehauskultur war: Bereits 1677 wurde – noch vor Wien – der Türkentrank ausgeschenkt. Heute hat der Gast verschiedene Optionen, um stilvoll Kaffee zu schlürfen. Das 2000 in einer ehemaligen Schlachterei beim Rathaus eröffnete ­Café Paris würde mit seinen Kacheln und kecken Kuppelmalereien auch an der Seine reüssieren. Das Katelbach in Altona kann mit Spätjugendstilinterieur und einem selbst gebrannten Espresso von neapolitanischer Qualität aufwarten. In der mit rötlichem Marmor verkleideten Halle des Hotels Atlantic gibt’s Pianoklänge zum Koffein. Zu Kaisers Zeiten zauberte hier Franz Pfordte, der erste Starkoch Deutschlands, eine mit Portwein und Sherry abgeschmeckte Luxus-Aalsuppe.

Heute schätzt es die Sternegastronomie intimer: Am für Monate ausreservierten Drei­sterne-Edeltresen von Kevin Fehlings „The ­Table“ im Elbtorquartier haben gerade mal 20 Gäste Platz.

Es geht auch anders. Im Opitz am Mundsburger Damm kommt dorfkrugartige Gemütlichkeit auf, wenn die Chefin wieder um die Ecke biegt und ein Tablett mit frisch gezapftem Jever, in Butter gebratenen grünen Heringen oder der berühmten Roten Grütze balanciert – der kleine Gastgarten ist nur über eine Lindenalle erreichbar.

Solche auf reelles Kochhandwerk setzende Althamburger Refugien werden selten. Trotzdem, wer kulinarisches Lokalkolorit schätzt, muss nicht unbedingt in verrauchte HSV- oder FC-Sankt-Pauli-Kneipen pilgern, wo zu Fischfrikadellen eher Astra-Pils als Alsterwasser und Helbing-Kümmel fließt. Eine junge Generation interpretiert das Heimatgefühl frischer, produktbewusster. Hamburg auf der Zunge, das ist auch, ein erfrischendes Gurken-Gelato in der wohltuend minimalistischen Manufaktur Eis & Innig in Eppendorf zu schlecken oder in der hippen Kaffeerösterei Balz und Balz nach der Stulle mit Rohmilch-Deichkäse in ein nach Zimt duftendes Franzbrötchen zu beißen.

Die Slow-Food-Szene drängt sich gern an den Bierbänken, die vor dem schief gezogenen Backsteinhäuschen der Oberhafenkantine stehen, die einst von Tim Mälzers Mutter geführt wurde. In diesem denkmalgeschützten Kultort mitten im Niemandsland hat sich ein ehrgeiziges junges Team an die Rekonstruktion einer fast schon verschollenen Hamburger Regionalküche gemacht. Die corned-beef-rote Probierportion Labskaus,  getoppt mit Wachtelei und Mini-Rollmops, setzt ebenso Maßstäbe wie das Sauerfleisch mit Apfelschmand und Bratkartoffeln. Auch die vergessene Hamburger Weißwurst, die früher mit Kaviar verfeinert wurde, steht wieder auf der Karte. Dazu schlürft ein bunt gemischtes Publikum Elbler-Cider aus dem Alten Land, Fassbrause oder ganz im Sinne hanseatischer Zechgemeinschaft mildes Rostocker Mahn & Ohlerich-Bräu. Den Esshistoriker freut’s, dass auf der Karte auch „Hamburger Hamburger“ steht, munkelt man doch,  dass der Ahnherr aller Macs ein Hamburger Rundstück war, nach Matrosenart gefüllt mit zerzupftem Salzfleisch. Für den Erfolg sorgte, dass der Name für englische Ohren so verlockend nach leckerem Speck klang, auch wenn die Rinderzüchternation USA bald gehacktes Beef in das kreisrunde Brötchen gab. Heute muss der Hamburgerfan nicht mehr auf amerikanische Ketten zurückgreifen, sondern kann sich lokaler und individueller verköstigen. Meine Favoriten sind der Burger mit Syltgefühl in der sandigen Strandperle am Elbufer, der Supper Club an Isekai, wo man bei Irish Beef den Paddlern zusehen kann, oder die Terrasse des Hotels Fontenay an der Außenalster: Husumer Rind, Speck vom rätselhaften Livaschwein und Backensholzer Rohmilchkäse – gegen so gefüllte Hamburger Hamburger sehen die Hamburger der Neuen Welt doch ziemlich alt aus.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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