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Im Fokus: Stipendien von Rotary

Kluge Köpfe – klug gefördert

Im Fokus: Stipendien von Rotary - Kluge Köpfe – klug gefördert
Das Peace Fellowship-Programm – im Bild die Peace Fellows David Burgener (l.) und Christel Greiner Dutchart in der Bibliothek der University of Queensland in Brisbane – ist Aushängeschild von RI. © Monika Lozinska / Rotary International

Rotary prägt seit vielen Jahrzehnten den persönlichen Bildungsweg von vielen Tausend Talenten in aller Welt. Eine breitgefächerte Auswahl an Stipendienprogrammen hilft beim Start in die berufliche Zukunft – und wirkt auch auf die Clubs zurück.

Matthias Schütt01.12.2017

Unter den Schlüsselwörtern, die die Tätigkeit der Rotary Clubs weltweit charakterisieren, steht „Stipendien“ an prominenter Stelle. Der Begriff markiert einen Bereich, der nach dem Gemeindienst die längste Tradition in der rotarischen Bewegung hat und genau genommen sogar die erste Stelle beanspruchen kann: Denn es war ein Stipendienprogramm, mit dem 1947 die Tätigkeit der Rotary Foundation (TRF) eigentlich begann: In den ersten 30 Jahren ihres Bestehens war sie kaum in Erscheinung getreten.

Verschiedene Fördermöglichkeiten
Erst der Tod des Rotary-Gründers Paul Harris am 27. Januar 1947 und die Bitte um Spenden statt Blumen versetzte TRF mit 1,3 Millionen US-Dollar in die Lage, ein erstes internationales Programm aufzulegen: die Ambassadorial Scholarships – Stipendien, die exzellenten jungen Akademikern ein Jahr im Ausland ermöglichen und damit zum kulturellen Austausch einer Welt im Nachkriegstrauma beitragen sollten. Bis 2013, als dieses Programm mit der Einführung des Future Vision Plans auslief und durch Global Grant-Stipendien ersetzt wurde, hatte Rotary über 40.000 dieser Good-Will-Botschafter in 100 Länder geschickt. Prominente Namen zieren die Liste, darunter der Stararchitekt Helmut Jahn und die ehemalige UN-Flüchtlings-Hochkommissarin Sadako Ogata.
Über die Jahre kamen viele weitere Fördermöglichkeiten für junge Menschen mit guten Leistungen und einem Rotary entsprechendem Wertesystem hinzu. Das Angebot ist schwer zu überblicken, weil sogar einzelne Clubs eigene Programme verfolgen und über ihre Fördervereine auch abwickeln. Das vielfältige Angebot der deutschen und österreichischen Distrikte haben wir in dem Info-Kasten auf Seite 19 zusammengestellt.
RI und TRF steuern zwei große Stipendienprogramme und einige kleinere. An erster Stelle stehen die Nachfolger der Ambassadorial Scholarships, die heute als Global Grants ab 30.000 US-Dollar von Clubs/Distrikten und TRF zu gleichen Teilen finanziert werden. Hier fungiert TRF in erster Linie als Geldgeber, im zweiten Hauptprogramm, den Peace Fellowships bestimmt Evanston auch Konzept und Ziele.
Das gilt auch für fachbezogene Angebote wie das Aufbaustudium für Wasserexperten am UNESCO Institute for Water Education in Delft/Niederlande. Dort bereiten drei alternative Master-Studiengänge auf die Tätigkeit in ariden beziehungsweise schwach entwickelten Gebieten der Welt vor, um Lösungen für eines unserer drängendsten Zukunftsprobleme zu finden. 77 Absolventen aus 31 Ländern haben seit 2012 ein Diplom erworben, von denen 80 Prozent in ihre Heimatländer zurückkehren, vornehmlich in Südamerika, Südostasien und dem östlichen Afrika.

Unterschiedliche Zielgruppen
Ganz neu ist ein Programm im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Kinderlähmung: Acht Studenten aus Nigeria und Pakistan sind die ersten Empfänger eines Rotary PolioPlus Memorial Stipendiums, das in Ländern mit unzureichender medizinischer Infrastruktur den Anteil an Experten für öffentliches Gesundheitswesen steigern will.
Welchen Stellenwert RI dem Gesamtkomplex Stipendien zumisst, zeigen diese Zahlen: Jedes Jahr werden 7,5 Millionen US-Dollar dafür ausgegeben; insgesamt wurden bisher 350.000 Teilnehmer gefördert.
Bei der Abwicklung dieser Stipendien spielen Clubs und Distrikte eine zentrale Rolle, die aber auch eigene Programme organisieren, wie auch andere Einrichtungen, etwa Fellowships und Länderausschüsse. Ein Beispiel für Letztere ist der Länderausschuss Deutschland-Israel, der in Zusammenarbeit mit israelischen Stiftungen jungen Menschen das jeweils andere Land nahebringen will.
Die Zielgruppen reichen von der klassischen Studentenförderung über Programme für junge Berufstätige, den Führungsnachwuchs in bestimmten Fachgebieten bis hin zu Sportlern. Berühmt war das Kürzel GSE (Group Study Exchange). Hier wurden kleine Teams mit Berufsanfängern verschiedener Fachrichtungen zwischen Kontinenten ausgetauscht. Dieses 1965 eingeführte, auch in Deutschland beliebte Programm hat über die Jahre immerhin 73.000 Praktikern interessante berufliche Impulse verschafft, wurde aber mit dem Future Vision Plan aus der Förderung genommen. Dafür werden heute Vocational Training Teams geworben, die neben der Erweiterung des eigenen beruflichen Horizonts vor allem auch Hilfseinsätze in Notgebieten leisten sollen. Ähnlich funktioniert der New Generations Service Exchange (NGSE).

