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Rotary Aktuell

Am Anfang stand Wien

Tu felix Austria conde – wie Österreich nach 1925 in wenigen Jahren zum rotarischen Musterland und Schrittmacher für Mitteleuropa wurde

Matthias Schütt01.09.2017

Eine der glänzendsten internationalen Veranstaltungen, die Wien seit den Tagen des Wiener Kongresses gesehen hat“ – das war nach Einschätzung des Zeitgenossen Otto Mayr die Rotary Convention 1931. Ein erstaunliches Urteil, wenn man bedenkt, welch repräsentativen Aufwand der österreichische Staat in seiner k.u.k. Epoche entfaltet hatte. 

Die Begeisterung über das gelungene Fest spiegelt eine verbreitete rotarische Euphorie, die sich durch viele Berichte und persönliche Erinnerungen zieht. Im Nachkriegs-Österreich fand der rotarische Zeitgeist einen fruchtbaren Boden. Hier kamen Männer aus Wirtschaft, Verwaltung und Kultur in Rotary zusammen – „eine Beerenauslese wirtschaftlich-geistigen Lebens“, wie die Presse urteilte –, die nach Krieg und Untergang eine ganz neue Welt in Frieden und Fortschritt aufbauen wollten.

Ein spektakuläres Ereignis

Und so zeigten sich die ehemalige Kaiserstadt und die Mitglieder der gerade einmal sieben Clubs im Lande den 4300 Convention-Gästen aus aller Welt von ihrer besten Seite – vor allem mit einem exquisiten kulturellen Beiprogramm: Konzerte, Opern, Redouten und Ausflüge, etwa zum Nachmittagstee im Park von Schloss Schönbrunn inklusive einem Regen von Rosen, abgeworfen von einem rotarischen Piloten. Den Herren wurden Zigarren mit Rotary-Schleife gereicht. Die Convention wurde zum spektakulären Ereignis mit Glanz und Glamour, aber auch interessanten Zahlen. Was sogar die Anerkennung des Satirikers Karl Kraus fand: „Zehn Millionen Schilling haben die Rotarier hiergelassen.“

Man bedenke: Es ist gerade einmal sechs Jahre her, dass 1925 der erste Club in Wien gegründet wurde, in einem Land, das noch wenige Jahre zuvor erbittert bekämpft worden war und 1918 vernichtet am Boden lag. Doch während Deutschland nach dem Versailler Vertrag nur mühsam zurück in die Weltgemeinschaft findet, wird die neue Republik Österreich, so scheint es, schnell wieder gesellschaftsfähig. Zum Beispiel im Völkerbund, schon in seinem Gründungsjahr 1920.

Der Blick geht nach Südosten

Prof. Harald Heppner vom Institut für Geschichte der Universität Graz, der gerade aus Anlass der 90-Jahr-Feier für seinen RC Graz eine neue Clubchronik vorgelegt hat (siehe Rotary Magazin 7/17, S. 85), führt Österreichs Vorsprung bei Rotary – der erste deutsche Club wurde erst zwei Jahre nach Wien in Hamburg gechartert – auf die vergleichsweise unwichtige internationale Rolle zurück. Das kann jedoch nicht der einzige Grund gewesen sein. Denn so, wie der Aufbau in Österreich angelegt wurde, folgte RI damit nicht zuletzt strategischen Erwägungen: Über Wien sollte der mittel- und südosteuropäische Raum für die Organisation erschlossen werden. Nicht zufällig wurden zeitgleich auch in Prag und Budapest erste Clubs in die Gemeinschaft

Antrag des RC Linz auf Aufnahme des Clubs in Rotary International, 19. Februar 1928

Antrag des RC Linz auf Aufnahme
des Clubs in Rotary International,
19. Februar 1928, Foto: RC Linz

aufgenommen. Das Kalkül sollte aufgehen. Österreichische Rotarier nahmen die alten Verbindungen Richtung Adria wieder auf, nun mit dem Rotary-Rad am Revers. Beispielhaft für die erwünschte Missionierung steht der Wiener Bernhard Moritz Gerbel, der bis 1935 insgesamt 33 Clubs in Rumänien, Polen, Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien und Griechenland auf den Weg brachte. Einzelne Clubs kümmerten sich intensiv um ehemalige Provinzen der Doppelmonarchie, wie etwa der RC Linz in der Tschechoslowakei. Der RC Graz wurde zum Mittelpunkt einer Art Kontaktring, in dem die Grazer mit Freunden aus Maribor, Ljubljana, Varaždin, Osijek, Susak und Dubrovnik zusammentrafen.

