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Meinung & Debatte

Gegen Einfalt, für Alleinstellung

Rotary braucht "Artenschutz" für Herrenclubs, sagt Henning von Vieregge

Henning von Vieregge17.03.2015

Die Debatte um Geschlechtermix hat seit einigen Jahren Rotary mit voller Wucht erreicht: Frauen in die Clubs, heißt die Devise. Governors und andere hochgestellte rotarische Persönlichkeiten werben für ein Ende eines rein männlichen rotarischen Clublebens. Bei Distriktkonferenzen berichten Präsidenten, wie es gelang, den Widerstand in ihren Clubs zu brechen oder zu umgehen und wie glücklich nun alle sind mit der inkorporierten Weiblichkeit. Taktische Fragen nehmen Raum ein: Wie hoch sollte das Quorum sein, wenn die Frage nach der Öffnung auf der Agenda steht? Sollte man einen breiten Meinungsbildungsprozess anstoßen und am Ende abstimmen oder ist es aussichtsreicher, das Thema überfallartig in die Entscheidung zu bringen? Wie soll man mit Austrittsdrohungen im Falle des Falles umgehen? Wie sind die Erfahrungen: Werden die Drohungen wahr gemacht oder erweisen sich die Opponenten hernach als die größten Charmeure? (wie auch berichtet wird). Ich habe diese Debatten aufmerksam verfolgt und dem Governor bei seinem jährlichen Besuch zugenickt, wenn er (oder sie) an die besagte Stelle kam. Ich habe, zusammen mit anderen, in meinem Club immer mal wieder einen Anlauf genommen, ebenfalls einen solchen Öffnungsbeschluss zu erwirken. Wir kamen uns vor wie die Jungtürken, nur erfolgloser. Zuletzt diskutierten wir das Thema im Club, als der immerhin zweitälteste Club in Deutschland, der RC Frankfurt, beschloss, zukünftig auch Frauen aufzunehmen, jetzt also auch der! Ich schlug in meinem Club vor, die Frage künftig als prinzipielle von der Agenda zu nehmen und den Aufnahmeausschuss im Einzelfall unabhängig vom Geschlecht prüfen zu lassen.

Widerspruchsgeist
Ich gebe zu, die List war zu durchschaubar, um eine Mehrheit zu finden. Ein rotarischer Freund machte einen geschickteren Vorschlag: Wir sollten uns ein Moratorium von fünf Jahren geben, in denen wir über diese Frage nicht mehr reden wollen, und nach den fünf Jahren würden wir uns dann aus der bisherigen nur männlichen Wirklichkeit langsam ausschleichen. Ob dieser Vorschlag, der viel mündliche Zustimmung erhielt, nun letzten Endes angenommen wurde oder nicht, bleibt im Dunkeln rotarischer Beschlussfassung; es wurde hierüber nicht abgestimmt und auch nichts protokolliert, wenn ich es recht entsinne, und somit kann sich jemand in von heute an gerechnet vier Jahren darauf beziehen oder auch nicht.

So weiß niemand, grundsätzlich ja ohnehin nicht, aber auch nicht zur konkreten Thematik, was die Zukunft bringt. Ich muss befürchten, den Erfolg meiner Bemühungen nicht selber zu erleben, aber was unternimmt man nicht alles der Generativität wegen? Allerdings merke ich, dass meine Enttäuschung über den Nichtwandel deutlich abnimmt. Stattdessen spüre ich Widerspruchsgeist gegen meine bisherige Überzeugung.

Bin ich müde geworden, hat mich der Altersstarrsinn erwischt oder was ist los? Ich sortiere meine Argumente gegen meine bisherige Position: Es sind keine schwachen, fällt mir auf. Es sind im Wesentlichen zwei: gegen Einfalt, für Alleinstellung.

Spätestens, wenn die Mehrheitsposition sich als alternativlos aufspielt, ist es an der Zeit, der Wert von Minderheitenpositionen zu prüfen. Ist es nicht eine Grundregel unseres Zusammenlebens, Optionen offen zu halten und eben nicht auf der Schiene „alternativlos“ zu fahren? Was ist nicht alles alternativlos, was uns vordem entgegengesetzt alternativlos eingeredet wurde? Ich beschränke mich auf ein, allerdings beeindruckendes Beispiel: Früher wurden Schulleiter administrativ malträtiert, die Schüler mit Behinderungen nicht in Spezialschulen abgaben, sondern im bisherigen Klassenverbund behielten. Heute, nachdem die Schulbürokratie in 180 Grad Wendung auf Inklusion setzt, wird tendenziell in die Gegenrichtung abgemahnt, und ich frage mich, wann Zivilcouragepreise an Schulleiter gehen, die mit guten Gründen im bedachten Einzelfall ihrer radikal geschwenkten Kultusbürokratie nicht folgen. Aus der Analogie zur Konkretion: Für das Pathos, mit dem die Forderung zumeist bei Rotary vorgetragen wird, könnte als ein zentrales Argument sprechen, dass Frauen in Führungspositionen angelangt sind und Rotary an Qualität verliert, wenn die Clubs darauf nicht reagieren. Der erste Teil des Arguments lässt sich empirisch nicht widerlegen, jedenfalls nicht für eine Vielzahl von Berufssektoren. Die Aufnahme von Frauen erweitert somit Rotary nach Breite und Qualität und ist somit ein richtiger, überfälliger Schritt gewesen.

Alleinstellungsmerkmal
Aber was ist mit dem zweiten Teil der These? Verliert Rotary an Qualität, wenn sich nicht ausnahmslos alle Clubs öffnen? Mittlerweile gewinnt der reine Herrenclub in vielen Städten fast ein Alleinstellungsmerkmal. Ich komme aus dem Marketing/der Werbung und weiß deswegen, da ist usp (unique selling proposition) der entscheidende Knaller. Ganz so weit ist es noch nicht, noch sind wir in Frankfurt nicht der einzige Rotary-Herrenclub, aber wir sind nun bereits in der Minderheit. Alles, was nach 1995 gegründet wurde, ist gemischt. Würde unser Club an Nachwuchsmangel leiden, wäre das ein prima Argument in der Debatte um Öffnung oder Nichtöffnung. Das ist aber nicht der Fall. Somit spricht nichts dafür, die bisherige Einfalt („Rotary ist männlich“) durch eine neue Einfalt („Die Rotary Clubs mit Zukunft sind gemischte“.) zu ersetzen. Wer nun meint, dann läge die Gründung des ersten reinen Damenclubs in der Logik meines Gedankengangs, dem kann ich nicht widersprechen.

Kurzum: Ich bin in meinem Club absehbar in der Frauenfrage weiterhin in der Minderheit, die Mehrheit will keine Öffnung. Punktum. Und es sind nicht nur die Älteren, die reiner Herrenclub bleiben wollen. Ich füge mich mit zunehmendem Vergnügen: Herrenclubs brauchen Artenschutz, und wir sollten uns auf die Orte verständigen, wo ihnen dieser ohne Schaden für die rotarische Bewegung insgesamt zu gewähren ist.