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Peters Lebensart

Hanseatisches Erbe in der DNA

Peters Lebensart - Hanseatisches Erbe in der DNA
© Jessine Hein/Illustratoren

Eine interessante Evolution: Vom Hamburger Rundstück zum veganen Patty mit Avocado im rustikalen glutenfreien Bun: Die Burger-Varianten sind inzwischen so zahlreich wie die Fans weltweit.

Peter Peter01.04.2024

Das Naturkind aus Capri soll sich an amerikanische Sitten gewöhnen – schließlich streiten "Onkel" Clark Gable und "Tante" Sofia Loren leidenschaftlich um die Erziehungsberechtigung des Waisenknaben. Der Businessman buhlt um die Gunst des Kleinen mit Bootsfahrten, Baseball und Burger. Und so kommt es 1960 im HollywoodKlassiker It Started in Naples zu einem skurrilen Burgeressen. Denn der Burger, den Marietto verdrücken darf, ist das grotesk überspitzte Gegenteil von Fast Food. Auf der Traumterrasse eines Inselhotels sind alle Zutaten einzeln in Silberschüsseln aufgetischt: Väterlich fürsorglich türmt Clark Gable zwischen die Weißbrothälften Fleisch, Zwiebeln, Tomaten und Ketchup. Da kommt cineastisch nur noch die Szene aus Tarantinos Pulp Fiction mit, wo sich John Travolta über die Affektiertheit der Franzosen mokiert, den "quarter pounder with cheese" "Royale" zu nennen. Der Wunsch nach einem simpleren Cheeseburger rettet die Heldin des Horrorfilms The Menu vor dem Flammeninferno durch den durchgedrehten Starkoch.

Burger ist US-Identität. So insinuiert es auch eine Pop-Art-Ikone wie Roy Lichtensteins Burger mit heruntertriefender Käsescheibe, wenn auch Andy Warhol in einem frühen Video sich angeödet von zu viel wattigem Brot zum dünnen Beef-Patty zeigt.

It started in Hamburg: Viel spricht dafür, dass das deutsche Tor zum Ozean nicht ganz zufällig Pate für den Namen stand. Denn zwei Bestandteile des Burgers haben ferne hanseatische Vorfahren. Buns könnten auf das klassische kernfreie Hamburger Brötchen, das Rundstück zurückgehen. Das wurde gern gefüllt mit einer Scheibe Braten oder maritimem Salt Beef serviert.

Nächster Schritt. Aus Pökelfleisch wurde frisch gewolftes Rindfleisch – schließlich musste man in den Staaten mit ihren riesigen Rinderherden und Schlachthöfen nicht groß "meat" konservieren. Als "Hamburg steak" wurden Hackklopse mit brauner Sauce und einem Klacks Kartoffelbrei ein beliebtes Essen nicht nur der "German community", zumal die Vorsilbe "ham" auch verlockend nach Speck klang (der eigentlich nicht drin ist).

Die Schritte zum Fastfood sind bekannt: Die Bulette wird in das Rundstück gesteckt und als gefrorener Patty "nationwide" verfügbar. Der Fließband-Hamburger spielt mit der Grill- und Barbecue-Sehnsucht des Wilden Westens, ist erschwinglich und schnell zu verzehren. "Time is money", die Erfolgsstory von McDonald’s hat Generationen beim Zeitsparen geholfen und tatsächlich die Nationalspeise der USA kreiert.

Immer noch? Längst ist Burger ebenso wenig automatisch amerikanisch wie Pizza italienisch. Expansion hat den Snack globalisiert – 40.000 neugierige "burger victims" drängelten sich 1992 am Eröffnungstag in die erste McDonald’s-Filiale in Peking. Doch bald setzte ein regionaler Backlash ein: eine Reaktion auf die Monotonisierung des Genusses.

Heute sind Burger eine Lieblingsspeise der (jüngeren) Menschheit. Im Trend liegt Individualisierung und Entamerikanisierung, siehe altdeutsche Märchennamen wie Hans im Glück. Frankreich, auf die Superiorität seiner "cuisine" bedacht, ersetzt Schmelzkäse durch Rohmilch-Comté und romanisiert das Produkt zu "burg(heure)" oder "hamburgé". Jungköche legen Wert auf knusprigere Sesam-Buns und Bio-Alpenrind, in Mailand soll es vergoldete Burger mit Trüffel und Chianinahack und "amburgher alla tirolese" geben, ein kulinarischer Spagat zwischen Waterkant und Südtiroler Speck! McDonald’s zieht mit und setzt in Japan auf "ginger pork" und in Indien auf vegetarische statt Beefburger. Hamburg ahoi: In der windschiefen Oberhafenkantine gibt’s das fiktive Original: Original Hamburger hamburger!

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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