Diese Aufbauarbeit war nicht nur erwünscht, sie entsprach auch dem Bedürfnis einer vermutlich Eine Postkarte aus Wien mit größerenbürgerlichen Schicht in Österreich, nach den feudalen Zeiten die „unzweifelhaft provinzielle Atmosphäre“ (Heppner) abzuschütteln und eine moderne, weltoffene Gesellschaft zu schaffen. Eine Aufgabe, die manche Rotarier sehr ernst nahmen und gründlich verfolgten, etwa mit dem jahrelangen Englischunterricht, den der Grazer Rotarier Werner Dietzschold immer vor den Meetings seinen Clubfreunden anbot.  

Parallel dazu profilierten sich Einzelne auf höherer Ebene. Geradezu eine Blitzkarriere legte der Industrielle Otto Böhler hin. Der Mitgründer des Wiener Clubs und Präsident des Jahres 1927/28 rückt noch vor seinem Governor-Jahr 1929 als Erster Vizepräsident in den Zentralvorstand von RI auf. Ihm gelingt das Kunststück, London, Paris und Nizza auszustechen und die Convention 1931 nach Wien zu holen. 

Die Charterurkunde des RC Bad Ischl
von 1929, die nach manchen Wirrungen mit
Glück
aus dem Sperrmüll gerettet wurde
Foto: 
Bad Ischl, Sammlung Wolfgang Ziegler

 

Postkarte, Rotary Convention Wien, Wien

 

Eine Postkarte aus Wien mit 
Rotary-Kunst, Foto: RC Linz

 

 

 Englische Paten

Doch zurück zur ersten Clubgründung. Erste vorsichtige Überlegungen dazu gab es schon 1921. Der Industrielle Oskar Berl brachte die Idee aus den USA mit. Doch erst zwei Ausländern gelang es, daraus einen Club zu formen: Der englische Gründungsbeauftragte Frank Molloy, RC Doncaster, und Fred Warren Teele (USA), RI-Ausbreitungsbeauftragter für Europa, erarbeiteten im Sommer 1925 eine Liste von 30 Kandidaten, die sich am 31. Oktober des Jahres zum RC Wien zusammenfanden – unter den Gästen eine über 20-köpfige Delegation aus England. Der junge Club wuchs schnell, meldete Ende 1925 bereits 45 Mitglieder und erreichte 1930 die 100. Zu den Mitgliedern der ersten Stunde gehörten Richard Thonet aus der berühmten Möbeldynastie, der Industrielle Max Wertheimer und der Operettenkomponist Franz Lehár („Die lustige Witwe“).

Kaum gechartert, wurden die neuen Rotarier selbst als Gründer aktiv: Gemeinsam mit dem RC Zürich entsteht 1926 in Salzburg ein Club, Mitte 1927 folgt Graz. Weitere Clubgründungen kommen in dichter Folge hinzu: Linz und Innsbruck 1928, Klagenfurt, Bad Ischl, Wiener Neustadt, Steyr, Baden und Villach. Die Entwicklung, die in Deutschland erst 1927 einsetzt, erlaubt es, bereits 1929 mit acht Clubs in Deutschland und sieben in Österreich den Distrikt 73 einzurichten.

Mit Villach jedoch versiegt 1932 schlagartig die Gründungsenergie im Alpenland. Bis 1938 und dem Verbot der österreichischen Clubs nach dem Anschluss an das Deutsche Reich werden keine weiteren Clubs gegründet, die Gesamtmitgliederzahl stagniert bei knapp unter 400.

Der langjährige, im Jahr 2015 verstorbene Österreich-Korrespondent des Rotary Magazins Heinrich Marchetti, RC Gmunden, teilt die Vorkriegsphase Rotarys in Österreich in zwei Halbzeiten: Die dynamische Aufbauphase endet mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Berlin 1933. Die zweite Phase bis 1938 spiegelt Abstiegsängste infolge wirtschaftlicher Krisen, politischer Verwerfungen und spezieller Hindernisse der rotarischen Arbeit wie etwa der 1000-Mark-Sperre der NS-Regierung, die Deutsche beim Grenz­übertritt zu entrichten hatten. Eine gemeinsame Distriktarbeit war so über Jahre kaum möglich.

