Rotary - historisch
Die Friedensmission des Otto Fischer
Deutschland 1933: Ein ehrwürdiger Stuttgarter Bankier balanciert auf dem schmalen Grat zwischen den Forderungen des NS-Staates und den Werten Rotarys.
„Entweder wir stehen zu unseren Freunden oder wir fallen mit ihnen.“ – Am 4. April 1933, acht Wochen nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, steht Rotary in Deutschland kurz vor dem Ende. Noch keine sechs Jahre ist es her, dass in Hamburg der erste deutsche Club gegründet wurde, inzwischen gibt es bereits über 30. Doch niemand in der schnell wachsenden Rotary-Bewegung weiß, ob und wie es weitergehen kann, wenn der Staat ihnen vorschreiben will, wer Mitglied im Club sein könne und wer nicht.
Zwei Positionen schälen sich heraus, die an diesem 4. April hart aufeinander stoßen: eine widerständige, die der Stuttgarter Past-Gov. Otto Fischer mit seinem Solidaritätsappell anführt, und eine willfährige, nach der am selben Tag in München zwölf Freunde ausgeschlossen werden, jüdische Mitglieder, aber auch Thomas Mann. Rotary steht am Scheideweg.
Wie kein anderer Rotarier dieser Jahre kämpft Otto Fischer – 1933 immerhin schon 75 Jahre alt – für die Werte der rotarischen Weltgemeinschaft. Widerstand gegen das neue Regime ist das nicht. Der Stuttgarter Bankier begrüßt anfangs durchaus Hitlers Wirtschaftskurs und wirbt im In- und Ausland um Verständnis für den deutschen Weg. Keinen Kompromiss indes gibt es für Fischer in der Frage der internationalen Verständigung und der bürgerlichen Souveränität gegenüber politischen Anmaßungen, die immer stärker in den privaten Bereich vordringen. Seine Anregung für Goethe-Feiern in den Clubs, mit dem er in seinen Governorbriefen 1932 an die kulturelle Bedeutung des 100 Jahre zuvor verstorbenen Dichters erinnert, steht exemplarisch für diese Geisteshaltung.
Stuttgarter "Dickschädel"
Der geborene Rotarier, möchte man meinen. Dabei tat sich Fischer anfangs schwer mit dem Rotary-Gedanken, als er 1928 vom dänischen RI-Sonderbeauftragten Thomas Christian Thomsen angesprochen wurde. „Stuttgart war eine schwierige Stadt“, zitiert Friedrich v. Wilpert den RI-Vertreter. „Die Württemberger haben ‚Dickschädel‘, sagte man mir.“ Das traf auf Fischer mit Sicherheit zu, den Weggefährten als „spröde und unzugänglich“ (bei der ersten Begegnung) schildern. Thomsen musste mehrfach werben, bis die Dickschädel doch bereit für Rotary waren – und siehe da – mit Otto Fischer als Gründungspräsident. Dass der erste Eindruck täuschen kann, erkannte schließlich auch der Däne: „Keiner ahnte vor der Charterfeier, dass soviel Humor, soviel Jugend und Schalkhaftigkeit hinter dem stilvollen und würdigen Äußeren des Präsidenten Fischer versteckt sein könnte!“
Fischer war zugleich beliebt und anerkannte Autorität, „ein strenger Mentor der württembergischen Wirtschaft“, wie es 1947 in einem Nachruf hieß. 1858 in eine Ulmer Beamtenfamilie geboren, trat er 1872 als Lehrling in die Württembergische Vereinsbank ein, in der er es bis zum leitenden Direktor bringen sollte. 1916 wurde er zum Geheimen Kommerzienrat ernannt. Nachdem er seine Bank noch durch die Inflation gesteuert hatte, legte er 1924 die Bankgeschäfte in jüngere Hände und übernahm in der Folge zahlreiche Aufsichtsratsmandate, u.a. bei der Deutschen Bank, Daimler Benz und beim Allianz-Konzern.
Erster Deutscher im Board
Auch rotarisch wartete noch eine beachtliche Karriere. Nach der zweijährigen Clubpräsidentschaft wurde er 1931 der dritte Governor im Distrikt 73 und 1933 als erster Deutscher in den Zentralvorstand von Rotary International berufen. Diese Anerkennung erfolgte aufgrund der starken Impulse, mit denen Fischer die Verständigung zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern vorangetrieben hatte.
1931 hatten Fischer und französische Freunde auf der ersten Europa-Konferenz in Den Haag ein „Petit Comité Franco-Allemand“ vereinbart, einen ersten Länderausschuss für zwei Nationen, die sich vor kurzem noch als „Erbfeinde“ gegenüberstanden. Jugendaustausch, Clubbesuche, Redneraustauch standen auf dem Programm, auch eine Überprüfung von Schulbüchern, um Klischees und Stereotypen zu überwinden. Die intensive Zusammenarbeit gipfelte 1937 in Fischers Initiative, den Franzosen Maurice Duperrey zum Präsidenten RI zu wählen.
Doch der enger werdende Spielraum ließ viele Träume platzen. Dem zunehmenden Druck des Regimes setzte Fischer die enge Verbundenheit im Club entgegen, die auch die offizielle Auflösung 1937 überstand. Man traf sich weiter im privaten Rahmen und wartete auf bessere Zeiten. „Wir sind kein Nationalverein, dazu braucht man nicht Rotary. Wenn wir auf dieser Gesinnung nicht geduldet werden, so müssen wir verzichten und abwarten, bis wieder Leute kommen, die uns verstehen“, gab Fischer den Freunden mit auf den Weg.
Er hat die Befreiung noch erlebt, nicht aber die Wiederaufnahme seines RC Stuttgart bei Rotary International. Präs. RI Percy Hodgson, würdige 1949 bei einem Besuch in Stuttgart die Bedeutung des zwei Jahre zuvor verstorbenen Rotariers: „Leider hatten wir nicht genug Otto Fischers in der Welt. Sie können aus seinem Leben lernen.“
Der Autor dankt Paul Erdmann, RC Stuttgart, für die Bereitstellung vielfältiger Unterlagen.
Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.
Weitere Artikel des Autors
10/2024
Weinbau-Kulturerbe in Gefahr
9/2024
Heiter bis wolkig
10/2023
Ombudsmann für Geflüchtete
9/2023
Das Team hinter dem Team
8/2023
30.000 Tulpen für ein Ziel
8/2023
In Kürze
7/2023
Passport-Club startet erfolgreich
6/2023
Trinkwasser für die Ukraine
6/2023
In Kürze
6/2023
Blutspender dringend gesucht
Mehr zum Autor