Wiesbaden/Verdun
Der erste Weltkrieg - kein Thema von gestern
Rotarier des RC Wiesbaden besuchten mit Freunden aus ihren Partnerclubs Verdun; als Gäste dabei Schüler, die über einen Aufsatz-Wettbewerb ausgewählt worden waren.
„Der Erste Weltkrieg erscheint im Vergleich zum Zweiten irgendwie weggerutscht: Im öffentlichen Erinnern kommt er kaum vor. Zerstörungen in Deutschland gab es wenige. Die Grabfelder sind weit weg. Die Kriegerdenkmale in unseren Städten und auf den Friedhöfen sagen unserer Generation nur noch wenig.“ So begann Julia Tischbirek, Preisträgerin des Rotary-Essaywettbewerbs, ihren Aufsatz.
Den Wettbewerb ausgerichtet hatte der RC Wiesbaden, um das Thema „100 Jahre danach“ in Erinnerung zu rufen. Die Schülerinnen und Schüler sollten hier über ihre ganz persönlichen Gedanken zum Ersten Weltkrieg berichten - Spuren in Alltag und Familiengeschichte statt Wikipedia. Anlass für den Wettbewerb war auch, dass man für einen Besuch der Gedenkstätten in Verdun, gemeinsam mit den französischen und österreichischen Partnerclubs, interessierte Jugendliche suchte. Hauptgewinn war demzufolge ein Wochenende vor Ort mit Rotariern aus drei Ländern.
Bei 37 Einsendungen hatte Geschichtslehrer Holger Stunz (RC Wiesbaden) als Juror die Qual der Wahl. In den meisten Beiträgen wurde versucht zu erklären, warum dieser Weltkrieg nur noch selten in den Köpfen präsent ist. So wird die Erinnerung in den Familien durch den letzten Krieg bestimmt. Denkmäler, Ehrenmale, auch der Volkstrauertag werden hierauf bezogen. Nur drei wussten von Urgroßvätern im ersten Weltkrieg. Klar wurde hier auch, dass dem ersten Weltkrieg kein nationales Denkmal, kein überregionales Museum und auch kein eigener Gedenktag in Deutschland gewidmet ist. Computerspiele mit den Kulissen des Weltkrieges taugen nicht als Erinnerung. Ein gemischtes Ergebnis, das Holger Stunz nachdenklich stimmte.
Außer Julia waren zwei weitere Preisträgerinnen zusammen mit 33 Wiesbadener Rotariern mit Begleitung an Bord des Busses, der auf seinem Weg nach Frankreich am Flughafen weitere 13 Teilnehmer aus Klagenfurt aufnahm. In Metz kamen 30 Freundinnen und Freunde aus Orléans hinzu. Auf einer Führung in der ehemaligen Garnisonsstadt wurde deren Bedeutung als Logistik- und Lazarettzentrum im Weltkrieg erläutert.
Am Folgetag dann die Wälder um Verdun, das Fort Douamont, das Memorial, die Kasematten der Festung. Frühere Besucher der Gedenkstätten zeigten sich erleichtert, dass jetzt überall eine moderne und multiperspektivische Vermittlung zu finden ist – keine großen Emotionen und Gesten mehr. Und so erfuhr die Gruppe Geschichtsunterricht auf moderne Art mit interaktiven Stationen, Visualisierungen und vielen Originalgegenständen.
Am Abend wurden die Eindrücke bei einem gemeinsamen Dinner nach Ansprachen der Club-Präsidenten/Organisatoren M. Abric und B. Dubreuil (vom Gastgeber RC Orléans), Gideon Loudon (RC Klagenfurt) sowie Rainer Heil (RC Wiesbaden) emotional und in großer rotarischer Freundschaft ausgetauscht. Besonders wichtig waren die Gespräche untereinander - auch auf den Busfahrten oder beim Essen.
Das Pathos des „Nie wieder“ wirkte dabei ein wenig hohl in einer Welt, die auch heute vermehrt von Schlafwandlern und Egoisten regiert wird. Und so traf Julia auch die Stimmung in ihrer kurzen Ansprache vor dem Memorial de la Paix mit dem Satz: „Wer weiß, vielleicht sind wir dichter an einer Verkettung von Konflikten dran, die zum Knall führt, als wir denken.“ Der Blick der Rotarierinnen und Rotarier aus drei Ländern schweifte über die Gräberfelder in die Ferne. Nachdenklichkeit kam auf.
Christian Kaiser wurde 1942 in Hessen geboren, machte Abitur in Hanau. Studium der Agrarwissenschaften in Göttingen und Bonn mit Promotion. Pächter der Hessischen Staatsdomäne Kinzigheimerhof bis 2004. Öbuv. Sachverständiger. Verheiratet, zwei Kinder. Seit 1981 im RC Hanau. Präsident 1999/2000, PHF+3. 2011 bis 2021 war er Distriktberichterstatter für D 1820.
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