Peters Lebensart
Biskuit sägen, Pudding anzünden …
Auch unsere europäischen Nachbarn freuen sich zu Weihnachten auf ihre Traditionsküche, die mal religiösen Ursprungs, mal weltlicher Prägung ist. Ein Blick in die Töpfe anderer Nationen.
Die Ausprägungen des Christentums haben unterschiedliche Weihnachtsliturgien und damit Essgewohnheiten entwickelt. Bräuche wie Adventskranz und Betonung des Heiligen Abends als inniges Familienfest samt Bescherung sind eher protestantischen Ursprungs. Mit der Folge, dass in Norddeutschland schon am 24. Dezember zumindest Würstchen aufgefahren werden oder dass Dänen bereits zum Juleaften Schweinebraten mit karamellisierten Kartoffeln verputzen.
Das schwindende katholische Erbe lässt sich an drei Punkten festmachen: Mitternachtsmesse, Krippe statt Weihnachtsbaum und ursprünglich bis 40 Tage Adventfasten, das erst nach der Christmesse am Frühmorgen des 25. Dezember gebrochen werden durfte – in Salzburg werden bis heute spezielle Mettenwürstel für die erste Fastenbrechsuppe verkauft. Wenige Gläubige nehmen diese Regeln heute noch so ernst wie in der Erzählung des steirischen Schriftstellers Peter Rosegger (1843–1918) Als ich Christtagsfreude holen ging.
In katholisch geprägten Nationen bleibt das klassische Gericht des Heiligen Abends Fisch. Beispiele sind Aaleintopf in Rom oder Neapel, die Stockfischrezepte Portugals, die am 24. Dezember noch unverzichtbarer als sonst scheinen, oder die polnische „wigilia“. Die Vigil wird als eine Art Familienliturgie vor der Mitternachtsmesse zelebriert. Zwischen Gebeten werden in Anspielung an die Zahl der Apostel zwölf Schüsseln mit Fischsalaten, Karpfensülze oder Vegetarischem aufgetragen. Liebenswert: Für Verstorbene oder in Erinnerung an Maria und Josef, die in Bethlehem keine Herberge fanden, wird für einen fiktiven Gast eingedeckt. Auch die Tiere, die in der Christnacht nach einem Volksglauben sprechen können, bekommen ein Stückchen Weihnachtsoblate ab – bunt eingefärbte statt schneeweiße. Da tun sich Geschmacksgemeinschaften mit orthodoxer ukrainischer oder russischer Weihnachtsküche auf, die auch gerne Zwölferlei mit Heringssalat auftischen.
Weltlicher ist die Prägung bei unseren westlichen Nachbarn. Franzosen haben den alemannischen Charme Elsässer Weihnachtsmärkte entdeckt und stehen neuerdings auf die deutsche Erfindung Adventskalender. Zum Réveillon am Heiligen Abend werden häufig die Klassiker Austern und Gänseleberpaté hintereinander serviert. Ein Festmahl der Lyonnaiser Küche am Weihnachtsfeiertag ist „dinde aux cardons“, Puter mit Speisedisteln, die im Winter geerntet werden. Statt Leb- und Pfefferkuchen, die auch in der helvetischen, böhmischen und ostslawischen Kultur verankert sind, wird in Douce France eine mit Schoko übergossene „bûche de Noël“ angesägt, Imitat eines Holzscheits in Form einer Biskuitrolle. Leckereien sind im kalten Winter unverzichtbar für Weihnachtsfreuden, von holländischem Spekulatius und spanischen Kakao-Krippen bis zum Tiroler Kletzenbrot, von honigsüßen griechischen „melomakarona“ bis zum britischen von Flammen umzüngelten „plum pudding“, der mich immer mehr als der „christmas turkey“ fasziniert hat. Ganz zu schweigen von der maltesischen Maronensuppe „imbuljuta tal-qastan“ oder vom mit Orangeat und Zitronat gespickten „panettone“, der die Kuppel des Mailänder Doms nachahmt und hierzulande sächsischem Christstollen Konkurrenz macht.
Ist die Weihnachtsküche Europas wie seine Weihnachtslieder? Selten kennen wir die Texte oder genauen Rezepte der einzelnen Nationen, und doch empfinden wir Melodien oder Genüsse spontan als anheimelnd vertraut.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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