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Peters Lebensart

Moderne Tischsitten

Peters Lebensart - Moderne Tischsitten
© Illustration: Jessine Hein/Illustratoren

Der gute Gast von heute kennt sich aus mit Sushi-Etikette und Handy-Handling

Peter Peter01.03.2024

Mein Lieblingsanalyse zum Thema stammt von dem Berliner Kabarettistenduo Pigor & Eichhorn. Ihr Chanson Der Gastgeber nimmt die deutsche (Un-)Sitte, bei Einladungen ungefragt in die Küche zu strömen, auf die Schippe: „Eine Küche ist kein Mitmachtheater … hockt euch hin! Der angenehme Gast weiß sich einfach zu benehmen. Der säuft und frisst und bringt interessante Themen.“

Dieses satirische Pladoyer für Respekt vor der Regie des Gastgebers, „der sich ja vielleicht etwas gedacht hat“, weist auf unsere Realität hin. Viele förmliche Benimmregeln sind situativ angepassten Manieren und einer gewissen Zwanglosigkeit gewichen. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass gemeinsam kochen ein neuer Volkssport geworden ist, sondern auch mit unserem global erweiterten kulinarischen Horizont. Perfekte Tischsitten beschränken sich nicht mehr darauf, zu wissen, was ein Burgunder- vom Bordeauxglas unterscheidet, dass man Brot bricht und nicht schneidet oder wie man mit Fischbesteck umgeht. Idealerweise machen Gäste auch bei Fingerfood oder mit Stäbchen gute Figur. Hat man vor zehn, fünfzehn Jahren darüber nachgedacht, ob man Sushi mit der Hand isst oder ob Eintauchen in Sojasauce ein Regelverstoß ist, da das sorgsam geknetete Reisschiffchen zerbröseln könnte?

Die größte Veränderung und Herausforderung ist der höfliche Umgang mit Mobiltelefonen bei Tisch. Es war, außer der sonntäglichen Zeitung beim geruhsamen Familienfrühstück, immer schon mangelnde Achtsamkeit, in Büchern oder Magazinen zu schmökern und gleichzeitig geistesabwesend in der Mahlzeit herumzustochern. Das gilt noch viel mehr fürs Handy. Wir sind im Allgemeinen weder Notfallchirurginnen, Generäle oder Außenpolitiker, die ständig während des Mahls erreichbar sein müssen. Wem das zu fortschrittsfeindlich erscheint, dem sei entgegenhalten, dass ayurvedische Gesundheitslehren auf Essen in Ruhe ohne eingeschaltete Geräte dringen – schon das Handy auf dem Tisch liegen zu lassen, stört. Ich finde es jedenfalls gut, dass italienische Trattorien darauf verweisen, dass Klingeltöne des „telefonino“ das Kochen der Pasta stören. Allerdings gibt es begründete Ausnahmen. Wenn die Speisekarte nur digital verfügbar ist, kommt das Mobilfunkgerät kurz zum Einsatz. Schnelle Fotos der Gerichte zu machen, eckt nicht mehr an, haben sich doch viele Küchen darauf eingestellt, ihre Teller „instagrammable“ aufzuhübschen. Das hässliche Wort Foodporn weist allerdings darauf hin, dass nicht jeder mit Fotos von noch so hübsch angerichteten Tellern bombardiert werden will. Und schließlich lösen sekundenschnelle Paypal-Transfers das ewige Etiketteproblem des Aufteilens der Rechnung, bei dem man uns Deutschen besondere Pingeligkeit nachsagt, diskreter als das beim optisch präsenteren Bargeld. Gehobene Restaurants legen mittlerweile Wert darauf, nur ja nicht steif zu wirken. Ein neuer Umgangston hat sich eingebürgert. Der ideale Gast betrachtet das Servicepersonal nicht mehr als abgerichtete Lakaien, sondern als Spezialisten, von denen man etwas lernen kann, sei es etikettemäßig, sei es in einer Plauderei mit der Sommelière. Ein Trend ist auch die zunehmende Individualisierung aushäusigen Essens. Allergien, vegane Ernährung oder antialkoholische Saftbegleitung werden nicht mehr als eigenbrötlerische Sonderwünsche abgetan. Doch es gibt auch die Gegenbewegung: Beim Sharing von Platten, die in der Mitte der Tafel zur Selbstbedienung eingedeckt werden, lebt die Sitte der Tischgemeinschaft wieder auf. Statt des „egoistischen“ Einzeltellers geht es hier um kulinarische Interaktion, um Teilen und auch mal um Verzichten, kurzum: um die gute alte Höflichkeit.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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