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Interview

Ein Kuss und teure Affen

Interview - Ein Kuss und teure Affen
Experte Alfred Weidinger im Gespräch © privat

Alfred Weidinger, Chef der Oberösterreichischen Landesmuseen, über die Chancen und Risiken digitaler Kunst

Björn Lange01.03.2022

Herr Prof. Weidinger, Sie sagten schon vor einigen Jahren, die Museen hätten die Digitalisierung verschlafen. Wie meinen Sie das und was sagen Sie der großen Zahl von Menschen, für die Kunst physisch erlebbar sein muss?

Wir sollten nicht differenzieren zwischen analoger und digitaler Kunst. Da geht es um ein Grundverständnis. Bildende Kunst hat zahlreiche Ausdrucksformen, darunter die digitale Kunst. Diese ist nicht neu, sie existiert seit den 1950er Jahren und verzeichnete in den 1970er und 1980er Jahren einen Höhepunkt. So wurde 1979 die Ars Electronica in Linz gegründet, zehn Jahre später das ZKM Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe. In dieser Zeit haben sich Museen verstärkt mit digitaler Kunst auseinandergesetzt. In den späten 1980er und 1990er Jahren ist die Malerei erstarkt. Gleichzeitig hat der rasante Fortschritt der Computertechnik, die "gestern" entstandene Computerkunst alt aussehen lassen. Das hat dazu geführt, dass sich zahlreiche Kunstinstitutionen von der digitalen Kunst wieder verabschiedet haben. Nur wenige Häuser haben sich weiter damit auseinandergesetzt, darunter das ZKM, die Ars Electronica und einige Museen in Amerika. In dieser Zeit ist aus meiner Sicht eine große Wissenslücke entstanden, weil die digitale Kunst mehrere Jahrzehnte vernachlässigt wurde. Hätten sich die Museen kontinuierlich mit digitaler Kunst auseinandergesetzt, wäre der gegenwärtige NFT-Hype keine besondere Überraschung gewesen.

Haben Sie das Gefühl, dass sich in den vergangenen zwei Pandemiejahren viel verändert hat?

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass nicht nur die digitale Kunst vernachlässigt, sondern auch die Digitalisierung von Museen unterschiedlich interpretiert wurde. Zumindest hat man verstanden, dass Social-Media-Kanäle zur Notwendigkeit geworden sind und man damit, auch in pandemiebedingten Schließzeiten, Inhalte vermitteln kann. Darüber hinaus erfolgten Versuche, analoge Kunst in den digitalen Raum zu übersetzen. Onlineführungen zählten bald zum Alltag. Daneben wurden reale Ausstellungen gefilmt oder virtuell nachgebaut und bei Videoportalen eingestellt. Das sind dann auch die banalsten Formen der Digitalisierung. Für die Gesellschaft war und ist das aber schon lange nichts Neues mehr. Sie hatte sich schon längst daran gewöhnt, analoge Kunst auf digitale Weise zu erleben. Trotzdem wird in der Kunst- und Museumsszene immer wieder die Frage aufgeworfen, ob analoge Kunst digital konsumiert werden kann. Klar funktioniert das, und auch andersherum. Denn beides ist in beidem möglich.

Das Belvedere in Wien hat zum Valentinstag Gustav Klimts berühmtes Gemälde "Der Kuss" in 10.000 unverwechselbaren digitalen Einzelteilen als NFTs angeboten. Jeder Schnipsel kostete 1850 Euro. So wollte das Museum 18,5 Millionen Euro einnehmen. Halten Sie diesen Weg für richtig und zukunftsträchtig?

