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Rotary aktuell

Was Rotary ist – fünf Essentials

Rotary aktuell - Was Rotary ist – fünf Essentials
Im Zeichen der Freundschaft (v.l.): Silvester Schiele, Montague Bear, Paul Harris, Bernard E. Arntzen, Rufus F. Chapin, Harry L. Ruggles und Robert Fletcher bei einer Wiedervereinigungsfeier einiger Gründungsmitglieder des ersten Rotary Clubs im Dezember 1942. © Rotary International

Vor 115 Jahren wurde Rotary gegründet. Zeit zu fragen, wie aktuell die Ideen von damals sind, was das weltweite Netzwerk auszeichnet und wie es besser werden kann.

Henning von Vieregge01.02.2020

Der damalige Präsident von Rotary International, S. David Guernsey, hat einen Beitrag im Rotarian im Oktober 1947 unter die Frage gestellt: „Can We Keep Rotary Simple?“ Er hat der Organisation ein starkes Wachstum vorhergesagt. Aber wirkliche Weiterentwicklung setze voraus, dass jedes neue Mitglied wisse, was Rotary ist und was die Aufgabe des einzelnen Mitglieds ist. Diese Aussage ist so aktuell wie damals.

Bereitschaft, etwas preiszugeben
Ob die Gründer von Rotary, als sie sich am 23. Februar 1905 zusammentaten, ganz bewusst darauf geachtet haben, aus verschiedenen Berufen zu kommen? Jedenfalls ist dies ein Merkmal von Rotary. Wer auf diese Weise die Chance hat, die beruflichen Scheuklappen abzulegen, bekommt mehr von der Welt mit. Daraus hat sich das Ritual entwickelt, das bei jedem Treffen jemand, zumeist aus dem eigenen Club, einen Vortrag hält. Oft gibt es dazu noch das Angebot aktueller fünf Minuten, in dem Mitglieder auf Fragen eingehen, die sich viele Menschen gerade stellen. Aufgrund des hohen Sachverstands, der in aller Regel in den Clubs zu fast allen Fragen vorhanden ist, ist es nicht selten, dass das Mitglied auf diese Weise Insiderund Hintergrundwissen vermittelt bekommt. Wer im Club aufgenommen werden soll, hält einen Vortrag, der überzeugen muss. In den meisten Clubs ist es zudem üblich, dass das neue Mitglied einen Lebensbericht gibt. Der enthält mehr als die bewältigten Karriereschritte. Erwartet werden Ehrlichkeit, Reflexion und die Bereitschaft, von sich etwas preiszugeben. In der Regel werden Gäste bei den Lebensberichten hinauskomplimentiert und es gibt auch kein Protokoll. In einigen Clubs werden Lebensberichte wiederholt. So kommen auch lang gediente Mitglieder in die Situation, den Neumitgliedern Rede und Antwort zu stehen. Es liegt am Präsidenten, ob er sein Dienstjahr unter ein Motto stellt, das dann Leitschnur bei der Vortragsauswahl ist. In jedem Fall ist die Qualität der Vorträge Merkmal der Qualität des Clubs.

Die zweite Besonderheit von Rotary steckt im Namen: Rotation. Auch im Zeichen dokumentiert: das Rad, das sich weiterdreht. Präsidenten, Governors und Weltpräsidenten üben ihr Amt nur ein Jahr aus. Anderthalb Jahre vorher werden sie gewählt. Sie haben eine lange Zeit der Vorbereitung und bleiben nach ihrer Dienstzeit noch für ein weiteres Jahr in der Verantwortung. Die einjährige Rotation stellt sicher, dass in jedem Jahr die Akzente etwas anders gesetzt werden. Das hilft gegen Routine. Die Begrenzung der Dienstzeit auf ein Jahr ermöglicht es Menschen, die beruflich sehr eingespannt sind, das Amt gleichwohl zu übernehmen. Die lange Vorlaufzeit, ergänzt durch Seminarangebote, die teilweise Pflicht sind, dient der Vorbereitung. Eine Rotation hat auch Nachteile. Der jährliche Wechsel führt dazu, dass manches Rad neu erfunden wird. Niemand erinnert sich nach einigen Jahren, was man mal beschlossen hatte. Je größer eine Organisation wird, desto mehr ist sie auf Kontinuität und Professionalität angewiesen. Ehrenamtlichkeit tendiert außerhalb der genannten Ämter zu längeren Dienstzeiten und braucht zudem die Ergänzung durch das Hauptamt.

