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Rotary Porträt: Matthias Berg, RC Esslingen

»Hätte, sollte, könnte« lässt er nicht gelten

Matthias Schütt15.09.2014

Als ich mit zehn Jahren von Detmold nach Trossingen kam, fühlte ich mich dreifach behindert: rote Haare, kurze Arme und kein bisschen schwäbisch?…“ Das Unbehagen, Matthias Berg auf seine Contergan-Behinderung anzusprechen, kann sich nicht einstellen. Er tut es gleich selbst: witzig, selbstironisch, lebensklug. Dass die Behinderung jeden Tag erneut zur Herausforderung wird, ist eine banale Feststellung. Und doch ist sie nicht nur Fluch, sondern auch Katalysator: Sie erst hat Berg zu der Persönlichkeit geformt, die er ist, im Beruf, als Sportler und als Coach.

Die Grundlagen dafür gab das Elternhaus: Als Inklusion noch kein Thema war, hat seine Mutter schon genau darauf gesetzt. Ihr Sohn sollte am vollen Leben teilnehmen; normale Schule und Freunde und alles ausprobieren, was der Junge möchte. Da alle in der Familie ein Instrument spielen, wählte er das Waldhorn und wurde Bundessieger bei „Jugend musiziert“. Weil ihm das Horn als Hauptberuf aber zu riskant war, entschied er sich, parallel Jura und Musik zu studieren, schloss beides erfolgreich ab und schlug als Jurist die Verwaltungslaufbahn ein. Als Erster Landesbeamter ist er ständiger Stellvertreter des Landrats im Landkreis Esslingen, dem siebtgrößten in Deutschland. Fachlich zuständig für das Dezernat Umwelt und Technik mit rund 300 Mitarbeitern.

Vielseitig begabt?…
Als der Südwestrundfunk 2008 „unsere größten Sportler“ suchte, kam der Paralympics-Star auf Platz 8 und ließ so klangvolle Kandidaten wie Jogi Löw und Jürgen Klinsmann hinter sich. Berg hat in der Leichtathletik wie im alpinen Wintersport Spuren hinterlassen, zunächst in den Stadien (mit zahllosen Medaillen und Rekorden), dann als Aktivensprecher, Teamchef und Funktionär, unter anderem in der Sport & Law Commission des IOC, und schließlich als ZDF-Experte für die Paralympics. Erst seit 2000 in Sydney gibt es eine professionelle Sportberichterstattung von den Spielen der Menschen mit Behinderung, die man früher in den Gesundheitsredaktionen der Sender versteckt hatte. Heute ist Berg das Paralympics-Gesicht des ZDF.
Eine besondere Herausforderung stellte sich vor vier Jahren, als er mit multiplen Netzhautablösungen in beiden Augen zu kämpfen hatte. Um die Risiken erneuter Rückschläge zu minimieren, musste er den aktiven Sport und auch das Hornspielen aufgeben, er, der jedes Jahr 15 bis 20 Konzerte gab und sich mit dem „Berg Trio“ einen Namen gemacht hatte. Doch in der Krise zeigt sich die außergewöhnliche mentale Stärke: „Man muss sich auf das konzentrieren, was man hat, nicht auf das, was fehlt“, ist seine Devise. Ausreden und „könnte, sollte, hätte“ lässt er nicht gelten: „Der Konjunktiv ist die Sprache der Verlierer.“

…Krisen genutzt?
Und so verlegte er die eine Stunde täglich, die dem Horn reserviert war, auf fünf Uhr morgens und schrieb drei Jahre lang das Buch, das ihm schon lange vorschwebte. Darin geht es um den Weg zu einer positiven Grundhaltung, um das Leben aktiv und verantwortlich zu gestalten, auch im Ehrenamt für andere. Seit Juli ist „Mach was draus!“ auf dem Markt. Berg ist ein gefragter Redner bei Weltmarktführern ebenso wie beim kleinen Mittelständler. Allerdings tritt er nur sehr dosiert auf, denn vier quirlige Kinder wollen auch zu ihrem Recht kommen. Den ständigen Kontakt mit jungen Leuten pflegt er auch im Rotary Club, dort war er sechs Jahre lang der Beauftragte für den Jugendaustausch. Seine formale Präsenz „könnte besser sein“, gibt er zu, doch wenn der Clubchor auftritt, ist er als Leiter hundertprozentig präsent. 18 bis 20 Mitglieder und Partner singen bei besonderen Anlässen und zum Benefiz für Clubprojekte.

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.