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Rotary Aktuell

Wenn bunt, läuft’s rund

Rotary Aktuell - Wenn bunt, läuft’s rund
© Illustrationen: Werner Tiki Küstenmacher (alle)

Die Erfahrungen der Mitgliedschaftsbeauftragten zeigen: Clubs, die auf Diversität bei der Auswahl ihrer neuen Freunde achten, sind am attraktivsten. Für das Clubleben intern, aber auch für potenzielle Kandidaten extern

Frauke Eichenauer01.08.2020

Rotary muss Spaß machen, so heißt es immer wieder, eine Mitgliedschaft ist schließlich freiwillig und konkurriert – neben Arbeit und Familie – mit den vielen Freizeitaktivitäten, die das Leben heute bietet. Während man bis vor einigen Jahren davon ausgehen konnte, das deutsche und österreichische Rotarierinnen und Rotarier ein Leben lang Mitglied bleiben, ist zumindest für jüngere Generationen der Gedanke, bei Unzufriedenheit im Club einfach wieder auszutreten, nicht ganz so weit weg.

Mehr Vielfalt ist nicht einfach

„Mitgliedschaft stärken“ heißt denn auch das Ziel ganz oben auf der Agenda derjenigen, die sich bei Rotary International und in den Distrikten mit dem Thema Mitglieder beschäftigen. Allen voran Marianne Broska als Rotary Coordinator, die zusammen mit ihrem Team skizziert, warum Vielfalt so wichtig ist. Marion Küstenmacher (Gründungspräsidentin des RC München-West) und Werner Tiki Küstenmacher (2013 Präsident im selben Club) wissen das aus eigener Erfahrung:

„Je verschiedener die Mitglieder sind, desto lebendiger und interessanter ist das Clubleben.“ Für das Rotary Magazin charakterisieren die beiden hier neun verschiedene Rotarier-Typen anhand ihres Verhaltens im Präsidentenamt in einem Enneagramm. Falls Sie also Past-Präsident sind: Erkennen Sie sich wieder? Und falls Sie gerade Präsidentin oder im Mitgliederausschuss sind – wüssten Sie, mit welchen Persönlichkeitsmustern Sie in Ihrem Club zu tun haben? Und welche vielleicht noch fehlen?

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Zuletzt von ihr bei WhatsApp: „Bitte schickt mir den Wochenbericht unbedingt zum Korrekturlesen, bevor er rausgeht!“

Freundin EINS: Zum Antritt ihres Präsidentenjahres hat Freundin EINS in einem ernsten Grundsatzreferat das hohe rotarische Wertesystem beschworen. Für sie ist Rotary eine großartige Organisation, die sich verpflichtet hat, die Welt zu verbessern und gemeinsam an sich zu arbeiten. Freundin EINS lebt für ihre Arbeit und gönnt sich Vergnügen nur in Maßen. Aber dass die Herren im Club so nachlässig geworden sind bei ihrer Kleidung! Und die Unpünktlichkeit! Unsere Meetings hatten bei ihr einen klaren Beginn – Gong! – und ein klares Ende – Gong! Fehler und Schlamperei belasteten sie, ja provozierten immer wieder ihren Ärger. Ihr Zorn, vor dem manche ganz schön Respekt hatten, war ihr wunder Punkt. Manche nannten ihn auch Sturheit. Weil sie ihre hohen Maßstäbe auch an sich selbst anlegte, konnte man sich aber stets 100-prozentig auf sie verlassen. Ihre Gaben waren Durchhaltevermögen, Geduld und Gelassenheit. Sie sorgte dafür, dass sich unser Club echt sehen lassen konnte.