Das ist nichts weiter als eine Marketing-Maßnahme. "Der Kuss" ist schon seit langer Zeit ein bevorzugtes Merchandising-Objekt. Ist die Aktion legitim? Grundsätzlich ja, aber hier verkauft ein staatlich gefördertes Museum Kunst auf einem Finanzplatz, der durchaus noch kritisch zu sehen ist. In diesem Geschäftsfeld hat man es mit großer Wahrscheinlichkeit mit Geldwäsche und Finanzkriminalität zu tun, das sieht man jetzt insbesondere bei der Charade um die "Bored-Ape"-NFTs. Ein staatlich gefördertes Museum sollte da sehr genau prüfen, ob man in diesem Geschäftsfeld operativ tätig sein will, denn irgendwann wird es Finanzkontrollen geben. Der Kryptomarkt ist definitiv kein Playground für Merchandising von Museen. Der KYC-Prozess (zur Identifikation des Käufers, d. Red.) wird ja längst nicht in allen Fällen angewendet. Wer NFTs verkauft, sollte wissen, wer seine Käufer sind. Wir interessieren uns nicht nur für Künstler, sondern auch für Sammler. Denn diese besitzen oft bedeutende Kunst-NFTs. Etwa solche, die besonders früh geminted (erstellt, d. Red.) wurden. Im Gegensatz zu den Künstlern kennen wir allerdings die Identität der Sammler nicht. Ihre Namen verbergen sie hinter anonymen Codes oder Nicknames. Daher verkaufen wir nicht, sondern erwerben, in einem überschaubaren Rahmen, für die österreichische und deutsche Kunstgeschichte bedeutende Kunst-NFTs.

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Prof. Dr. Alfred Weidinger leitet die Oberösterreichischen Landesmuseen. Zuvor war er Direktor des Museums der bildenden Künste in Leipzig und Vizedirektor an der Albertina und am Belvedere in Wien.

Copyright: Ramona Schacht


Im vergangenen Jahr hat der bis dato eher unbekannte US-Künstler Beeple eine digitale Collage im traditionsreichen Auktionshaus Christie’s für rund 69 Millionen Dollar verkauft. Wir sprechen wohlgemerkt von einer jpg-Datei. Wie sehen Sie diese Entwicklung? 

Erst vor Kurzem habe ich dazu einen Tweet gepostet. Das Interessante war, dass sich die Community darüber empörte, dass ich den Namen Beeple überhaupt erwähnte. Ich habe dann kurz erörtert, dass unabhängig von der Frage der Qualität Beeple Kunstgeschichte geschrieben hat. Die Auktion wurde zum Meilenstein auf dem Feld der digitalen Kunst. Zahlreiche Künstler, die bereits Jahre zuvor Kunst-NFTs geminted hatten, sind auf der Strecke geblieben. Es liegt nun an den Museen, das zurecht zu rücken.

Werden NFTs den klassischen Kunstmarkt verändern oder sogar bedrohen?

Nein, das glaube ich nicht. Sie bieten dem Kunstmarkt ein weiteres Betätigungsfeld. So beginnen Galerien allmählich, hybride Ausstellungen zu konzipieren. Es ist doch eine positive Entwicklung, dass man Ausstellungen sowohl für den analogen wie für den virtuellen Raum konzipiert. Wir betreiben dafür seit April 2021 im Metaverse "Cryptovoxels" einen virtuellen Standort, das DFC Francisco Carolinum, in dem regelmäßig Ausstellungen digitaler Kunst stattfinden. Für manche Galerie ist das längst zu einem Geschäftsfeld geworden. Denken Sie an Johann König, der mit MISA eine Plattform entwickelte, über die er sehr erfolgreich Kunstkäufe, auch von NFTs, abwickelt. Und er ist nicht der Einzige.

Sie fordern ein radikales Umdenken im gesamten Kulturbereich. Wie radikal muss es sein, braucht es keine Theater, Opern und Kinos mehr im klassischen Sinn?

Aber ja, sie werden genauso notwendig sein wie Museen. Es wird auch in Zukunft immer noch analoge Kunst geben. Das Radikalste, was ich fordere, ist, dass man nicht mehr zwischen digitaler und analoger Kunst differenziert.

Im September letzten Jahres fand die Art Basel in Miami statt, in deren Umfeld es 50 Veranstaltungen gab, die sich mit digitaler Kunst beschäftigten. Ist das Thema in anderen Teilen der Welt viel weiter als bei uns?

