Peters Lebensart
Fisch aus dem Rauch
Von fetttriefenden Klassikern und raffinierten Kreationen für die Spitzengastronomie
Dry aged wie beim Fleisch? Das geht nur bei extremen Temperaturen, bei polarluftgetrocknetem Lofotenstockfisch oder fermentiertem isländischen Gammelhai. Ansonsten hat man sich in Vortiefkühltruhezeiten allerhand einfallen lassen, um die schnell verderbliche Ware Fisch zu konservieren. Süßsaure Schwedenhappen, Brathering oder Rollmöpse in Essig, eingesalzene Sardellen, in Olivenöl eingelegter Thunfisch und eine griechische Delikatesse: in Bienenwachs konservierter Meeräschenrogen für Taramosalata. Oder, typisch für unsere Breiten, aber auch für die russische und baltische Küche: Räucherfisch. Wer da nur an Bückling denkt, sollte einmal Berlins Fischtempel Rogacki oder die Art-déco-Markthallen von Riga durchstreifen: von der Sprotte bis zum Butt, von der Flunder bis zum heiß geräucherten Stremellachs tummelt sich da praktisch alles, was in Nord- und Ostsee schwimmt.
Fisch aus dem Rauch: Das ist eine Delikatesse, bei der sich die Geister scheiden und mancher figurbewusste Konsument „nein, danke“ sagt. Denn so ein Räucheraal kann ungeachtet der gesunden Omega-3-Fettsäuren ganz schön üppig schmecken, sodass in Deutschlands berühmtestem Aalrevier Bad Zwischenahn nach niedersächsischer Sitte Korn löffelweise dazu verabreicht wird. Ganz zu schweigen von fetttriefenden Heilbuttschnitten, den selten gewordenen Bauchlappen des Dornhais (unter dem poetischen Namen Schillerlocken bekannt) oder der nahrhaften irischen Sitte, gelb geräucherten Haddock (Schellfisch) in Backteig zu wälzen und zu Fish & Chips zu frittieren.
Es geht sanfter im Süden. Wobei, im Salzkammergut, am Bodensee oder Chiemsee ziehen die Fischer ja auch zartere Süßwasserfische aus dem Wasser. Eine geselchte Reinanke oder ein Riedling aus dem Traunsee, ein kalt geräuchertes Saiblingsfilet aus dem Starnberger See oder eine geräucherte Felche, serviert mit österreichischem Kren oder deutschem Meerrettich, roten Rüben oder Apfelgurkensalat: das sind keine derben Matrosenstärkungen, sondern leichte Sommergerichte, die in unserer feinen Küche immer populärer werden. Mit etwas Fantasie lässt sich selbst aus öligen Makrelen etwas zaubern. Jamie Olivers Interpretation des britischen Klassikers „smoked mackerel pâté“, wo zerpflückter Räucherfisch mit Sour Cream, Zesten, Zitronensaft und frischen Kräutern zum perfekten Toastaufstrich verrührt wird, lässt sich auch für üppigere Süßwasserfische wie Brachsen, die in der Havel Bleie heißen, abwandeln.
In Zeiten, in denen sich immer mehr Haushalte einen Smoker zulegen, merken wir, dass man Produkte durch Räuchern übertünchen oder veredeln kann. Egal ob Lachs oder Schinken: Zu viel Rauch, zu viel Salz vergröbert den Geschmack. In Karpfenrevieren wie dem österreichischen Waldviertel, dem Neusiedler See und dem fränkischen Aischgrund zaubern Räuchermeister mittlerweile aus dem fetten Fisch köstliche magere „Karpfenschinken“, die von der Spitzengastronomie begeistert angenommen werden. Vielleicht ahmen sie dabei eine sizilianische Rarität nach. Eigentlich stellt Räuchern ja eine Kulturgrenze des deutschen Sprachraums zu Italien dar, wo bei Fleischwaren Lufttrocknen oder beim Fisch Marinieren bevorzugt wird. Doch der sizilianische Adel ließ sich seit Jahrhunderten Filetstücke vom Thunfisch oder Schwertfisch schinkenartig anräuchern. Heute gehören „tonno“ oder „spada affumicato“, mit einem Faden Olivenöl und ein paar Spritzern Zitronensaft wie ein Carpaccio serviert, zu den neuen Klassikern süditalienischer Küche.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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