Porträt
Gefährdungen im Tropenparadies
Rotary Peace Fellow Birgit Hermann versucht in Osttimor die Lebensverhältnisse der Küstenbewohner mit dem Schutz des Meeres in Einklang zu bringen.
Auch so geht Homeoffice: Wenn sich Rotary-Friedensstipendiatin Birgit Hermann (40) als Landeschefin für Osttimor der britischen Meeresschutz-NGO Blue Ventures um sieben Uhr früh mit ihrem Team kurzschließt, überbrückt sie mal eben 12.500 Kilometer. Eigentlich wäre sie nur die üblichen zwei, drei Wochen auf Heimaturlaub in Heilbronn, doch in Coronazeiten muss (oder darf) sie verlängern. Der Preis dafür sind tägliche Online-Konferenzen mit den 15 Mitarbeitern in Südostasien.
Internationaler Berufsweg
Osttimor, offiziell: Timor-Leste, ist nicht einmal so groß wie Schleswig-Holstein und einer der jüngsten Staaten auf der Weltkarte. Erst vor rund 20 Jahren konnte die frühere portugiesische Kolonie, die nach der „Nelken-Revolution“ 1974 unabhängig geworden war, die indonesische Zwischenherrschaft abschütteln. Das soziale Gefüge der 1,3 Millionen Einwohner wird von 16 Ethnien geprägt, die noch weitgehend in traditionellen Familien- und Wirtschaftsstrukturen leben.
Blue Ventures versucht dort im Bereich der Fischwirtschaft zwei gegenläufige Interessen zusammenzuführen: die Entwicklung ressourcenschonender Konzepte zur Existenzsicherung der Küstenbewohner und die Bewahrung einer einzigartigen Meeresfauna. „Wir arbeiten dazu auf mehreren Ebenen“, erläutert Hermann. „Einerseits mit Datenerfassung und Überwachung der Fischbestände, andererseits schauen wir nach Alternativen zur Einkommenssicherung. Dazu gehört traditionelles Handwerk, aber auch neues Micro-Business wie familienbetriebene Gästehäuser.“
Die Perle im Korallendreieck Südostasiens ist ein Paradies, vor allem für Taucher. Entsprechend groß ist der Druck der internationalen Tourismusindustrie, dem die einheimischen Strukturen standhalten müssen. Eine spannende berufliche Herausforderung und persönlich eine entscheidende Zäsur. In diesem Kleinstaat endete eine Odyssee im doppelten Sinn: Einerseits war Hermann beruflich dort angekommen, wo sie immer hinwollte, in der Entwicklungszusammenarbeit, andererseits bot ihr der „magische Ort“ einen Anker, nachdem sie buchstäblich die ganze Welt erkundet hatte.
Angefangen hatte alles mit der Idee, nach dem Abitur als Au-pair in den USA richtig Englisch zu lernen. Dort wurde ihr klar, dass der Berufsweg in ter national werden sollte. Dem Bachelor-Studium in Deutschland und einem ErasmusJahr in Spanien folgte deshalb ein Master in Internationaler Kommunikation in Neuseeland, mit diversen Praktika im Ausland. Bevor sie jedoch ihr eigentliches Berufsziel ansteuern konnte, musste sie noch einen Umweg einlegen: über die Stadtverwaltung der Metropole Auckland, Abteilung Internationale Beziehungen.
Per Rad von Kairo nach Kapstadt
Die Erfahrungen in der Verwaltung kommen ihr heute zugute: Sie kann Bürokratie, wie sie lächelnd bestätigt, Konzepte entwerfen, Projektanträge schreiben und zwischen verschiedenen Entscheidungsträgern vermitteln. Nach einer Auszeit in Afrika, die noch einmal neue Einblicke in verschiedenen Ländern brachte und auch ihren sportlichen Ehrgeiz anstachelte – mit dem Fahrrad von Kairo nach Kapstadt –, ging es zurück nach Auckland und diesmal wirklich in die Entwicklungsarbeit.
Was bei diesem bunten Berufsweg zu kurz kam, findet sie jetzt bei Rotary: Sie ist Stipendiatin des Peace-Fellow-Programms, allerdings nicht im Master- Studiengang, sondern bei den Berufspraktikern. Ein Jahr lang widmet sie sich berufsbegleitend an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok/ Thailand vorrangig der Frage, wie sich in Gesellschaften die unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Interessenlagen ausbalancieren lassen.
Frischer Blick auf die Arbeit
Das bleibt in diesem Jahrgang leider vor allem Theorie – denn Corona regiert auch hier den Studienplan. „Alles findet per Online-Konferenzen statt, das heißt: vier Monate am Stück jeweils 15 Wochenstunden Unterricht“, bedauert Hermann. Was ihr besonders fehlt: „Der Austausch mit anderen, der Small Talk. Da erfährt man oft mehr als aus akademischen Texten.“ Andererseits: „Was ich hier lerne über Leadership-Methoden, Projektmanagement, Mediationstechniken, gibt mir einen frischen Blick auf meine Arbeit. Die eigene Position zu reflektieren, was man will und wie man dahin kommt, dafür ist im Alltag leider kaum Platz.“
Zur Person
Birgit Hermann, Jahrgang 1981, ist eine Frau, die Kilometer frisst: in ihren Reisen um die Welt zwischen Heilbronn, London, Auckland und Osttimor und auch sportlich auf dem Mountainbike und beim Marathon. Neben ihrer Arbeit als Landeschefin in Osttimor ist sie Mitglied im Senior-Management-Team der NGO Blue Ventures, die auch in Madagaskar und Belize tätig ist. Für das Rotary-Stipendium wurde sie vom RC Mangere Auckland ausgewählt.
Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.
Weitere Artikel des Autors
10/2024
Weinbau-Kulturerbe in Gefahr
9/2024
Heiter bis wolkig
10/2023
Ombudsmann für Geflüchtete
9/2023
Das Team hinter dem Team
8/2023
30.000 Tulpen für ein Ziel
8/2023
In Kürze
7/2023
Passport-Club startet erfolgreich
6/2023
Trinkwasser für die Ukraine
6/2023
In Kürze
6/2023
Blutspender dringend gesucht
Mehr zum Autor