Freund ZWEI: Er war die personifizierte Hilfsbereitschaft. Freund ZWEI engagierte sich für andere und freute sich, wenn er geZZZZ braucht wurde. Rotary cares! Service above self! Das tat er auch selbst, 24/7 erreichbar, nach dem Projekt war für ihn immer vor dem Projekt. Zugleich empfand er unseren Club als Feld menschlicher Begegnung. Auch für die schrägsten Vögel in unseren Reihen hatte er ein Herz – wobei seine Dauerwertschätzung für manchen schon an Schmeichelei grenzte. Es war gar nicht so einfach, die Schwäche von Freund ZWEI zu orten: sein unterschwelliger Stolz. Er wollte schon, dass wir seine Opferbereitschaft würdigen. Dass wir uns mit Kritik an ihm zurückhielten. Und dass die Menschen, denen wir als Club helfen, gefälligst auch dankbar für die milden Gaben sind. Von seinen Stärken Mitmenschlichkeit und Demut haben wir als Clubenorm profitiert. Wie nie zuvor fühlten wir uns verbunden, wir haben Liebe gegeben und empfangen.

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Zuletzt von ihm bei WhatsApp: „Gibt’s schon Zahlen???????????

Freund DREI: Wow! Tschakka! Bang! Sein Präsidentenjahr war eine Show – frischer Wind wehte durch unseren Club, ach was, ein Hurrikan! Freund DREI gefiel die Idee, dass Rotary die Besten der Besten vereint. Menschen, die bei Begriffen wie Leistung und Erfolg nicht fremdeln. Jede zweite Woche stand unser Club in der Zeitung, wir kurbelten viele öffentlichkeitswirksame Projekte an, und am Ende des Jahres hing ein gerahmtes Lobschreiben von RI im Clublokal und die Paul-Harris-Fellow-Nadel am Revers von Freund DREI. Sein visionärer Optimismus war ansteckend, das Grüppchen der ewigen Bedenkenträger wurde von seinem Elan und Charme überrollt. Einige seiner großen Projekte gingen kurz nach dem Pressefoto leider ein wie die Primeln und illustrierten die Schwäche unseres Präsi: die leise Tendenz, seine eigenen Leistungen etwas aufzuhübschen. Aber toll war’s!

Freundin VIER: Mit ihr als Präsidentin war unser Club wirklich etwas Besonderes. Sie hatte ein untrügliches Gespür für alles Schöne, ursprünglich Natürliche und Außergewöhnliche. Es war ihr erfrischend egal, wie ein Rotary Club zu sein hätte – wir waren eben einfach wir, aufgeschlossen für die Kunst und das Besondere. Sie organisierte stimmungsvolle Konzerte, romantische Ausflüge und Vorträge der anderen Art. Wir staunten über so manchen eingeladenen Querdenker, hörten den Gesang der Buckelwale, oder sammelten für den Erhalt von Gelbbauchunken-Biotopen. Allerdings gab uns Freundin VIER selten das Gefühl, dass wir damit etwas erreicht hätten. Ein leichter Schleier von Melancholie und Vergeblichkeit hing über unseren Meetings – die Welt lag eben immer noch im Argen. Manchmal spürten wir ein bisschen Neid bei ihr gegenüber den unbekümmerten Machern im Club. Und sie war zutiefst verletzt, wenn jemand mit den aschgrauen Treibholz-Installationen ihres Künstlerfreundes nichts anfangen konnte.

Zuletzt von ihm bei WhatsApp: „Achtung! Planungsausschuss fürs Matching Grant 2021 gem. Pr.HA verlegt auf 19:45 im CP, EG RG, Zi. 2022. CV und TRF Zi. 2023.“

