Peters Lebensart
Cuisine française – funktioniert der Mythos noch?
Junge französische Köche verlassen die Sterneliga und setzen auf Bistronomie.
Paris – Dîner im Drei-Sterne-Tempel mit Champagner, Trüffeln, Hummer. Da geht unter 500 Euro pro Person kaum etwas. Ein fünfstelliger Betrag käme dazu, falls man tatsächlich ein Fläschchen burgundischen Romanée-Conti ergattert. Dieses exorbitante Preisgefüge lässt nicht nur den Gourmet staunen. Es wirft ein Schlaglicht darauf, dass die Grande Nation dem Gastronomischen extremen Stellenwert beimisst, oder, wie der Sorbonne-Historiker Pascal Ory lästerte, „keine normale Beziehung zum Essen hat“.
Diese exception culinaire begann in Versailles, wo Sonnenkönig Ludwig XIV. das Tafeln de facto zum Staatsakt erhob. Damals entwickeln Philosophen und Praktiker eine methodische nouvelle cuisine samt zugehöriger Fachsprache, die Europas Höfe fasziniert. Mit der Revolution sprießen Hunderte Restaurants aus dem Boden – Frankreich hat das individuelle Mahl, den kultivierten Einzelesser erfunden, und Scharen von Dichtern haben galante Restaurantbesuche ins Kollektivbewusstsein eingebrannt, sie zum touristischen Pariser Pflichtprogramm erhoben. Zugleich sorgte das einfache Bistro mit Volksklassikern wie coq au vin und seinen als Bohème verklärten Gästen dafür, dass cuisine française auch mit billigen Gaumenfreuden in spannender Ambiance lockte. Die feine Welt, angefangen die von Escoffier verwöhnte Upper Class London, speiste französisch.
Lange her? Mag sein. Aber Fakt ist, dass der dicke Lebemann Curnonsky, der in den 1920ern mit Auto durch die Provinz kurvte, nicht nur das Konzept der Gourmetbibel Michelin, sondern auch der Regionalküchen mit einer Präzision durchformulierte, an die wir in Deutschland 100 Jahre später mühsam anschließen. Bei unseren Nachbarn sind Produkte wie Salzwiesenlamm eben keine regionalen Raritäten, sondern in jeder Markthalle erhältlich.
Structure, das kann faszinierend und einengend sein. Gerade tritt die Generation Bocuse ab, die als letzte für französische Kochhegemonie stand. Heute schaut die kreative Szene nach Peru, Kopenhagen, Tel Aviv. Frankreich muss sich nach einer Krise der haute cuisine umorientieren – der 2010 verliehene Status des Weltkulturerbes darf nicht zur touristischen Musealisierung millionenfach wiederholter Klassiker verführen. „Ich koche in meinem Kopf!“ Könner wie der viel besternte Alain Ducasse haben sich zu Consultants und Globalbotschaftern der französischen Küche gewandelt. Ebenso spannend ist der bewusste Ausstieg aus der Sterneliga. Bistronomie heißt das Zauberwort, wenn gut ausgebildete Jungköche ein erschwingliches Bistro eröffnen, in dem sie Klassiker wie Lamm- Navarin zelebrieren, aber auch im Dialog mit Weltküche nicht vor Yuzu oder Mozzarella zurückschrecken. Allen gemeinsam ist der Wille zu Design und Farbe. Tolixstühle, Duralexgläser, Opinelmesser haben den überkommenen Pomp geschliffener Baccarat-Pokale abgelöst – bürgerliche Stillleben sind verpönt, Macarons in den schrillsten Farbtönen angesagt.
Denn Franzosen sind und bleiben der Meinung, dass jede Generation über Geschmack streiten sollte, seis bei der günstigen Morgenbaguette, beim Tischgespräch oder bereits im Schulunterricht!
Buchtipp
Peter Peter, Vive la cuisine!
Kulturgeschichte der französischen Küche 2019,
237 S., ca. 157 Abbildungen.
C.H. BECK
beck-shop.de
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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