Charterfeier RC Linz, 1928, Linz, Österreich

Charterfeier des RC Linz im Jahr 1928, Foto: Rotary International

 

Dem Glanz der Convention folgten unmittelbar die Hungerjahre der Weltwirtschaftskrise. Damit wird die Sozialfürsorge zu einem neuen Betätigungsfeld, in dem sich Rotary Clubs hervortun, allen voran der RC Wien: Er richtet Mittagstische ein und versorgt 400 Menschen täglich mit einer warmen Mahlzeit; über 110.000 Essen habe man damals gereicht, heißt es in einer Clubchronik. Der RC Graz kümmert sich bereits seit 1928 um ein abgelegenes Bergdorf an der Südgrenze, dessen Bewohner mit Kleidung, Nahrungsmitteln und anderen Hilfen versorgt werden. Als zweiter neuer Bereich wird 1929 der Jugenddienst aufgebaut mit jährlichen Jugendcamps und Reiseangeboten nach Westeuropa.

Selbstauflösung

Die Politik spielt allenfalls eine Randrolle im Cluballtag. Beim Durchblättern der Clubzeitschrift Der Grazer Rotarier findet Heppner kaum Hinweise auf die dramatischen politischen Ereignisse in den Dreißigerjahren. Dennoch sind die Auswirkungen der deutschen Politik jederzeit spürbar, in Diskussionen um Ausschlussregeln für Freimaurer und „nichtarische“ Kandidaten oder als der Kontakt nach Deutschland unterbrochen wird: Weil 1936 in der gemeinsamen Mitgliederzeitschrift Der Rotarier für die Wahl Hitlers geworben wurde, unterband die Regierung in Wien mit einer Pressesperre die Auslieferung. Nachdem die 1000-Mark-Sperre 1936 gefallen war, kam es zwar noch einmal zu einer Distriktkonferenz in Salzburg mit 250 Teilnehmern aus Deutschland – und auch zu neuen Plänen für Clubgründungen in Wels, St. Pölten und Mödling. Doch schon dafür ließen sich nicht mehr die notwendigen Mitglieder finden. Auch der Besuch von Paul Harris noch im Juli 1937 kann nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass die Tage Rotarys in Österreich gezählt sind.

Mit der Selbstauflösung der deutschen Clubs zum 15. Oktober 1937 verblieben nur mehr elf österreichische Clubs im Rumpfdistrikt 73. Bis zum 18. März 1938, also noch einige Tage nach dem Anschluss Österreichs an NS-Deutschland, führte Franz Schneiderhan (RC Salzburg) als Governor den Distrikt. Er hatte dieses Amt bereits im Vorjahr ausgeübt, war anschließend als Direktor in den RI-Zentralvorstand aufgerückt, übernahm dann aber als Nachfolger von Hugo Grille (Berlin) erneut die Verwaltung der Distriktgeschäfte.  

Die Auflösung erfolgte unter zum Teil dramatischen Umständen. Marchetti berichtet, dass Schneiderhan unter Mitnahme von Rotary-Dokumenten in den Bergen verschwindet und später tot aufgefunden wird. „Ein weiteres Drama am Rande: Der erste und langjährige Präsident des RC Innsbruck, Friedrich Reitlinger, und seine Tochter, assimilierte jüdische Mitbürger, kamen im März 1938 unter noch ungeklärten Umständen ums Leben.“

Wie in Deutschland lassen sich aber auch hier die Rotarier nicht einfach auseinandertreiben. Im RC Graz traf sich ein Großteil der Mitglieder auch weiterhin, und als es „einfach so“ zu gefährlich wurde, gründete man einen Kegelclub. Die Kontinuität stellte Hans Seewann sicher – er war bei Rotary wie im Kegelclub all die Jahre Schatzmeister. Nicht überall scheint es indes so selbstverständlich weitergegangen zu sein. In Wien, schreibt Past-Gov. Max Vladimir Allmayer-Beck in einem Rückblick zum 50. Clubjubiläum, wäre die Aussage unwahr, „dass in diesen bösen Zeiten von einem besonderen Zusammenhalt der Mitglieder gesprochen werden könnte. Es ist sicher besser, sich nicht mehr daran zu erinnern.“  

