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Nachmittagsbetreuung

Gebündelte Kraft

Überall in Deutschland und Österreich setzen sich Rotarier für sinnvolle Betreuung für Schüler am Nachmittag ein. Die Engagementmöglichkeiten sind extrem vielfältig und stoßen bei Lehrern und Eltern zumeist auf großes Interesse

Matthias Schütt16.06.2014

Boxen vs. Lernen“ – das klingt wie Sport, ist aber viel mehr. Dahinter verbirgt sich ein pädagogisches Konzept, mit dem lernschwache Kinder und Jugendliche aus einem sozialen Brennpunkt in Münster zu besseren Leistungen motiviert werden sollen. 87 Jungen und Mädchen nehmen derzeit teil: Sie machen nachmittags unter Betreuung ihre Hausaufgaben und dürfen, wenn die Noten stimmen, an einem speziellen Boxtraining teilnehmen. Die fünf Rotary Clubs in Münster fördern das mehrfach ausgezeichnete Projekt im Rahmen ihres Gesamtprojekts „Sternstrahlen“ durch Geldspenden; einzelne Mitglieder helfen darüber hinaus mit Praktikumsplätzen und Lehrstellen.

Ein Projekt von vielen, mit denen Rotary Clubs einwirken auf die schulische Karriere von Kindern und Jugendlichen. In diesem Fall eher indirekt durch Geld und Türöffnen. In vielen anderen Fällen entwickeln Clubs eigene Projekte und führen sie auch selbst durch. Wer sich einmal auf den Weg macht durch die deutsch-österreichische Clublandschaft, findet eine schier unüberschaubare Vielfalt. Was allen Schulprojekten gemein ist: Sie stehen für eine neue Perspektive rotarischer Arbeit, die einen Beitrag zur Lösung drängender Probleme im Bildungsbereich leisten will.

Das war vor ein paar Jahren noch anders. Traditionell begnügten sich Rotary Clubs im „Jugenddienst“ mit der Betreuung von Austauschschülern, sie organisierten Jugendcamps und gingen wohl auch ins örtliche Gymnasium, um aus ihrer beruflichen Praxis zu erzählen. Dabei konzentrierte man sich auf die schulische Elite, also genau die Schicht, aus der später der eigene Nachwuchs rekrutiert werden würde. Doch unter schärfer werdenden sozialen Spannungen setzte sich auch bei Rotary die Erkenntnis durch, dass man sich um ganz andere Kinder kümmern müsse. So gerieten benachteiligte Gruppen in den Fokus, zum einen Hauptschüler, deren Schulabschluss im Wettbewerb um die besten Köpfe massiv an Wert verlor, zum anderen Kinder mit sozialen Startschwierigkeiten, etwa aus Migrantenfamilien. Bei der Entwicklung von Förderprogrammen stand das Wohl dieser Kinder im Vordergrund, ein weiteres Motiv war die Einsicht, dass wir es uns nicht leisten können, durch Vernachlässigung ein Heer an Bildungsverlierern heranzuziehen.

Kräftebündelung
Parallel dazu änderte sich auch die Ausrichtung rotarischer Projektarbeit: statt „Inselangebote“ für den eigenen Club zu entwickeln, setzt man heute vermehrt auf eine Bündelung von Kräften. Hier hat Rotary mit „Lesen lernen – leben lernen“, aber auch mit Initiativen wie den Mathe-Kisten und dem Ernährungsprojekt „gesundekids“ Ansätze entwickelt, die nachhaltige Lösungen aufzeigen und nebenbei auch Rotarys Ansehen in der Öffentlichkeit steigern.
Wenn Rotarier in Schulen gehen, um Förderleistungen anzubieten, für die im Schulalltag kein oder nur unzureichend Platz ist, treffen sie in der Regel auf interessierte Direktoren und Lehrer. Denn auch die Schule hat sich stark gewandelt. In den vergangenen zehn Jahren sind Ganztagsangebote geradezu explodiert, die zum einen den Anforderungen berufstätiger Eltern wie ihrem Interesse nach sinnvoller Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder entgegenkommen, zum anderen aber auch den Schülern zusätzlich Lern- und Freizeitangebote eröffnen. Wie dynamisch die Entwicklung verlaufen ist, zeigt beispielhaft das Bundesland Bayern, das erst 2002 in den Ausbau der Ganztagsschule einstieg und heute in über 80 Prozent der Schulen am Nachmittag Betreuung und Lernangebote bietet (siehe Interview).