Projektförderung umgestellt
Für die jüngere Geschichte der Stipendienaktivitäten von Rotary International stellt das Jahr 2013 eine Zäsur dar: Damals wurde mit dem Future Vision Plan die Projektförderung von TRF umgestellt, was zum Aus für GSE-Zuschüsse führte und zu einer deutlichen Akzentverschiebung bei den allgemeinen Stipendien: Mit der Verlagerung der vormals zentral verwalteten Ambassadorial Scholarships in die Distrikte, die jetzt über Global Grants begabte Studenten fördern sollen, ist eine massive Einschränkung verbunden. Global Grants können nur genehmigt werden, wenn sie einem der sechs Schwerpunktbereiche der TRF dienen: Gesundheitsvorsorge, Mutter & Kind, Elementarbildung, Frieden und Konfliktvermeidung, Wasser und Hygiene sowie Armutsbekämpfung.

Peace Fellows an der International Christian University in Tokio,
Foto: Alyce Henson / Rotary International

 

Das heißt jedoch, dass andere Fachrichtungen keine Chance haben, alle künstlerischen und geisteswissenschaftlichen Studienrichtungen etwa – jedenfalls solange kein Bezug zu einem der Schwerpunkte hergestellt werden kann. Das hat zu einiger Verstimmung geführt. So drängen japanische Distrikte, in denen traditionell junge Musiker gefördert wurden, unter anderem über Initiativen im Gesetzgebenden Rat (CoL) darauf, das Stipendienprogramm um eine Sektion Kunst und Kultur zu erweitern. Ihr Beitrag zur Völkerverständigung sei ja wohl unbestreitbar.
Diese Einschränkung ist mitverantwortlich für den allgemeinen „steilen Absturz“ der Bewerberzahlen, den der zuständige Fachmann bei RI, Bill Rintz, in vielen Weltregionen feststellen muss: In den vergangenen vier Jahren wurden in Deutschland nur 32 Global-Grant-Stipendien gewährt, in Österreich gerade einmal eins.

Komplexere Bewerbungsverfahren
Die thematische Begrenzung ist aber nur ein Teil des Problems. Der andere liegt darin, dass die Bewerbungsverfahren jetzt umfangreicher sind als früher, was manche Clubs abschreckt. Das jedenfalls ist die Erfahrung von Reiner Nawrath (RC Heide), Stipendienbeauftragter im Distrikt 1890. „Ein weiteres Handicap“, so der Professor für Elektrotechnik, „ist, dass Interessenten im Internet beim Stichwort Auslandsstipendien Rotary nicht finden können und unsere Angebote gar nicht bekannt werden. Sein Distrikt fördert pro Jahr zwei Stipendiaten bis zu einem Höchstbetrag von je 17.000 US-Dollar, wobei sich der entsendende Club mit mindestens 1000 Dollar beteiligen muss. Mit der Global-Grant-Förderung summiert sich das auf bis zu 42.000 Dollar.
In der Regel teurer für den Club, dafür einfacher in der Handhabung sind Stipendienprogramme, die nicht von Evanston aus dirigiert werden, sondern die Distrikte in Eigenregie entwickeln oder als Partner mitfinanzieren. Mehrere Distrikte engagieren sich zum Beispiel bei den 2011 eingeführten Deutschland-Stipendien. Rotary kommt dieses Fördermodell aus zwei Gründen entgegen: Zum einen müssen Bewerber nicht nur hervorragende Leistungen nachweisen, sondern auch ehrenamtliches Engagement, zum anderen basiert dieses Stipendium auf dem Zusammenwirken von Staat und Zivilgesellschaft – Past-Gov. Sibylle Thalmann-Haffter (Distrikt 1850) sieht darin eine attraktive „neue Art von Spendenkultur“, die Unternehmen, Vereine, Privatpersonen oder eben auch Serviceclubs einbezieht.
Die Idee: Bund und private Förderer teilen sich je zur Hälfte die Kosten eines Jahresstipendiums von 3600 Euro. Im Distrikt 1820 erhält jeder teilnehmende Club dazu einen Zuschuss von 500 Euro aus der Distriktkasse. Bei aktuell 20 Stipendien summiert sich das auf 10.000 Euro. Der Distrikt 1940, der seit fast 20 Jahren Studenten aus Ost- und Mitteleuropa in den vier Bundesländern des Distriktgebiets fördert (s. Bericht Seite 87), ist ebenso Partner beim Deutschlandstipendium wie der Distrikt 1850, der damit den deutschen Nordwesten attraktiver für den wissenschaftlichen Nachwuchs machen möchte.
Dazu wurde dort eine Vereinbarung mit neun Hochschulen im Raum Bremen/Weser-Ems geschlossen. Das führte in fünf Jahren zu 300 Deutschland-Stipendien, an denen sich ein Großteil der 68 Clubs im Distrikt beteiligt. Motto: Die Besten für den Nordwesten. Die rotarische Dividende können die Clubs oft unmittelbar einstreichen. Die Studenten präsentieren sich mit ihren Arbeiten im Club und beteiligen sich mitunter auch an Hands-on-Aktivitäten.