Freund FÜNF: Mit seinem Amtsantritt wurde uns erschreckend bewusst, wie unstrukturiert wir Rotarier bisher gewesen waren. Erstmals hatte ein Präsident das Präsidentenhandbuch vollständig durchgearbeitet. Freund FÜNF überraschte uns mit rotarischen Ämtern und Verpflichtungen, von denen keiner je gehört hatte, und entdeckte ungehobene Schätze in Rotarys weitverzweigtem Netzwerk. Mit ihm zog professionelles Projektmanagement in unser Club-Improtheater ein. Er verblüffte uns mit seinem Fachwissen (leider gern in langen Monologen), schließlich empfand er unsere geistige Weiterentwicklung als vornehmstes Präsidentenprojekt. Wir waren beeindruckt, dass er auch mit den echt schwierigen Clubmitgliedern konnte. Doch irgendwie kamen wir nie richtig an ihn heran. Er legte Wert auf seine Privatsphäre und mitten im Meeting einfach weg. Aber dann wieder konnte er ein großartiger und großzügiger Gastgeber sein, obwohl er ansonsten auffallend geizig umging mit den Finanzen.

Freundin SECHS: Sie hatte lange gezögert, bis sie endlich Ja sagte zum Amt der Clubpräsidentin. Dabei hatte sie immer die höchsten Präsenzen, war als Sekretaria superzuverlässig, teamfähig und warmherzig. Aber auch übervorsichtig. Bei ihrem Vortrag zum Amtsantritt (den sie mit leicht zitternder Stimme vom Blatt ablas) erstaunte sie uns mit hierarchischem Vokabular: Sie sei dankbar für „ihr“ Vorstandsteam und was für ein anspruchsvolles Programm wir „unter ihr“ abarbeiten würden. Was wir auch taten – während sie sich bei jedem Detail Sorgen machte, ob das man gut gehen würde. Ausgerechnet bei Freundin SECHS kam es zu einem fürchterlichen Eklat zwischen zwei Clubmitgliedern. Aber – was wir nie von ihr erwartet hätten – sie stellte sich mutig den Kampfhähnen und schaffte die Versöhnung. Vorher hatten wir gelächelt über ihren Lieblingssatz: „Besteht nicht die Gefahr,  dass ...“. Doch als es drauf ankam,  ging sie tapfer wie eine Löwin direkt auf die Gefahr zu.

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Zuletzt von ihm bei WhatsApp: „Leider bin ich beim nächsten Meeting nicht dabei, schöne Grüße von den Malediven“

Freund SIEBEN: Kaum ein rotarisches Jahr verging so schnell wie das seiner Präsidentschaft. „Rotary soll Spaß machen!“ war sein Motto, und nie sind wir so viel gereist, haben so viel gefeiert und so irre Aktionen veranstaltet wie bei ihm. Kaum las er eine Anregung im Rotary Magazin – boing! wurde sie bei uns umgesetzt. Am Ende seines Jahres hatten wir alle Spendenrekorde gebrochen, waren beschwingt, begeistert – und total erschöpft. Unglaublich, wie Freund SIEBEN auch die müdesten Hinterbänkler dazu gebracht hatte, stundenlang auf kalten Weihnachtsmärkten Spenden zu sammeln oder bei Gluthitze Hunderte von Kilometern per Fahrrad für End Polio Now abzustrampeln. Freund SIEBEN war nie schlecht drauf. Langsam merkten wir allerdings, dass er die lästigen Regularien des Clublebens lieber ausblendete und sein wunder Punkt die Unersättlichkeit war („Mehr ist immer besser!“). Sobald wir jedoch maulig mit Meuterei drohten, rettete er mit einem Witz die Situation, und weiter ging’s. Welche Fröhlichkeit steckte doch in unserem Club! Aber schon Goethe wusste ja, es sei nichts schwerer zu ertragen als eine Reihe von heiteren Tagen.

