Peters Lebensart
Bis Johanni, nicht vergessen, …
… sieben Wochen Spargel essen – das große Schlemmen hat begonnen
Einst eine Delikatesse für Könige, ist Spargel zum regionalen deutschen Vorzeige-, ja Identitätsgemüse geworden. Ausländische Ware hat hierzulande kaum eine Chance. Das hängt mit einer gigantischen Produktionssteigerung, aber auch dramatischem Preisverfall zusammen. Geheizte Felder, Planenabdeckung und billige Erntekräfte haben Spargel erschwinglich gemacht. Das war nicht immer so. In der Antike Leckerbissen, im Mittelalter Medizin, tauchen die ersten Rezepte im arabisch geprägten Spanien auf: frittiert in Olivenöl. Eigentlich wieder aktuell: figurbewusste Köchinnen verzichten auf Osterschinken, Sauce hollandaise, polnische Brösel oder badische Kratzete und packen die kalorienarmen Stangen lieber mit ein paar Tropfen Zitronensaft und Olivenöl in Backpapier, um sie kochwasserfrei im eigenen Saft garen zu lassen.
Der Weltruhm der angeblich potenzfördernden Triebe setzt mit Ludwig XIV. ein, der die Stangen gern opulent in Süßrahm tunkte. Als fanatischer Spargelfreund drängte er seinen Hofgärtner in Versailles, die ersten Triebe bereits im Dezember zu liefern. La Quintinie deckte die Pflanzen mit Schalen ab, häufte Erde um sie, um sie wärmer zu halten, und erfand so den weißen edlen Spargel, der allerdings – typisch französisch – mit purpurviolettem Köpfchen geschätzt wird. Manet hat das zarte Farbenspiel in seinem Spargelbündel malerisch eingefangen, Marcel Proust literarisch. Deutsche Fürstenhäuser wie in Schwetzingen taten es den Franzosen nach, und Porzellanmanufakturen wie Meissen brannten spezielle Spargelschalen. Dass wir keine Wildspargeltradition wie die mediterranen Länder haben, sondern die Stangen als Fürstenspeise bei uns eingeführt wurden, könnte der Grund dafür sein, warum wir bis heute den weißen dem grünen Spargel vorziehen. Dem Umstand, dass Messer früher rosteten, verdanken wir die ebenso anachronistische wie akrobatische Lizenz, das Gemüse möglichst elegant mit Fingern (und Gabel) in den Mund zu bugsieren.
Im Rokoko findet Spargel Eingang in die Rezeptbücher – und die feinere deutsche Küche. Ein Gericht wie Leipziger Allerlei mit den ersten Trieben des Jahres machte Vegetarisches zum Protagonisten der Küche – Goethe schickt 1777 Frau von Stein ein zweideutig flirtendes Billett: Guten Morgen mit Spargels! In Schönbrunn wird Maria Theresia fast täglich Marchfelder Spargel aufgetragen.
Spargel für alle – das beginnt mit der Eisenbahn. Denn anders als die Volksgemüse Rüben, Kohl, Kartoffeln, die man lange in Mieten lagern kann, muss Spargel erntefrisch gegessen werden – oder eingeweckt, eingedost werden. An die Züge, die Provinzbahnhöfe wie Schrobenhausen mit München verbanden, wurden extra Spargelwaggons angehängt.
Doch der ganz große Boom erfolgte erst im letzten Jahrzehnt, nicht ohne Kritik an zu wässrigen Hochleistungssorten, an prekären Arbeitsverträgen, an Energie verschwendenden Umweltbilanzen hervorzurufen. Vielleicht sollte man zum Vergleich einmal einige der letzten Spargelrebellen zwischen Breisgau, Beelitz und Altem Land aufsuchen, die alte Sorten wie „Ruhm von Braunschweig“ ohne Folien anbauen. Geschmacklich absolut lohnend! Immerhin, am Johannistag (24. Juni) ist Ernteschluss – ein historisches Umweltbewusstsein ante litteram, denn mindestens 100 Tage bis zu den ersten Bodenfrösten brauchen die Asparagus-Pflanzen, um Widerstandskräfte für den Winter und die Spargelernte 2025 zu sammeln.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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