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Ein komplett neues Titelangebot sorgt im Rahmen des Erfolgsprojekts „Lesen lernen – Leben lernen“ für viel neuen Lesestoff. © PR (alle)

Mit komplett überarbeitetem Titelangebot und einem bemerkenswerten Experiment stellt sich das Projekt „Lesen lernen – Leben lernen“ nach 14 Jahren neu auf.

Matthias Schütt01.09.2018

"Die Zugmaus“ war ein Erfolgstitel im Leseprojekt „Lesen lernen – Leben lernen“ (4-L), in dem seit 2004 Rotarier in ganz Deutschland Schülern insgesamt 900.000 Bücher zur Verfügung gestellt haben. Auch Ina Block, Lehrerin in Leichlingen bei Leverkusen, hat die „Zugmaus“ mit einer 4. Klasse gelesen, allerdings wurden nicht alle Erwartungen der Kinder erfüllt. Sie fanden die Europareise der kleinen Mäuse ganz witzig, aber mit ihrer Lebenswirklichkeit hatte das nicht viel zu tun. In einer Bilanzrunde zum Abschluss des Lektürekurses erhielt sie jede Menge Hinweise, wie eine wirklich spannende Lektüre für Zehnjährige aussehen müsse.

Daraus ist jetzt ein ganz neues Lektüremodell entstanden, das das größte deutsche Gemeindienstprojekt in eine neue Richtung stößt: Die Kinder bestimmen mit, was sie lesen wollen. Ina Block besprach die Anregungen ihrer Schüler mit der Autorin Marie Fenske, die ihr darauf vorschlug, eine Geschichte mit den Kindern gemeinsam zu schreiben. Daraus ist der Roman „Auf der Suche nach Nima“ entstanden, Anfang Juni wurde er in Leichlingen in einer öffentlichen Lesung vorgestellt. „Wenn die Kinder ihre alltäglichen Erfahrungen in den Büchern wiederfinden – in diesem Fall neue Klassenkameraden aus fremden Ländern, Mobbing, aber auch erste Frühlingsgefühle –, dann ist die Lesebereitschaft deutlich größer als sonst“, hat Block festgestellt. „Gerade Kinder mit Leseschwierigkeiten kann man über ein packendes Thema leichter motivieren, am Ball zu bleiben.“

 

Migration und Mobbing

Und packend ist die Geschichte von Nima auf jeden Fall. Das Mädchen mit afrikanischem Vater und deutscher Mutter muss wegen seiner dunklen Hautfarbe viele Hänseleien erdulden. Auch ist ungewiss, ob sie nicht zu ihrem Vater nach Gambia ziehen muss. Ein Junge aus ihrer Klasse quält sie immer wieder, sodass Nima schließlich wegläuft. Das aber schreckt die Klassengemeinschaft auf und die Kinder machen sich selbst auf die Suche nach Nima. Nach einigen spannenden Episoden geht die Sache gut aus: Nima kehrt wohlbehalten zurück, darf bei ihren Freunden in Deutschland bleiben und auch der Störenfried lernt sich zu integrieren. 

Von ihrem langjährigen 4-L-Partnerclub Leverkusen-Opladen erhielt Block beim Vortrag viel Zuspruch für Thema und Produktionsidee. Der Weg zum fertigen Buch war dann allerdings für die Autorin wie auch die Lehrerin eher steinig. Die Kinderlektoren nahmen ihre Aufgabe sehr genau. Jedes Kapitel wurde lang und breit diskutiert, viele Erfahrungen aus dem Schulalltag flossen in die Geschichte ein. Parallel dazu erstellte Block ein Arbeitsbuch für Lehrerkollegen.