Freundin ACHT: Das Meeting geht los, es fällt dem Häuptling schwer, sich Gehör zu verschaffen. Aber dann gibt es Menschen wie Freundin ACHT: Wenn sie aufsteht, wird es ruhig. So manche ihrer freundlichen Begrüßungsreden endeten mit einem Anschiss. Effekt: Die Präsenzen nahmen spürbar zu. Denn ihr Lebensthema ist Stärke. Sie fürchtete sich nicht vor der Konfrontation. Problemfälle im Club (niemals anwesend und/oder selten zahlend), bisher wie Wanderpokale von einer Präsidentschaft zur anderen weitergereicht – Freundin ACHT besuchte sie, motivierte sie zum Mitmachen, oder schmiss sie endlich raus. Sie hat manchmal Grenzen überschritten und so mancher selbstgefälligen Männergewissheit die rote Karte gezeigt. Frischer Wind, Hausputz im Club. Doch wer gedacht hatte, so etwas könnte die Stimmung vermiesen – weit gefehlt! Hinter ihrer Entschlossenheit haben wir eine warmherzige Mütterlichkeit entdeckt, die unserem Club Seele gegeben hat. Souverän saß sie am Steuer von unserem rotarischen Omnibus und kämpfte mit ihren Projekten für die ganz Schwachen. Bei ihrer Abschiedsfeier flossen Tränen, auch bei ihr selbst.

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Zuletzt von ihm bei WhatsApp: „Liebe Fr“ „eunde“ „heute Ab #####“ „ich komm mit disem technik nichzurecht werwaswillsollmichanrufen“

Freund NEUN: Es gibt Hunde, die man zum Jagen tragen muss. Bei Freund NEUN fiel erst nach Jahren auf, dass bisher keiner an ihn als Präsidenten gedacht hatte. Aber als wir ihn fragten, sagte er sofort Ja. Und wir haben es nicht bereut. In seinem rotarischen Jahr haben wir uns erholt. Lebensmotto von Freund NEUN: Frieden und Zufriedensein. Er mag es harmonisch und bequem. Nach all den Aktionen und Erfolgen seiner Vorgängerinnen und Vorgänger durften wir alle durchatmen, und stellten verwundert fest: Auch das ist Rotary, Gott sei Dank! Freund NEUN hatte Verständnis für alles und jeden. Das Reizthema Präsenzen – löste sich bei ihm in Luft auf. Ermahnungen aus Zürich – ließen ihn kalt. Aber am Ende seiner Präsi-Zeit stellten wir fest, dass er mit allen ruhig gesprochen hatte, wir als Lieblingsclub des Governors galten, und ansehnliche Projekte hatten wir auch geschafft. Nur viel weniger laut und aufgeregt als sonst. Wohl weil es Freund NEUN immer mit Balu dem Bär hielt: Probier’s mal mit Gemütlichkeit.


Das Enneagramm

von Marion Küstenmacher und Werner Tiki Küstenmacher

Der Hintergrund für unsere launige Typenbeschreibung aus einem frei erfundenen Phantasieclub ist das Enneagramm (von griechisch „ennea“, neun). „Ich möchte nicht in eine Schublade gesteckt werden“, sagen viele angesichts solcher Typologien – und erliegen gern der Schwäche, sie genau dafür zu nutzen („Unser letzter Präsident war eine Bilderbuch-DREI!“). Verstehen Sie solche Beschreibungen von Persönlichkeitsmustern nicht als Einschränkung, sondern als Wegweiser im Reich menschlicher Vielfalt. Das Enneagramm will verdeutlichen, wie bunt und verschieden Menschen sind, und dass kein Typ besser ist als der andere. Daher werden üblicherweise statt Namen neutrale Nummern verwendet. Im Beruf haben Sie jahrelang denselben Chef, dieselbe Chefin – oder sind es selbst. In der Politik wechselt die Führung bestenfalls nach fünf oder sechs Jahren. Ein Rotary Club dagegen ist dank des Rotationsprinzip ein ideales Trainingsfeld für gegenseitiges Verstehen. Nach 30 Jahren Beschäftigung mit dem Thema Enneagramm haben wir als wichtigste Lehre für uns herausgefunden: „Ich kann auch anders als mein Muster.“ Und nach zwölf Jahren Rotary: „Unser Club muss nicht so sein wie ich.“