Zur Convention 1931 erschien ein Fünfersatz
mit
Rotary-Briefmarken.
Foto: Sammlung Wolfgang Ziegler 
Ernst Prinzhorn war im RC Wien
und in den Jahren 1932–1934
Governor. Foto: Sammlung Wolfgang Ziegler 

  

Nach dem zweiten Krieg

Während der Neuaufbau staatlicher Strukturen in Österreich und Deutschland unterschiedlich verläuft – die Republik Österreich wird noch 1945 erneut bestätigt, erhält allerdings erst 1955 volle Souveränität –, gibt es beim Wiederbeginn bei Rotary manche Parallele. Hier wie dort tauchen die Freundeskreise bald wieder aus dem Untergrund auf, bereits im Mai 1946 meldete Georg Beurle für den RC Linz der oberösterreichischen Landeshauptmannschaft (Landesregierung) eine offizielle Versammlung seines Clubs. Man wählte einen neuen Vorstand, hatte aber noch keinen Kontakt zu RI. Erst im Oktober 1947 kündigt das Büro Zürich die Wiedergründung einiger Clubs an – allerdings nicht des RC Wien, der erst 1953 offiziell wieder tätig werden darf.

Wolfgang Seitz, Archivmeister im RC Linz, berichtet von einem Meeting im Januar 1949 und dem dazu abgefassten Bericht Nummer 519, der nahtlos anschließt an den Bericht 518 vom 2. März 1938. Die offizielle Wiedergründung indes dauerte noch bis zum Februar 1950. Der unermüdliche Beurle und im jährlichen Wechsel drei weitere Freunde werden für RI als „Rotary Adviser“ Wieder- und Neugründungen weiter vorbereiten. 1956 schließlich gibt es einen eigenen Distrikt mit der Nummer 99 (später 181). Hier versammeln sich elf Vorkriegs- und zwölf neue Clubs, „zusammen 23 Clubs waren die Bilanz der ersten zehn Jahre in Österreich“, schreibt Marchetti. Die Mitgliederzahl lag bei 555.

Der weitere Ausbau verläuft schleppend: In den folgenden zehn Jahren kommen acht Clubs hinzu, allerdings verdoppelt sich die Mitgliederzahl. 1970 sind es 44, ein Jahrzehnt später dann 60 Clubs. Heute sind es in zwei Distrikten rund 150 Clubs mit 7700 Mitgliedern. Internationale Anerkennung findet Rotary Österreich vornehmlich durch seinen Jugenddienst, so wurde schon 1964 der erste Interact Club in Gmunden gegründet. 

Doch die große internationale Bewährung sollte erst noch kommen: Als 1989 der Eiserne Vorhang fiel, übernahmen die zwei Distrikte 1910 und 1920 aus eigenem Antrieb die Aufgabe, wie nach 1925 wieder den Aufbau in Mittel- und Südosteuropa zu steuern. So engagierte sich der westliche Distrikt 1920 beim Aufbau in Tschechien und der Slowakei, deren Clubs 1999 in den eigenen Distrikt 2240 entlassen werden konnten. Der Distrikt 1910 hingegen übernahm den Aufbau in Ungarn, Kroatien, Slowenien sowie Bosnien-Herzegowina. Bis auf das letztgenannte Land konnten inzwischen alle in eigene Dis­trikte überführt werden. Wie in den Zwanzigerjahren gelang den Rotariern in Österreich damit noch einmal eine beeindruckende Aufbauleistung.


Der Beitrag beruht auf den verschiedenen Veröffentlichungen des Historikers Heinrich Marchetti (1947–2015) zur Rotary-Geschichte in Österreich. Er hat unter anderem in dem Aufsatz „Rotarische Mit-Vergangenheit in Österreich und Deutschland 1933 bis 1945“ (2010) wertvolle Fakten zusammengetragen.

 

Foto: Sammlung Wolfgang Ziegler 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Jahr 1926 komponierte Franz Lehár eine Rotary-Hymne. Das Stück zum Anhören gibt es hier

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.