 

Lehrer erwarten neue Titel 

„Nima“ ist aber nur einer von insgesamt sieben neuen Titeln, die die alten Dauerbrenner wie „Spaß im Zirkus Tamtini“ und „Hamster-Alarm“ ablösen. „Der Austausch war nötig, weil manche Lehrer nach drei, vier Durchläufen neuen Stoff verlangen“, berichtet Past-Governor Helmut Falter, RC Aachen-Frankenburg, Seniorchef der Mayerschen Buchhandlung und 4-L-Initiator. „Außerdem sind nach fast 14 Jahren manche Titel auch nicht mehr zeitgemäß“, entnahm er den Reaktionen aus den Schulen.

Der Wechsel erfolgt nicht abrupt, sondern im schleichenden Übergang – „solange noch Restexemplare der alten Titel vorhanden sind“, sagt Falter. Er lässt aus langer Erfahrung immer 20.000 Exemplare drucken, wenn ein Buch ausverkauft ist. Das betrifft die Titel für Grundschüler bis Klasse 4. Das Anschlussprojekt „Lesen = Leben“ für die Sekundarklassen läuft nicht annähernd so erfolgreich, sodass er hier mit kleineren Auflagen auskommt.

„Zufällig gingen Anfang des Jahres mehrere Titel gleichzeitig zur Neige, sodass wir uns zu einem radikalen Schnitt entschlossen“, berichtet Falter. Mit „wir“ ist der Buch Verlag Kempen (BVK) gemeint, der sich schwerpunktmäßig im Bereich Schullektüre engagiert und inzwischen der Kooperationspartner für das 4-L-Gesamtprogramm ist. Aus einer Vielzahl von Vorschlägen wählte Falter mit den BVK-Lektoren die neuen Titel aus. Zum Beispiel „Briefe von Hans“ (7. Klasse), ein Roman, in dem Tom in die Geschichte seiner Familie eintaucht und in Briefen aus dem Ersten Weltkrieg Einblicke in die Lebenswirklichkeit vor 100 Jahren bekommt. Der Schrecken der Zeit wird greifbar, deutlicher als es jeder Geschichtsunterricht vermag. Das neue Buch für Leseanfänger „Schirmel und Oderich“ dreht sich um Freundschaft und Angst und darum, dass die Menschen verschieden sind – wie Frosch und Rabe, die hier die Hauptrollen spielen.

 

Fast 500 Clubs machen mit 

Für 14 neue Titel (sieben Romane plus Begleitheft), insgesamt 102.000 Exemplare, geht 4-L mit 180.000 Euro in Vorleistung, die über Kredite finanziert werden. Zum Glück kann sich Falter darauf verlassen, dass ihn die Rotary Clubs nicht im Stich lassen. Fast jeder zweite Club in Deutschland (492 von 1084) hat schon Schulklassen mit einem 4-L-Titel ausgestattet. Die Top drei sind Aachen-Land (26.374 Kinder gefördert), Bonn-Rheinbach (18.657) und Herzogtum Lauenburg-Mölln (18.080). Ein Förderer mit Gesamtabdeckung seiner Clubs ist der Distrikt 1850, der jedes Jahr auf einen Schlag 10.000 Bücher bei Rotary Deutschland Gemeindienst (RDG) e.V. ordert. Der Verein übernimmt für alle Förderer die Abrechnung für das Projekt.

Was den Initiator besonders freut, ist, dass sich immer öfter auch einzelne Rotarier privat mit ein, zwei oder drei Klassensätzen an 4-L beteiligen. Pro Klassensatz mit 25 Büchern plus Lehrerheft fallen 70 Euro an Kosten an.

Leider nur stockend wird der Versuch aufgenommen, über 4-L auch die Sprachförderung von Flüchtlingen voranzubringen. Dazu hatte Falter das Buch „Deutsch lernen – von Anfang an“ ins Sortiment genommen, eine preiswerte Fibel mit CD zum Selbstlernen. „Da noch immer nicht genug Deutschkurse zur Verfügung stehen, müsste dieses Buch viel stärker verbreitet werden“, findet Falter. Das ist jedoch der einzige Wermutstropfen in einer grandiosen Erfolgsgeschichte: Falter rechnet damit, im kommenden Jahr die Zahl von einer Million geförderten Schülern zu erreichen.

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.