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Peters Lebensart

Frühling auf der Zunge

Peters Lebensart - Frühling auf der Zunge
© Jessine Hein/Illustratoren

Während Holunder für die Briten schon immer eine leckere Rolle spielte, werden die intensiv duftenden Blüten hierzulande eher selten verarbeitet.

Peter Peter01.05.2021

Sonderwunsch: Die Herzogin von Sussex, bürgerlich Meghan Markle, und Prinz Harry wählten die Aromen von 200 Amalfi-Zitronen und Holunderblüten aus Schloß Sandringham für ihren Hochzeitskuchen. Dieser frische Flavour brach mit den traditionellen Geschmacksnoten für royal wedding cakes, aber er wurde im Vereinigten Königreich durchaus mit Sympathie kommentiert. Schließlich gehört ein elderflower cordial, ein gern auch mit Champagner aufgespritzter Holunderblütensirup, schon immer zu den beliebtesten Getränken bei garden parties oder Glyndebourne-Picknicks – schon lange bevor Südtiroler Bars den Hugo aus Prosecco, Minze und Holler erfanden. Sogar der Wimbledon- und Ascot-Klassiker Pimm’s hat sich an die Mode angehängt und einen Holunderblüten-Likör als Alternative zu seinen Gurkencocktails aufgelegt. Anders als in Deutschland ist der Frühlingsgeschmack keine Wiederentdeckung der letzten Jahre, sondern seit Jahrzehnten als populärer Sirup verkauft worden. So wundert es nicht, dass die britische Presse in höchsten Tönen von den patriotischen florealen Aromen schwärmte – auch wenn Claire Ptak, die Patissière aus dem Londoner East End, kalifornische Wurzeln hat. Elderflower, dichtete der Guardian, sei wie ein champagnerfarbenes Blütenmeer mit einem dezidierten Aroma: Muscat grape meets lychee!

Szenenwechsel

Auch bei uns ist Frühling. Blumenzeit. Kräuterzeit. Aber man sollte sich beim Pflücken auskennen. Da stellen Holunderdolden eine einfache Alternative dar für alle, die gerne „in Wald und Flur“ oder am Wegrain sammeln – es muss ja nicht immer ein königlicher Schlosspark sein. Hollerbüsche sind leicht zu finden, leicht zu identifizieren. Meist wachsen sie wild, jeder darf pflücken. Achten sollte man auf drei Dinge.

Insektenfreie Dolden, möglichst schnelle Weiterverarbeitung und als kleiner Tipp: Mittags duften die ephemeren Blüten am intensivsten. Der betörende Rohstoff ist gratis und bio – Kostenfaktor lediglich Zitronen, Zucker, Zeit. Man kann die Blütenmaische zu Sirup abkochen. Mutige können sie auch zu Sekt vergären lassen – ich erinnere mich allerdings noch an das Knallen geplatzter Holunderflaschen im elterlichen Keller! Oder man probiert eine frühe Idee der saisonalen Küche aus: fritierte Holunderblüten. Schon 1549 hatte Cristoforo da Messisbugo, Hofkoch in Ferrara, das Rezept für frittelle con fiore di sambuca veröffentlicht. Wem die Luxuszubereitung aus Mehl, Quark, Hartkäse, Hefe, Milch, Eier, Rosenwasser, Korinthen und gemörserten Holunderblüten zu aufwendig ist, der kann die frischen Dolden auch einfach in Bierteig tauchen oder lässt sich von Jamie Olivers elderflower fritters im Tempurastil inspirieren.

Verschollen: Holunderplinsen

In unserer Gastronomie sind solche authentischen Genüsse leider selten, am ehesten findet man manchmal in bayerischen oder österreichischen Wirtshäusern Hollerkiachl oder Holderküchlein auf der Tageskarte, während ostpreußische Holunderplinsen weitgehend verschollen sind. Dafür punktet Norddeutschland mit süßer Fliederbeersuppe aus reifen schwarzroten Früchten.

Klar, man kann sich einen Cocktail mixen mit dem französischen Likör St. Germain, wo laut Eigenwerbung in jeder Flasche 1000 handgepflückte Holunderblüten stecken. Aber eigentlich bleibt die Verwendung von Holunder ein Paradebeispiel für hausgemacht. Wer dazu keine Lust verspürt, könnte sich auf der nächsten Englandreise den Sussex-Hochzeitskuchen unter violetcakes.com ordern. Claire Ptak verlangt für die Holunderschleckerei je nach Größe für acht bis 60 Personen 48 bis 420 Pfund.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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