Nachwuchsförderung
Der Distrikt 1820 legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Nachwuchsförderung. Neben den Deutschland-Stipendien berichtet die Beauftragte Gudrun Diedrichs (RC Bad Vilbel) von einem seit 20 Jahren verfolgten Stipendienprogramm für Bewerber aus Ost- und Mitteleuropa, das mit jeweils 8200 Euro zu Buche schlägt, die von einem oder mehreren Clubs finanziert werden. Zwischen acht und zwölf solcher Stipendien werden jedes Jahr ausgelobt. Der Betrag orientiert sich am BAföG-Satz, weil andernfalls viele Bewerber kein Visum erhalten würden.

Erläuterungen: GG – Global Grant / DG – District Grant
Die Zahlen sind jeweils Durchschnittswerte, die von Jahr zu Jahr variieren können.

 

Die häufigsten Herkunftsländer sind Russland, Weißrussland und die Ukraine.
 Speziell die Ukraine ist auch das Förderfeld im Distrikt 1930, wo seit über 20 Jahren jedes Jahr zwei bis drei Stipendiaten zu je 10.000 Euro gefördert werden. Dazu sammelt der Beauftragte Günter Chrobak, RC Konstanz-Rheintor, alle zwei Jahre bei den Clubs Spenden ein. Die Summe wird vom Distrikt verdoppelt. Streng geprüft neben der fachlichen Eignung werden gute Deutschkenntnisse, „sonst hat ein Fachstudium ja keinen Sinn“, so Chrobak. Seine Vorzeigestipendiatin heißt Polina Gryganska, die in Kiew einen Master in internationalem Recht erwarb, als Stipendiatin ab 2013 den Master-Abschluss im selben Fach in Konstanz erreichte und noch das 1. Staatsexamen obendrauf setzte. Heute führt die junge Frau als Mitarbeiterin im Fachbereich Jura deutsche Studenten in unser Rechtssystem ein.

Hoher Ertrag
Hochbegabte sind und bleiben eine vorrangig bedachte Zielgruppe rotarischer Förderung, wobei der Distrikt 1920 mit einem neuen Programm auch Schüler einbeziehen will. Hier schreibt der Distrikt alle Clubs an, geeignete Bewerber aus der Oberstufe oder Universität vorzuschlagen. Bevorzugt gesucht werden Bewerber aus Naturwissenschaft und Technik, die 500 beziehungsweise 1000 Euro erhalten sollten. Ein rotarischer „Hintergedanke“ spielt im Nachbardistrikt 1910 eine Rolle. Hier wurde einem angehenden Kinderarzt ein Global Grant gewährt, der in den USA einen Master-Studiengang in Public Health absolviert. Die Stipendienbeauftragte Regina Kaschubek hat bereits genaue Vorstellungen, wo der Arzt nach seiner Rückkehr für Rotary nützlich werden soll: in der Projektarbeit der Rotarian Action Group for Population & Development (RFPD).
Stipendien kosten viel Geld, keine Frage. Aber sie sind nicht nur wertvoll, weil sie jungen Leuten auf dem akademischen Karriereweg voranhelfen. Sie verbreiten auch Rotarys Werte der Gemeinnützigkeit, Toleranz und Völkerverständigung. Und die Clubs bekommen auf vielfältige Weise etwas zurück. Zum Beispiel frische Impulse für das Clubleben. Das jedenfalls erhofft sich Past-Gov. Michael von Zitzewitz im Distrikt 1820, wenn er vorschlägt, herausragende lokale Sporttalente mit 400 Euro im Monat auszustatten, sodass der Medaillenglanz dann auch den Club mitbestrahlt.
Oder sie fördern die Integration von Flüchtlingen, wie Reiner Nawrath aus seinem RC Heide berichtet: Mithilfe eines District Grants hat der Club 5500 Euro zusammengebracht, um einem Libanesen das Studium an der FH Westküste zu erleichtern. Der junge Mann hat einen Bachelor in Elektrotechnik erworben – und auch eine passende Arbeitsstelle gefunden.

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.