Bei den vielen Kontroversen rund ums Thema Schule ist die Ganztagsschule erfreulich unumstritten. Das liegt auch daran, dass die erweiterten Möglichkeiten einem neuen pädagogischen Konzept entgegenkommen: dem kompetenzorientierten Lernen. Statt um kumulative Anhäufung von Wissen geht es um die Kombination von Wissen und Können, um die praktische Anwendung. Und spätestens hier kommen externe Anbieter ins Spiel. Denn auch der Kontakt zur Lebenswirklichkeit außerhalb der Schule gehört ins Konzept. Insofern laufen Rotary Clubs wie Sportvereine, Umweltgruppen oder auch Kirchen in vielen Schulen offene Türen ein. Zumal – das soll nicht verschwiegen werden – nicht überall die Mittel vorhanden sind, um eine professionelle Nachmittagsbetreuung zu bezahlen. Ehrenamtliche Angebote sind da besonders willkommen.  

Berufsvorbereitung
Einen umfassenden Ansatz hat bereits 2008/09 der Distrikt 1880 unternommen, als Gov. Peter Iblher sein Amtsjahr unter den Schwerpunkt „Schule – Sprungbrett in die Zukunft“ stellte. Was man damit erreichen wollte, erläutert Michael Heckmann (RC Leipzig-Centrum), der damals als Berufsdienstbeauftragter das Projekt koordinierte: „Um die Jugendlichen besser auf die Anforderungen im Berufsleben vorzubereiten, hatten wir beschlossen, den Schulen externe Kompetenz mit einem ganzen Strauß unterschiedlicher Projekte anzubieten. Rotary sollte sich als das Netzwerk präsentieren, das für solche Angebote ideale Voraussetzungen mitbringt.“ Schade nur, so Heckmann, dass das Echo mancherorts sehr verhalten war. Dabei wurden von den Clubs ausgesprochen interessante Projekte vorgeschlagen – von Lernworkshops und Bewerbungshilfe bis zu Deutsch für Migrantenkinder und erlebnispädagogischen Klettertouren. Eine von vielen Perlen steuerte der RC Auerbach bei, der der „zunehmenden sozialen Passivität“ von Hauptschülern ein Projekt zur Stärkung von Selbstbewusstsein und Eigeninitiative entgegenstellte. Die Schüler sollten zur aktiven Teilnahme am sozialen Leben ihrer Gemeinde aktiviert werden. Umgesetzt wurde das durch einen Fotowettbewerb, durch Besuche von Stadtratssitzungen, Gerichtsverhandlungen, Kennenlernen der sozialen Infrastruktur von Vereinen, Parteien und anderes.

Drei Projektgruppen
Wollte man die vielen Projekte einteilen, ergäben sich drei Gruppen, unterschieden nach dem Grad des jeweiligen rotarischen Engagements (mit diversen Zwischenstufen): Hands-on, Expertenbetreuung, Patenschaft mit Finanzierung.

