Peters Lebensart
Integration in der Eisdiele
Peter Peter über die Stile des Speiseeises in Deutschland
Es ist heiß, und ich will ein Eis. Nichts leichter als das, wenn auch die sinnesbetäubende Auswahl an Aromen, Farben und Geschmacksrichtungen einen in Entscheidungsnöte stürzen kann: Mango-Zimt, Holunder-Basilikum, Amalfi-Zitrone, laktosefrei mit Sojamilch, oder fettreduziertes Joghurt-Gefrorenes mit Rhabarber? Der Wiener Eiskaiser Tichy serviert Eismarillenknödel und Grüner-Veltliner-Eis, die Gelateria San Crispino in Rom friert sardischen Erdbeerbaumhonig oder kalabresische Lakritze zu Edel-Gelato, und in Bayern ereifern sich die Gemüter über Weißwurst- und Senfeis. Längst ist die deutschnationale Fürst-Pückler-Trias von Vanille, Schokolade, Erdbeere (eigentlich Himbeere!) von einer Kreativität abgelöst worden, die unsere wachsende Neugier auf Geschmackssensationen und die Experimentierfreude der Spitzenküche widerspiegelt – Molekularköche haben gezeigt, dass süß beim Eis kein Dogma mehr ist.
Unter islamischem Einfluss
Am Anfang der Eisgeschichte war der aufwendige Wettlauf mit der Zeit. Ob vor Jahrtausenden in China oder um 800 in Persien, zunächst ging es darum, Natureisblöcke oder Press-Schnee in Gruben bis in die heiße Jahreszeit zu konservieren – um darin Granatapfelsaft oder Mandelmilch zu Scherbetts oder Sorbets abzukühlen. Märchenhaft muten die Notizen an, dass im Kairo des elften Jahrhunderts wöchentlich eine syrische Kamelkarawane mit Schnee vom Libanon eintraf. Als erste Europäer entwickelten die Sizilianer unter islamischem Einfluss eine Eiskultur – mit Schnee vom Ätna, um ihre Cassata mit kandierten Früchten zu frosten. Bis heute ist Granita-Wassereis von Blutorangen, Zitronen, Maulbeeren oder Mandeln das kanonische Sommerfrühstück zwischen Catania und Messina.
Der Sizilianer Procopio de Cultellis eröffnete 1686 den ersten Eissalon nördlich der Alpen, das noch heute existierende Café Procope in Paris. Vom 19. Jahrhundert an schlug die Stunde der Wandereismacher aus den Dolomiten, die in der Sommersaison ihre Heimatdörfer verließen, ihre Kreationen auch in Deutschland anboten und das einstige Luxusprodukt zur sommerlichen Volksnahrung machten. Nicht mehr das Parfüm exotischer Zitrusfrüchte, sondern sahniges, rahmiges Alpeneis beherrschte nun den Geschmack. Nebenbei haben diese Eismacher Integrationsgeschichte geschrieben – in der Eisdiele, die es bis heute in jeder deutschen Stadt gibt, haben wir unsere Italiener schon als Kinder lieben gelernt.
Eiscreme ist ein wundervoller Parameter für die kulinarischen Sehnsüchte unserer Gesellschaft. Da gibt es das Lifestyle-Werbungseis aus der Tiefkühltruhe, das jeder aus dem Kino kennt; da gibt es Franchise-Marken, die mit Schweizer, italienischer oder mit bewusst unaussprechlicher pseudo-dänischer Herkunft werben wie das amerikanische Häagen-Dazs. Aber es gibt auch eine wachsende Sehnsucht nach der kleinen Eismanufaktur um die Ecke, die höchsten Wert auf die Rohstoffe legt und gerne ihre Kreationen, etwa Buttermilch-Sanddorneis, wie einst unter blank polierten Edelstahlhauben versteckt. Doch mein ganz persönlicher Eistraum ist immer noch eine Diele, die drei verschiedene Sorten Johannisbeereis anbietet – ganz einfach aus puren schwarzen, roten und weißen Früchten.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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