Editorial
Das Beben in unserer Mitte
Tausende kleine und mittlere Unternehmen in Schieflage
In den kommenden Wochen und Monaten geht es um nicht weniger als die Existenz des Mittelstands, um das Rückgrat unserer Gesellschaft, das diesem Land überhaupt erst Wohlstand gebracht hat. Angesichts von Krisen, Krieg und Inflation geraten schon jetzt Tausende kleine und mittlere Unternehmen in Schieflage. Unternehmen, ohne die das Land nicht funktioniert. Auch bei Rotary gibt es zahlreiche Firmenlenker, die mit großer Sorge in die Zukunft schauen. Wir haben 18 rotarische Unternehmerinnen und Unternehmer aus Deutschland und Österreich nach ihren Sorgen, Strategien und Wünschen gefragt. Ihre Antworten zeugen nicht nur von Existenzangst, sondern auch von hoher Innovationskraft, großem Kampfgeist und sogar Zuversicht. Elf ausgewählte Stimmen aus dem Mittelstand lesen Sie im Magazin, die ungekürzten Antworten und weitere sieben Statements finden Sie auf rotary.de.
Einer der bekanntesten Unternehmensberater Deutschlands ist Hermann Simon. Er ist der Begründer des Begriffs „Hidden Champions“, meist familiengeführte Unternehmen, die im Verborgenen arbeiten und Weltmarktführer eines bestimmten Produktes sind. Normalerweise spricht er über die Kraft des Mittelstands im Allgemeinen und von Familienunternehmen im Besonderen, über ihre Resilienz und Anpassungsfähigkeit. Im Interview zum Auftakt unserer Titelgeschichte sagt er aber: „Wir befinden uns in einer äußerst gefährlichen Situation für viele mittelständische Unternehmen“. Mit Blick auf die Maßnahmen der Bundesregierung schiebt er nach: „Das Wirtschaftsministerium wird von Leuten geführt, die von Wirtschaft wenig verstehen.“
Angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage des Landes ist es erstaunlich ruhig. Wer die rege Reisetätigkeit der Deutschen in den Herbstferien zur Kenntnis nimmt und gut besuchte Restaurants sieht, mag zu dem Schluss kommen, dass es viele Deutsche noch nicht recht verstanden haben, dass die von zahlreichen Ökonomen angekündigte Rezession auch die gesellschaftliche Mittelschicht erschüttern wird. „Bei der Normalisierung des Alltags inmitten einer Gefahrensituation kann das Weiterführen von vertrauten und beliebten Routinepraktiken einerseits Beruhigung und Widerstandskraft vermitteln. Andererseits kann diese dazu führen, dass der rettende Musterwechsel angesichts einer Katastrophe zu spät vorgenommen wird“, schreibt der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer. Und der Wirtschaftsethiker Nils Ole Oermann fragt: Was, wenn die Rezession mehr Bedürftige hervorbringt? Seinen Artikel über das Verhältnis von Philanthropie und staatlichen Kernaufgaben bei der Krisenbewältigung lesen ebenfalls im Magazin.
„Das Ahrtal soll wieder erblühen“ steht an einer Häuserwand in Dernau, eines der Dörfer im Ahrtal, die das Jahrhunderthochwasser vom Juli 2021 am schlimmsten getroffen hat. Mindestens 134 Menschen verloren in den Fluten ihr Leben, andere die beruflichen oder privaten Grundlagen ihrer Existenz. Mehr als ein Jahr nach dem großen Schock ist zwar bei vielen Menschen die Aufbaueuphorie verflogen, doch die Zuversicht zum Teil zurückgekehrt. Daran hat auch Rotary seinen Anteil, denn während staatliche Hilfen vielerorts noch immer auf sich warten lassen, haben rotarisch organisierte Hilfen sofort gegriffen. Unser Redakteur Florian Quanz war im Ahrtal und in Hagen unterwegs, wo er auf erschöpfte Landschaften und noch erschöpftere Rotarier traf. Claudia Rössling-Marenbach und Rolf Schlipköter begleiteten ihn durchs Ahrtal, Thomas Spruth und Hermann Backhaus durch Hagen.
Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht
Björn Lange
Chefredakteur
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