Zur ersten Gruppe zählen die vielen Projekte unter der Überschrift „Lesepaten“ – in zahlreichen Clubs greifen Rotarier zum Buch, um Kindern in Horten und Schulen durch Vorlesen und Lesenüben die Welt der Bücher näherzubringen. Die Bandbreite unterschiedlicher Ansätze zeigen die Initiativen in Frankfurt/Main und in Oyten bei Bremen. In Frankfurt organisiert Dagmar Haase (RC Frankfurt/Main-Städel) die Arbeit von 240 ehrenamtlichen Lesepaten, die in 51 Frankfurter Grundschulen gehen und individuell Schüler während der Unterrichtszeit betreuen. In Oyten steuert der Rotary Club die Arbeit von derzeit 33 Gymnasiasten, die wöchentlich jeweils zwei Stunden mit einem Patenkind aus vier Grundschulen lesen üben. Das Projekt läuft seit 2009 und hat, wie Elke Pawellek von der Grundschule Oyten bestätigt, im Durchschnitt die Schulnoten um eine Stufe gehoben. Eine ähnliche Initiative meldet der RC Linz-Altstadt: Hier werden ohne speziellen Bezug zum Lesen Schüler von Haupt- und Oberschule zusammengebracht, damit die einen die anderen fördern, sie aber auch zusammen auf Ausflügen, Besichtigungen und Ähnlichem neue Erfahrungen machen.
In der zweiten Gruppe werden die speziellen Kenntnisse von Rotariern gefordert, die Schülern dabei helfen, in einem bestimmten Arbeitsgebiet fit zu werden. Beispiel: RC Berlin-Spree, der an einer Grundschule im Problembezirk Wedding aktiv ist und u.a. die Schulzeitung Kiezwelt unterstützt. Jedes Jahr erscheint eine Ausgabe mit einem Schwerpunktthema (Medien, Sport, Essen), die von einer Redaktion aus den Klassen 5 und 6 erarbeitet wird. Rotary hat dazu nicht nur Laptops und Fotokamera besorgt, sondern auch die Journalisten im Club animiert, den jungen Kollegen bei ihren Recherchen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Außerdem finanziert der Club jährlich einen mehrtägigen Workshop für Redakteure von Schülerzeitungen. Nicht zuletzt durch diese Hilfen ist die Kiezwelt wiederholt vom Land Berlin ausgezeichnet worden.

Die dritte Gruppe schließlich – Patenschaft und Finanzierung – zeigt quasi den klassischen rotarischen Ansatz: eine gute Idee zu fördern, indem man die richtigen Leute zusammenbringt und bei Bedarf finanziell absichert. Wenn die Basketballprofis der Frankfurt Skyliners zu wöchentlichen Trainingsstunden in Schulen gehen, um Kinder für ihren Sport zu begeistern, kann das niemand besser als die Profis selbst. Gut nur, wenn im Hintergrund ein Rotarier, in diesem Fall Geschäftsführer Gunnar Wöbke (RC Frankfurt/Main-Paulskirche), die Verbindung herstellt. Ob es ein Schüler-Café ist (RC Neuruppin) oder das Training von gehörlosen Kindern in der österreichischen Gebärdensprache (RC Wien Nord-Ost), immer wieder gilt: ohne Moos nichts los. Insofern spielt Rotary die Schlüsselrolle bei vielen sinnvollen bis dringend erforderlichen sozialen Aufgaben.

Das gilt auch und besonders für dieses Problemfeld: Deutschland fehlt der Ingenieurnachwuchs. In vielen Schulen wird zu wenig getan, um Jungen, aber vor allem auch Mädchen an die sogenannten MINT-Fächer heranzuführen: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Hermann Faber (RC Leonberg-Weil der Stadt), bis 2007 als Oberstudiendirektor Leiter des Weiler Johann-Kepler-Gymnasiums, hat im Jahr 2000 mit fachlicher Begleitung durch Prof. Frank Allgöwer von der Universität Stuttgart eine Roboter-AG eingerichtet, die später in den Lehrplan der Fächer Naturwissenschaft und Technik integriert wurde. „In den vergangenen Jahren erlebten wir eine rasante Entwicklung“, erzählt Faber. „Was als schönes Hobby begann, verlangt heute hohe technologische Kreativität.“ Der Lohn zeigt sich in Erfolgen bei Deutschen Meisterschaften und Weltmeisterschaften in Disziplinen wie Roboter-Fußball. Das Problem bei Projekten im technischen Bereich ist in besonderem Maße das Geld. 8000 Euro verschlingt die AG pro Jahr, etwa für die Anschaffung von Bauteilen. Von Anfang an war Fabers Club mit 2000 Euro jährlich sowie Sachspenden beteiligt. Mindestens genauso wichtig: Über Rotary konnte die Firma Bosch ins Boot geholt werden, was ganz neue Perspektiven ermöglicht.

Diese Übersicht konnte nur eine kleine Auswahl rotarischer Schulprojekte beleuchten. Was alle zeigen, ist das große Interesse in den Clubs, sich für die Neuen Generationen zu engagieren. Dabei können auch kleine Projekte nachhaltige Wirkung erzielen. Zwar wird sich nicht jede gute Idee realisieren lassen, doch mit interessierten Ansprechpartnern dürfen die Rotarier in jedem Fall rechnen.

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.