Von allem die Hälfte
Bei einer weltweit agierenden Organisation wie Rotary muss immer wieder der Frage nachgegangen werden, ob in Rotary noch genug Rotation ist. Überbordende Bürokratie erstickt das Besondere der Freiwilligenarbeit. Zu wenig Bürokratie birgt die Gefahr zu großer Unordnung und zudem der Selbstbedienung. In allen Organisationen mit Ehrenamt und Hauptamt stellt sich immer wieder die Frage, ob das Hauptamt dem Ehrenamt dient oder sich der umgekehrte Anspruch eingeschlichen hat. Das gilt auch für Rotary. Auf die Frage, ob es zum bürokratischen Hang zur Zentralisierung genug Gegengewicht gibt, durch das auf Dezentralisierung und der Ehrenamtlichkeit angemessene Inanspruchnahme geachtet wird, muss die Antwort lauten: „Keep Rotary Simple“. Das lässt sich messbar formulieren: von allem die Hälfte. Das gilt auch für die Informationsangebote. Sie müssen gemanagt werden. Weder Governors noch Präsidenten dürfen durch ein Überangebot überfordert und verunsichert werden. Die Herausarbeitung von Gemeinsamkeit hat ihre Grenzen. „If we keep Rotary simple I think he shall know.“ Der eingangs erwähnte S. David Guernsey zitiert zustimmend den damals einflussreichsten Journalisten, Walter Lippman: „Where all think alike no one thinks very much.“

Das dritte Essential von Rotary ist die Ansprache als Freund oder Freundin. Dahinter steckt die Absicht, Titel und Rangabzeichen im rotarischen Raum abzulegen und sich miteinander auf Augenhöhe zu begegnen. Und dies mit einem Angebot: aus dem rotarischen Freund, aus der rotarischen Freundin kann ein wirklicher Freund, eine wirkliche Freundin werden. Der Umgang ist in jedem Fall von Zivilität geprägt. Ergänzende ethische Grundlegungen wie die Vier-Fragen-Probe verdeutlichen den Anspruch.

Mit Geld, Grips und Einsatz
Wer miteinander wie ehrbare Kaufleute umgeht, gerät fast automatisch zu der Frage, ob dieses Verhalten nicht auch nach außen wirken sollte. Hinzu kommt, dass Geschlossenheit, bis heute ist die Selbstbewerbung die Ausnahme, wenn mittlerweile auch möglich, in der Gesellschaft Verdächtigungen provoziert, dass hier wohl insgeheim ein der demokratischen Leistungsgesellschaft entgegenstehendes Verhalten begünstigt werde. Also kümmert sich Rotary darum, Missstände im Umfeld durch Geld, Grips und persönlichen Einsatz zu verringern. Rotary wurde in Chicago gegründet, das galt zu jener Zeit (1905) als Inbegriff des entarteten Kapitalismus.

Der fünfte Baustein von Rotary ist die Internationalität. Schon zum Ende des Ersten Weltkriegs, als besondere Menschen entsetzt waren über den entfesselten Nationalismus, der die Völker aufeinanderhetzte, entstand bei Rotary die Bereitschaft zur übernationalen Hilfe. Es ist die Absage an eine Überidentifizierung mit Ideologien jedweder Couleur und eine Bejahung universalistischer Werte. Das rotarische Spendenwesen belohnt auf der Ausgabenseite Projekte, die in einem fairen, transparenten und letztlich von der Nehmerseite bestimmten Miteinander über Kontinente entwickelt und durchgeführt werden. Die Belohnung erfolgt über die Hebelwirkung eingesetzter und somit aufgestockter Gelder. Die universalistische Ausrichtung ist nur dann glaubwürdig, wenn von der Gleichwürdigkeit aller Menschen und von der Sorge um das Überleben der Erde ausgegangen wird.

Die Botschaft ist aktueller denn je
Rotarier handeln nicht uneigennützig. Die Mitgliedschaft im Club und darüber hinaus in der weltweiten Gemeinschaft liefert einen nicht unwichtigen Teil der Identität – ein Stück Heimat. Die Aktivitäten für das Gemeinwohl geben das Gefühl, auf der richtigen Seite zu sein. Rotarier wissen, dass kruder Egoismus ihren Kindern und Kindeskindern, den nahen und den fernen Nachbarn die Gegenwart erschwert und die Zukunft verbaut. Deswegen bilden Rotarier sich weiter, kümmern sich um ihre Gemeinschaft, aber auch um das Gemeinwesen vor Ort und weltweit. Nochmals der Weltpräsident vor mehr als 70 Jahren: „The great, single, overriding task of Rotary is the making of better men. Better individuals in your club and mine. For me that is our goal, our reason for beeing.“ Bietet Rotary die Chance, besser zu werden? Auch dieser Gedanke hat an Aktualität nichts eingebüßt.