Peters Lebensart
Delikatesse am Valentinstag
Der Gastarbeitertochter wurde mulmig. War der junge Deutsche, der sie zum ersten Rendezvous in ein Restaurant eingeladen hatte, ein Perverser? Der Raum war schummrig und überall flackerten Kerzen. Kerzen auf dem Tisch! Giovanna kannte so etwas zwar aus ihrer süditalienischen Heimat, aber nur von Leichenfeiern.
Man kann viel falsch machen, gerade wenn man zu romantisch aufträgt. Oder wenn man sich der Frage widmet, die ein Magazin für Steakfans und grillfreudige Männer einem Sorbonne-Professor gestellt hat: „Kann man eine Frau ins Bett kochen?“ Der Franzose Stendhal vertrat in seinem Roman Lucien Leuwen die tröstliche These, mit viel Geduld und der richtig getakteten und demonstrativ harmlos beginnenden Serie von (Liebes-)Briefen könne ein Mann jede Frau verführen. Aber mit einem Essen? Federigo degli Alberighi ist das gelungen. Der verarmte Held in Giovanni Boccaccios Falkennovelle gerät in Verlegenheit, als die lang ersehnte Dame seines Herzens plötzlich seine mauseleere, heruntergekommene Burg besucht. Schweren Herzens schlachtet und serviert er
seinen heiß geliebten Falken, der einzige Besitz, der ihm geblieben ist. Durch diese noble Geste gewinnt der Held Gunst und Hand der Angebeteten.
Sinnlicher Salat
Praktikabler sind da Tipps in Internetforen. Sie reichen vom sinnlichen Salat (mit Feigen!) des britischen Kochs Jamie Oliver bis zur plumpen Idee, sich gegenseitig mit Wackelpudding mit Brustwarzenkirsche zu füttern. Die Schriftstellerin Isabel Allende denkt in ihrem Kochbuch Aphrodite – Eine Feier der Sinne schon an die Folgen – für die Figur. Ihr Rat an alle Frauen: Schmiert euch die selbst gemachte Schokocreme auf den eigenen Körper, damit ihr von dem Zeug nicht dick werdet und der Partner sie abschlecken muss. Spaß beiseite. Ein Liebesmahl ist eine hochsensible Herausforderung, wo mit der Semantik der Speisen und Getränke, der Location und Musik und nicht zuletzt der Sprache und des gemeinsamen Lachens Charaktertiefen und Sympathien ausgelotet
werden. Ein Verführungsversuch mit Delikatesse und Delikatessen.
Die Maxime des Separée gilt noch heute. Ein feines Menü macht sich besser als deftige Kost. Enthemmender Champagner (kein Prosecco!), Edelfisch, Salate oder fein gewürztes asiatisches Love Food wie in Martin Suters Bestseller Der Koch. Leicht und anregend soll es munden. Zu offensichtlich als Aphrodisiaka Potenziertes wie Austern, Kaviar, Hummer, Tatar oder Chili könnte schnell roh und aufdringlich wirken. Wer dann noch ein Gedicht eines arabischen Mystikers zitiert, der sich wünscht, das Zahnhölzchen seiner Geliebten zu sein, um ihren Odem zu spüren – da sollte in der Theorie alles klar sein.
Oder ist die sportliche Strategie doch effektiver? Ein Marsch durch eiskalte, tief verschneite Wälder zu einer einsamen Berghütte, wo ein Holzherd mit knisterndem Feuer und kariertes Leinen warten?
Kurzum, das perfekte Liebesmahl ist ein sinnliches Gesamtkunstwerk, im günstigsten Fall gekrönt von der Gunst des oder der Angebeteten. Authentizität wirkt da besser als verkitschte, ja verordnete Liebespärcheninszenierungen zum Valentinstag, der seit den 1950er Jahren in Deutschland gefeiert wird. Hier stationierte Soldaten aus Großbritannien und den USA hatten ihn mitgebracht.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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