Peters Lebensart
Ein Hoch aufs Eierlikörschen
Udo Lindenberg schätzt den Uralt-Drink als „Feierlikör“ und „Likörelle“-Farbe, Hape Kerkeling als Sketch-Pointe und Foodblogger als Trendrezept für Hipster-WGs.
Ich nehm gern noch ein Eierlikörschen ...“ Über Harpe Kerkelings Sketch aus seiner Ruhrpottjugend hat 2018 die halbe Nation gelacht und auch die österreichischen Vorstadtweiber greifen gern zu diesem Hausfrauentröster. Gelb, süß, fast schon kinderfreundlich, so dass er in winzigen Quantitäten auch mal ein Osterei füllt: Eierlikör klebt das Image eines spießigen Wirtschaftswunderdrinks an, so dass manche bei der bloßen Nennung des Namens aufstöhnen. Und andere darauf schwören, weil der Lieblingsdrink der Generation Gartenzwerg wegen seines Vintage-Faktors eigentlich schon wieder hip ist oder zumindest zur familiären Festtagsliturgie mit Opa und Oma passt. Oder weil sie einfach den Geschmack mögen. Pur, auf Vanillepudding oder als Creme auf der Wiener-Mädl-Torte von der k.&k. Hofzuckerbäckerei Heiner.
Dabei liegen die Wurzeln in einem Land, wo es musikalisch richtig heiß hergeht. Die Bezeichnung Advocaat für hochprozentigen Eierlikör klingt nach Amsterdamer Rechtsanwalt, ist aber wahrscheinlich eine holländische Verballhornung von – Avocado. Die Niederländer, die 1630–1654 den Nordosten Brasiliens beherrschten, hatten dort ein Indio-Getränk schätzen gelernt. Pulpe (Fruchtbrei) aus abacate, vermengt mit Rum und Zucker. Die Einführung der Avocado-Pflanze nach Europa erwies sich als schwierig, lediglich die um Brasilien konkurrierenden Portugiesen erzielten auf Madeira kleinere Ernten. Doch die holländischen Genever-Stuben waren auf den cremigen Geschmack gekommen und ersetzten in einem sensorischen Geniestreich das Rohprodukt Avocado durch Dotter, behielten aber das Wort bei. Über spanisch avogado wurde holländisch advocaat. Mit diesem Surrogat schlägt die Geburtsstunde des Eierlikörs.
Was wären Deutschlands Likörtrinkerinnen und -trinker ohne die Firma Verpoorten! 1876 gründete der Antwerpener Eugen Verpoorten im westdeutschen Grenzort Heinsberg eine Likörmanufaktur. Der Familienbetrieb produziert mittlerweile in 5. Generation Eierlikör und schmeichelte sich in die Herzen der Nachkriegsdeutschen mit einem flotten Schlager ein. Maria aus Bahia, dieser Samba begründete nicht nur die Karriere von René Carol, dem ersten deutschen Goldene-Schallplatte-Sänger. Aus „Ay Ay Ay Maria“ wurde in einem kecken Homonym „Ei Ei Ei Verpoorten“ – für mich ein Paradebeispiel geistreicher Werbung, da durch den scheinbaren Nonsense-Song insgeheim auf die brasilianische Genese angespielt wird.
Zurück zum Ursprung
Weg vom ewigen Gelb. Verpoortens aktuelle Homepage setzt auf Jugendlichkeit und Cocktails in bunten Farben. Eierlikörpunsch wird als Après-Ski-Stimmungsanheizer empfohlen und macht der Dotterbombe bombardino, die in trendigen Dolomitenhütten mit Sahnehaube serviert wird, Konkurrenz. Auch das Etikett mit hohem Wiedererkennungswert ist geliftet worden, das altväterliche Advocaat durch Original ersetzt worden. Verpoorten gibts jetzt auch flavoured mit Maracuja- oder Pfirsich-Geschmack. Da stellt sich die Frage: Wann kommt das Ur-Rezept mit Avocados?
Die Foodblogger-Szene ist schon soweit. Da werden Infos ausgetauscht, wie DDR-Eierlikör mit Dosenmilch schmeckte, wie selbstgemachte Eierlikör-Pralinen gehen oder wie man ihn im Thermomix anrühren kann. Da wird über die Alkoholwahl debattiert: Rum, Korn, Grappa oder gar Schwarzwälder Kirschwasser wie beim Münchner Feinkosttempel Dallmayr? Da wird die Eierfrage gestellt – Bio, Bodenhaltung, Freiland? Und da finden sich erste Rezepte zu „Avocado-Eierlikör“ ohne Eier. Schließlich war der Indio-Drink aus dem superfood vegan und ist somit topaktuell!
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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