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Deckel gegen Polio

Eine Erfolgsstory aus dem Mülleimer

Dennis Kissel vom RC Herzogtum Lauenburg-Mölln sammelt für Rotary Plastikverschlüsse im großen Stil – und findet Partner ohne Ende.

Matthias Schütt01.11.2015

„Deckel gegen Polio“ zieht immer weitere Kreise. Jüngster Partner der Rotary-Kampagne, mit der Flaschendeckel aus Plastik an Recycling-Unternehmen verkauft werden, ist der RC Guben, und er entspricht genau dem Profil, das den Organisatoren vorschwebt: In der Grenzstadt zu Polen wurde nicht einfach eine Sammeltonne aufgestellt, sondern ein kleines lokales Netzwerk aufgezogen, mit 100 selbst hergestellten Behältern in Kitas, Schulen, Getränkemärkten und der Stadtverwaltung. Auch das Leeren der Eimer und die Zwischenlagerung der Deckel hat der Club in Eigenregie organisiert.

„So soll es sein“, freut sich Dennis Kissel, RC Herzogtum Lauenburg-Mölln. Er ist der Kopf eines kleinen Teams, das eine bundesweite Erfolgswelle ausgelöst hat. „Mit mir sind das die Rotarier Constanze Abendroth, Sandra Bührke, Heike Kissel und Lutz Olbrich. Wir machen das alle nebenbei und unter hohem Arbeitsdruck. Das ist wie ein zusätzlicher Halbtagsjob.“


eine Idee aus Portugal
Dabei lohnt sich die „rotarische Schnapsidee“. Gefunden hat er sie 2013 auf der Convention in Lissabon am Infostand des RC Sintra/Portugal, der aus dem Verkauf von Kunststoffverschlüssen Rollstühle anschafft. Weil einen der Beruf ja nie ganz loslässt, überschlug Kissel als Geschäftsführer der Abfallwirtschaft Südholstein GmbH mal eben, wie viele Deckel ihm in seiner täglichen Arbeit über den Weg rollen. Dabei wäre es aber auch geblieben, wenn er nicht kurz darauf mit einigen Rotaractern – inzwischen die oben erwähnten Rotarier – ins Gespräch gekommen wäre, die die Idee sofort unter dem „Hands on“-Aspekt prüften. „Und jetzt sitzen wir da mit einer Riesennachfrage“, lacht der Abfallexperte.

Zwei Faktoren versprechen ein gutes Geschäft: Zum einen bestehen Plastikdeckel aus Polyethylen und bringen 300 Euro und mehr pro Tonne. Zum anderen ist Sammeln ein Urtrieb des Menschen und lässt sich schon bei kleinen Kindern sofort aktivieren. Vor allem, wenn sie damit etwas Gutes tun können, zum Beispiel Impfungen gegen Kinderlähmung zu bezahlen. Das macht sich die Kampagne zunutze: 90 Prozent der Sammler, so Kissel, sind Kinder und Jugendliche. Und damit entfaltet das Projekt einen zweiten, gar nicht eingeplanten Effekt: Es ist eine große Imagekampagne für Rotary. Wie gut das klappt, hat Heike Kissel selbst erlebt. Ihr Kinderarzt fragte sie kürzlich, was das denn für eine Deckelaktion sei. Bei ihm säßen auf einmal Eltern in der Sprechstunde, um ihre Kinder impfen zu lassen, weil die ihnen von einer Krankheit namens Polio erzählt hätten … Eigentlich interessiert die Kissels eine andere medizinische Frage viel mehr: das Williams-Beuren-Syndrom, eine genetische Anomalie bei ihrem Sohn Simon (14). Es handelt sich dabei um eine geistig-körperliche Behinderung, die nur sehr wenige Kinder trifft, aber den Einsatz der ganzen Familie erfordert. Neben der intensiven Betreuung von Simon engagiert sich der Vater auch in der Behindertenarbeit. Kissel hat sich immer schon für soziale Ziele eingesetzt, als Jungsozialist, später im Kreistag, und jetzt eben als Vorsitzender der Lebenshilfe im Kreis Herzogtum Lauenburg.

Dinge nicht einfach akzeptieren, sondern verstehen und durchschauen wollen, und dann vielleicht ändern, das ist sein Antrieb. „Ich hätte auch Jura studieren können, so stark kann ich mich in Sachfragen verbeißen“, gibt er bereitwillig zu.

Hochemotionales Thema
Statt bei den Paragrafen landete er nach der Schule aber im Labor, als Student des Technischen Umweltschutzes. Und heute verwaltet er 200.000 Tonnen Müll im Jahr, den die Bewohner der Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg produzieren. Was er dabei ganz schnell lernen musste: Abfall ist ein hochemotionales Thema.

„Da geht’s mir nicht viel anders als Jogi Löw. Wenn die Nationalmannschaft spielt, hat er 80 Millionen Experten an seiner Seite. Ich habe auch nur mit Experten zu tun, die für alle Abfallfragen bessere Lösungen kennen. Bei Diskussionen geht es da schon mal hoch her.“ Sein Umgang mit Kritikern verrät taktisches Gespür – er geht ihnen offen entgegen. Zum Beispiel durch gute Erreichbarkeit. Das in seiner Ägide aufgebaute Servicecenter mit 25 Mitarbeitern bearbeitet pro Jahr 140.000 Telefonanrufe. Bei grob 400.000 Einwohnern im Bezirk kennen die Telefonisten vermutlich bald jeden persönlich.

Wenn man Kissel nach seinen Hobbys fragt, muss er eine Weile überlegen: Nach Familie, Beruf und Deckelprojekt bleibt kaum noch Zeit für anderes. Außer für die Jagd und für Rotary. Was ihn an unserer Serviceorganisation besonders interessiert  – nicht nur in diesem Jahr als Clubpräsident – ist das rotarische Netzwerk. Deshalb animiert er seine Freunde, über den eigenen Tellerrand zu schauen und andere Clubs zu besuchen. Oder auf eine Convention zu fahren. Lissabon war für ihn eine eindring­liche Erfahrung: Schließlich fand er dort die Idee mit den Deckeln.


Zur Person:

 Dennis Kissel

  • wurde 1966 in Stade ge­boren.
  • Er ist verheiratet mit Heike Kissel (RC E-Club Hanse D 1940) und hat zwei Söhne.
  • Nach Abitur und Zivildienst studierte er Technischen Umweltschutz (Dipl.-Ing.) an der Fachhochschule Hamburg, arbeitete neben und nach dem Studium als Datenbankentwickler und kam 1994 als Umweltbeauftragter zur Buhck-Gruppe in Hamburg.
  • 2001 übernahm er die Geschäftsführung der heute für zwei Kreise zuständigen Abfallwirtschaft Südholstein GmbH. Er ist Initiator der Deckelsammelaktion, deren Erlös rotarischen Projekten zufließt.

 Info unter: www.deckel-gegen-polio.de

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.