Editorial
Ausgewachsen?
Gewinner und Verlierer der neuen Globalisierung
Die Coronapandemie wird nicht das Ende der Globalisierung bedeuten. Doch sie zwingt uns, Modalitäten zu erfinden, bei denen ein neues Gleichgewicht zwischen den unbestreitbaren Vorteilen und den unbestreitbaren Nachteilen einer neu zu denkenden Globalisierung entstehen kann. Ein solcher Vordenker ist Anders Indset. Der norwegische Wirtschaftsphilosoph erkennt eine radikale Globalisierung des Digitalen bei einer gleichzeitigen Deglobalisierung in den Bereichen Handel, Mobilität und Ernährung. Er führt aus, was Deutschland braucht, um als Gewinner aus dem „digitalen Tsunami“ hervorzugehen. Um Gewinner und Verlierer geht es auch in dem Beitrag von Shalini Randeria. Die Sozialanthropologin beschreibt eindringlich, wie soziale Ungleichheit im globalen Norden und Süden die Globalisierungserfahrung prägt. Die gegenwärtige Not von Millionen von Menschen sei auch ein Ergebnis der jahrzehntelang von internationalen Kreditgebern verordneten Austeritätspolitik, so Randeria.
„Wollt ihr das wirklich?“ fragt Johan Norberg. Der Autor des Bestsellers „Das kapitalistische Manifest“ sieht den Lockdown während der Coronapandemie als Vorschau auf eine deglobalisierte Welt. Es sei eine weltweite Depression mit Massenarbeitslosigkeit und in vielen Ländern Armut und Hunger. Wir sollten uns darauf besinnen, so der schwedische Politologe, dass Spezialisierung und Arbeitsteilung zum besten Vierteljahrhundert in der Geschichte der Menschheit geführt hätten, was Gesundheit und Wohlstand betrifft.
Die Antisemitismus-Debatte um den Historiker Achille Mbembe zieht immer weitere Kreise und hat mittlerweile die höchste politische Ebene erreicht. Namhafte israelische und jüdische Forscher, Gelehrte und 700 afrikanische Intellektuelle haben sich in mehreren Initiativen mit Briefen an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Innenminister Horst Seehofer und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewandt und fordern die Entlassung des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein. Dieser hatte die Debatte mitausgelöst, in dem er Mbembe Israelfeindschaft und die Relativierung des Holocaust in dessen Schriften vorwarf. Der Historiker Michael Wolffsohn, die Friedenspreisträgerin Aleida Assmann, der Historiker Thomas Weber und der Afrikanist Andreas Eckert debattieren über die Causa Mbembe, das Verhältnis der postkolonialen Forschung zur Holocaust-Forschung, die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte und über Deutschlands Antisemitismusbegriff. Und Achille Mbembe selbst verlangt in seinem Gastbeitrag stärker als je zuvor „das allgemeine Recht aufs Atmen“.
Indien gilt seit 2014 als poliofrei, doch das heißt nicht, dass die Gefahr eines erneuten Ausbruchs gebannt ist. Große Anstrengungen sind vonnöten, um Jahr für Jahr 170 Millionen indische Kinder mit dem Impfstoff zu versorgen. Dave King, Herausgeber des Rotary Magazins für Großbritannien und Irland, schildert eindrucksvoll seine Erfahrungen vom diesjährigen Nationalen Impftag in Neu Delhi.
Es grüßt Sie herzlichst Ihr
Björn Lange
Stellvertretender Chefredakteur
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