Insbesondere in Amerika ist es sehr weit. Das liegt daran, dass sich die Szene und die Gesellschaft dort schon immer sehr stark mit der digitalen Welt identifiziert haben – denken Sie nur ans Silicon Valley und an die großen Tech-Konzerne. Auch viele asiatische Künstler gehören zu den Gründern oder Treibern der digitalen Kunst, natürlich auch einige Europäer, aber hier sind Museen immer noch sehr skeptisch. Die haben oft die Philosophie, dass sich Künstler erstmal am freien Markt bewähren müssen, bevor sie in die heiligen Hallen der Museen eingelassen werden. Aber diese Zeit sollte längst vorüber sein. Ein Umdenken ist angebracht.

Woher kommen in unserem Kulturraum diese Vorbehalte gegen digitale Kunst und Kultur?

Sie waren nicht immer da, aber sie sind gewachsen. Ähnliches geschah mit der Fotografie. Diese Kunstform hat genauso ihre Daseinsberechtigung wie die Malerei, die Bildhauerei oder die Architektur. In der Zeit der Wiener Secession oder des deutschen Jugendstils waren diese Künste auf demselben Level. Aber dann hat die Fotografie, ausgelöst durch zeithistorische Ereignisse und die fortschreitende Technologie den Anschluss verloren. Die aufgekommene Digitalfotografie hat die Unsicherheit der Kunstinstitutionen noch erhöht. Heute ist es kein Problem mehr, digitale Fotodrucke im Museum zu zeigen. Und mit der digitalen Kunst ist es nichts anderes, es braucht nur ein wenig Zeit und Verständnis. Zunächst müssen wir die Geschichte der digitalen Kunst aufarbeiten. In diesem Zuge gibt es einige sehr interessante Künstlerpersönlichkeiten, mit denen sich die Museen bald auseinandersetzen werden. Das ist es, was dieser NFT-Hype positiv bewirkt hat.

Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, als Leiter des Museums der bildenden Künste in Leipzig konsequent auf ostdeutsche Kunst zu setzen? Ich behaupte, darauf wären schon die allerwenigsten Westdeutschen gekommen. Aber Sie als Österreicher?

Auch da gibt es eine Parallele zur Digitalkunst. Mir geht es schon lange nicht mehr um mein Ego, sondern um die Künstler. Es gibt zahlreiche Künstler, die Großartiges geleistet haben, die aber einfach die Zeitgeschichte unter den Teppich gekehrt hat. So erging es zahlreichen ostdeutschen Künstlern und Digitalkünstlern gleichermaßen, etwa Herbert W. Franke. Er wird bald 95 Jahre alt und hat schon in den 1950er Jahren versucht, einem Oszillografen Kunstwerke abzuringen. In der Folge hat er Großartiges auf dem Feld der digitalen Kunst geleistet.  Dasselbe gilt für viele ostdeutsche Künstler. Ich habe mich weniger um die in der DDR-Zeit bekannten Künstler gekümmert, die auch im vereinten Deutschland Erfolge feierten, sondern um jene, die im Untergrund arbeiten mussten. Klaus Hähner-Springmühl ist einer der bedeutendsten Künstler aus dieser Szene. Wir haben im MdbK Leipzig zumindest mal die Sensoren dafür aktiviert. Und mit der gleichen Absicht gehen wir an die digitale Kunst heran. Herbert W. Franke ist nur ein Beispiel, aber seine Werke müssten regelmäßig zu sehen sein, wenn es um digitale Kunst geht.

Björn Lange
Björn Lange arbeitete seit April 2019 zunächst als stellvertretender Chefredakteur des Magazins im Rotary Verlag. Seit Juli 2020 ist er Chefredakteur des Rotary Magazins. Zuvor war er unter anderem Redaktionsleiter des Pressedienstleisters Rheinland Presse Service in Bonn und des B2B-Wirtschaftsmagazins inside B in Offenburg.