Peters Lebensart
Champagnerarien und Opernbankette
Kaum ein Opern- oder Theaterstück, das ohne Ess- und Trinkszenen aufgeführt wird – vom kargen Mahl bis zum opulenten Luxusgelage.
Historisch voll daneben, deplatzierter Milano-Style. Denn sizilianische Bauern schlürfen nicht nach Champagnerart aus geschliffenem Kristall. Aber dramaturgisch ist Turiddus Arie ein Volltreffer. Denn der Liebhaber der schönen Lola feiert ausgelassen mit Freunden in der Osteria das heitere Leben, als der gehörnte Bariton-Ehemann Alfio auftritt und die Melodie in Moll umschlägt. Alfio nimmt den angebotenen Becher nicht an – das Duell wird unausweichlich.
Gestörte Harmonie: Ess- und Trinkszenen gipfeln wie im Theater gern in einer Peripetie, im tragischen Stimmungsumschlag. Verdis Lady Macbeth bemüht sich, mit einem Brindisi, einem Trinkspruch, für heitere Laune zu sorgen, als der Geist des ermordeten Banquo die Bühne betritt. Und Don Giovanni, der gerade noch die sogenannte Champagnerarie Fin ch’han dal vino geträllert hatte, vergeht der Appetit, als das eiskalte Todesgespenst des Komturs als steinerner Gast auftaucht. Trügerisch auch die mit dem Ohrwurm Schlürfet in durstigen Zügen demonstrierte Lebenslust und Glücksbeschwörung. Die Pariser Luxusfassade der Traviata erweist sich schon dadurch als brüchig, dass die Kurtisane Violetta an Schwindsucht erkrankt ist. Ihrer Liebe zu Alfredo wird keine Dauer beschieden sein. Und auch die weihnachtlichen Glücksmomente im Café Momus sind angesichts der Armut von Rodolfo und Mimì nur ein Aufflackern im veristischen Elend der Bohème.
Kulinarisches gehört auch zum komischen Fach. Die „einfachen Leute“ werden, einer Theatertradition folgend, die bis auf die antike Komödie zurückreicht, gerne als durch Speis und Trank verführbare Schlemmer dargestellt. Eine Flasche Wein setzt den Buffo und Serailaufseher Osmin bei Mozart außer Gefecht. „Herr Sarastro führt eine gute Küche“, schwärmt Papageno, als wundersamerweise ein Tisch mit leckeren Speisen auf die Bühne schwebt. Dass sich der Ochs von Lerchenau für die misslungene Verführung des Rosenkavaliers ausgerechnet ein Vorstadtwirtshaus ausgesucht hat, verstärkt die Komik der Szene.
Eine gastrosophische Fundgrube ist die Operette. Vom „Schweinespeck-Lebenszweck“ des Zigeunerbarons bis zur Nacht in Venedig, wo beim herzoglichen Maskenball Käsehändler, Meeresfrüchteverkäuferin und die Köchin Ciboletta mittanzen. Nicht zu vergessen den Feuerstrom der Reben, die ausgelassene Champagnerarie Nummer 2, gesungen vom Prinzen Orlofsky in der Fledermaus.
Stereotype Genüsse, stereotype Luxusgetränke. Wer Detaillierteres wissen will, muß sich genauer mit den Komponisten beschäftigen. Etwa mit Rossini, der eigenhändig Makkaroni mit seiner silbernen Gänseleberspritze befüllte oder Klavierstücke über Cornichons komponierte. Hätten Sie gewusst, dass der Komponist der Forza del destino abhängig war von der heimischen Cucina italiana? „Wir brauchen richtig perfekte Tagliatelle und Maccheroni, um Verdi bei guter Laune zu halten“, schrieb seine Frau nach St. Petersburg anlässlich der Premiere der Macht des Schicksals mit einem spanischen „Göttermahl“ im 2. Akt.
Appetit bekommen oder Lust auf ein Glas Champagner? Sei es am Buffet oder beim durchgetaktet servierten Pausenimbiss, der nicht nur an der Wiener Staatsoper das Soupieren nach der Vorstellung immer mehr ablöst? Dabei könnte eine gastrosophische Perspektive neben Bühnenbild und Regie, Gesang und Dirigat anregenden Gesprächsstoff bieten. Wünsche Genuss ohne Peripetie!
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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