Peters Lebensart
Deutsch-französische Gastronomie-Freundschaft
Von Küchlein zu Quiche und von Frites zu Fritten
Wenn ich in Paris im XI. Arrondissement absteige, schaue ich manchmal ins Café Germanophile. Anders als vielleicht erwartet, treffe ich dort weniger deutsche Expats als Franzosen, die von kulinarischen Berlin-Erlebnissen und der Vielfalt deutscher Biere schwärmen. Legendäre Brasserien wie Lipp oder Bofinger, die elsässisches „choucroute royale“ servieren, beweisen ebenso wie Helmut Kohls Saumagendiplomatie, die einst den Innereien-Gourmet Jacques Chirac entzückte, dass der gastronomische Kulturtransfer nicht nur einseitig verläuft.
Gerne wird ja seit Goethes
Zeiten ein kulinarischer Graben zwischen uns und der Grande Nation thematisiert – sicher nicht ganz zu Unrecht. Der Olympier hatte notiert, Weiß- und Schwarzbrot sei das eigentlich trennende Schibboleth zwischen Deutschen und Franzosen. Was er noch nicht wissen konnte: das täglich Brot der heutigen Franzosen, Baguette und Croissant, ist ein Wien-Import! Der Liberale August Zang floh vor der Reaktion der Metternich-Ära nach Paris und eröffnete dort eine Boulangerie Viennoise mit modernsten Dampfbacköfen, die Kipferln und die Technik, knuspriges „Taktstockbrot“ zu backen, populär machte. Weitere Überraschung: Auch die Quiche, Frankreichs erfolgreichstes Fast Food, ist sprachlich nichts anderes als ein „kichel“ (küchlein) aus Lothringen, wo man bis ins 19. Jh. moselfränkisches Deutsch sprach.
Selbst die Haute Cuisine ließ sich vom germanischen Nachbarn inspirieren: Alexandre Dumas verrät in seinem Lexikon der Kochkunst das Rezept für „hamburgeoise“ – Hamburger Aalsuppe! Und „sauce allemande“, eine mit Champignon, Dotter und Kalbsfond verfeinerte Edel-Mehlschwitze muss jeder Michelin-Koch ebenso hinkriegen wie die obligate „bavaroise“, die Bayerische Creme, die im Ersten Weltkrieg schon mal hektisch in „moscovite“ umgetauft wurde. Andere Produkte wie Mainzer oder Westfälischer Schinken weisen heute nicht mehr die handwerkliche Qualität auf, die sie einst westlich des Rheins zu begehrten Delikatessen machten. Manchmal kann echte Bistro- oder Bouchon-Küche heftig an unsere verschwindende Hausmannskost erinnern. Lyoner Schweinegrieben, Hering mit Zwiebeln und Kartoffeln, angemachter Schichtkäse, Kalbskopf, nicht zu vergessen Beuschl oder „beuchelle“ – „tripes“ oder Kutteln. Gerade was verpönte Innereienschmankerln angeht, könnten sich Süddeutschland, die Heimat Macrons und der Macarons und Österreich brüderlich die Bestecke reichen.
Diplomatischer Clash of Cuisines? Kann passieren: Die Fettnäpfchen der Peinlichkeit untergeschnallt hatten deutsche Abgeordnete, die beim Chef du protocole des Élysée intervenierten, um das Festdiner zum 40-jährigen Jubiläum der deutsch-französischen Freundschaft zusammenstreichen zu lassen. Wie gefestigt diese Freundschaft mittlerweile trotzdem ist, lässt sich daran ablesen, dass 2008 bis 2017 die heiligste Würde der nation culinaire, die Chefredaktion des Michelin, der Deutschen Juliane Caspar anvertraut wurde! Andere, wie der Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann, pilgerten enthusiastisch über den Rhein, ließen sich in der elsässischen Anlaufstation Auberge de l’Ill einweihen und titelten ihre Rezepte noch in den 1970ern französisch. Kein Wunder, denn spätestens seit dem Wiener Kongress kommt die feinere deutsche Küche ohne Frankreichs kulinarische DNA nicht aus. Und nicht nur die: Man stelle sich vor, unsere Eckkneipen und Currywurstbuden müssten ohne Buletten, Fritten und Mayo(nnaise) klarkommen!
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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