Andera Gadeib, RC Aachen
Die traut sich was
Das hat der altehrwürdige Verwaltungspalast in der Aachener City noch nicht gesehen: Autos voller Kleider werden in den Karmeliterhöfen entladen: Mäntel, Mützen und Schuhe, die für die Menschen im syrischen Bürgerkrieg gesammelt und sortiert werden. Angezettelt hat die Aktion eine Rotarierin aus dem zweiten Stock, die Online-Unternehmerin Andera Gadeib. Sie hat alle Aachener und weitere Rotary Clubs für diese Winterhilfe zusammengetrommelt und konnte schließlich 1700 Kartons auf den Weg bringen.
Anlass dazu war zunächst ihre persönliche Verbindung in das Heimatland ihres Vaters. Dabei passt das Anzetteln ganz generell zu dieser Frau, die sich selbst als „Vollblut-Entrepreneur“ bezeichnet. Neues ausprobieren, Ideen entwickeln, sich immer wieder neue Herausforderungen suchen, das ist der Grundtenor ihres Lebens: „Ich trau’ mir selbst was zu“, dieses Credo vor allem will sie vermitteln.
Innovativ
Gadeibs Arbeitsfeld ist nicht zufällig die digitale Welt. Als die 20-Jährige nach Abitur und Höherer Handelsschule 1990 an der RWTH Aachen das BWL-Studium mit den Schwerpunkten Marketing und Wirtschaftsinformatik aufnahm, war das Internet hierzulande noch eine Sache für ein paar Eingeweihte. Bald gehört sie dazu, kniet sich in die Materie und kann noch als Studentin eine weichenstellende Erfahrung machen: 1994 ist sie Teil des Teams, das einen der ersten 30 kommerziellen World-Wide-Web-Server in Deutschland einrichtet und betreut.
Aus diesen Erfahrungen ging Dialego hervor, eine innovative Firma für Online-Marktforschung. Erster großer Auftrag war eine internationale Studie für Audi, heute gehören weitere „Blue Chips“ wie BASF und
Coca-Cola zu ihren Kunden. Die Vorteile von Online-Befragungen erläutert sie am Beispiel einer Schokolade: Der Interviewte antwortet nicht einfach auf Fragen nach Vorlieben und Geschmack, sondern kann am Rechner einzeichnen, was ihm zum Beispiel an einer Verpackung ge- oder missfällt. Er wird umfassend zum Kommentieren aufgefordert. „Aus den Hinweisen filtern wir die Gemeinsamkeiten heraus und entwickeln daraus Empfehlungen für den Kunden“, erläutert Gadeib. Die Software für Online-Befragungen vermarktet sie in einer zweiten Firma. Und jüngst kam noch eine dritte dazu: Die Halterin von Hund, Katzen und Pferden baute mithilfe einer Fachfrau eine Online-Tierheilpraxis auf.
Förderung von Mädchen
So viel Gründergeist hat Folgen – Auszeichnungen und Berufungen, die wichtigste ist die in den Beirat Junge Digitale Wirtschaft des Bundeswirtschaftsministers. Mit ihrer Arbeitsgruppe Gesellschaft will sie dazu beitragen, das Bild des Unternehmers positiver zu gestalten und zum Beispiel die Lehrpläne der Schulen weiterzuentwickeln. „Warum kann man nicht statt einer zweiten Fremdsprache eine Programmiersprache erlernen?“, umreißt sie eine ihrer Ideen. Besonders wichtig ist ihr die Förderung der Mädchen: „Wir brauchen mehr Unternehmergeist und wir brauchen vor allem mehr Frauen, die Gründer werden wollen.“
Der Schlüssel dazu liegt in der Schule. Gadeib will nicht, dass ihre Kinder einfach Wissen tanken, sondern ihre Persönlichkeit entwickeln, ihre Stärken und Schwächen kennenlernen und daraus Schlüsse ziehen. Deshalb setzt das Ehepaar Gadeib ganz auf eine Erziehung zu Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung. „Als mein Sohn kürzlich seinen Hausschlüssel verlor, gab es nicht einfach einen neuen. Wir dürfen unseren Kindern nicht immer gleich alles abnehmen. Sie müssen zunächst selbst eine Lösung suchen.“ Sollte ihr Sohn also demnächst einen eigenen kleinen Schlüsseldienst aufziehen, wäre das ganz im Sinne seiner Mutter.
Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.
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