Peters Lebensart
Der Kessel kocht – Stuttgart kulinarisch
Stuttgart ist nicht nur Winzerdorf, es ist auch Heimat der „Wielandshöhe“, auf der Sternekoch Vincent Klink die schwäbische Küche zelebriert.
Wow! Du öffnest eine schwere Eisentür und stehst plötzlich in einer kulinarischen Märchenwelt: iranischer Kaviar, griechische Traiteure, die sich angesichts der Eleganz ihrer Auslagen zu Recht als „Gourmet Palace“ bezeichnen. Edelmetzgereien, die Kassler vom Alb-Schwein oder vier verschiedene Sorten Lammkoteletts anbieten. Spanische Eichelmastschinken, türkische Obstboutiquen, Olivenöle, Wildmaultäschle und dazwischen ein Stand der Confiserie Gmeiner, die ihr Stollen-Zitronat aus Biofrüchten dörrt. Die Tourismuswerbung hat recht: Die Jugendstil-Markthalle am Schillerplatz, von 1911 bis 1914 erbaut, 1971 mit einer Stimme Mehrheit im Stadtrat vor dem Abriss bewahrt, ist die schönste Deutschlands. Sie ist weder Fotostopp oder Fressmeile, hier wird wirklich eingekauft. Und sie erspart glatt die Fahrt nach Paris, wenn auch der TGV nur drei Stunden bräuchte.
Was mir imponiert, ist, dass hier neben Württembergischem auch der „ausländische“ Delikatessenhandel zeigt, welche Raffinessen jenseits der Klischees von Pizza und Döner er zu bieten hat. Die lockenden Stände der ehemaligen Gastarbeiterfamilien, die den Reichtum der Industrie- und Autostadt Stuttgart mit erschuftet haben, vermitteln weltstädtisches Flair.
Aufwertung heimischer Küche
„Für unsere Gäste sorgen 28 Mitarbeiter aus Bosnien, Dominikanischer Republik, Deutschland, Indien, Kroatien, Nepal und Schwaben, was uns sehr erfreut.“ Achtsamkeit und Lokalstolz zeichnet auch eins meiner Lieblingslokale aus. Längst ist die Wielandshöhe von Vincent Klink eine Institution. Der weltgewandte Doyen der deutschen Regionalküche hat, als noch niemand mit Slogans wie „from nose to tail“ um sich warf, selbstverständlich Pfefferkutteln in Lembergersößle oder karamellisierte Geißbärtlebirne auf seine Karte gesetzt und damit schwäbische Küche auf Augenhöhe mit französischer positioniert. Auffahrt per Zahnradbahn, ein weißer mediterraner Bungalow, der Blick in den Kessel der hastig und zusammengewürfelt wiederaufgebauten Altstadt, das blitzendste Restaurantsilber Deutschlands, die nostalgische Zeremonie, erlesen bodenständige Speisen unter metallener Cloche zu servieren, all das verbunden mit beherztem schwäbischem Service, macht die Wielandshöhe einzigartig.
Perlen volkstümlicher Gastlichkeit
Vom High End zum oft mit Junkfood abgespeisten Low End. Nicht so im sparsamen Schwabenland. In Stuttgart hat sich ein Lokaltypus erhalten, der auf die Rote Liste vom Aussterben bedrohter Gaststätten gehört: die gemütliche altdeutsche Weinstube mit einfachen, grundsoliden Speisen und ebensolchen Preisen. Im von Bomben verschont gebliebenen Bohnenviertel finden sich Perlen volkstümlicher Gastlichkeit. Die bewusst nicht renovierte „Kiste“, die mit Wendeltreppe und winzigen niedrigen Stuben an ein Schweizer Erststockbeizli erinnert. Oder das Weinhaus Stetter, bei dem mich immer fasziniert, dass trotz fantastischer Auswahl an Lagenrieslingen das Gros der Einheimischen sich zum Spätzleeintopf „Gaisburger Marsch“ oder Sauren Nierle mit Brot (kosten weniger als mit Bratkartoffeln!) grundsätzlich mit preisgünstigen Schoppenweinen bescheidet.
Schnell hin, sonst ist es weg
„Wohlgeschmückt mit Trauben“: Hölderlins Ode an Stuttgart ist mit Weinmetaphern gespickt. Denn die Landeshauptstadt ist auch Winzerdorf – in Deutschland absolut einzigartig! 423 Hektar mit Schwerpunkt Untertürkheim, wo Lagen wie der berühmte „Gips“ reifen, sind mit Trollinger, Lemberger, Riesling, Weiß- und Grauburgunder bepflanzt. Zum Kosten besser hinfahren, denn das meiste trinken die Württemberger vor Ort weg, wie augenzwinkernd bei einer hochkarätigen Steillagen-Verkostung im VDP-Weingut Wöhrwag verraten wird.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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