Peters Lebensart
Radikal regional
Neulich im Salzkammergut beim Höllerwirt. Gault-Millau-Plakette, Spitzen-Smaragdweine, weiße Stoffservietten. Und dann als Krönung Backhendl vom Ohlsdorfer Wildhendl vom Wastlhackhof. Perfekter als mit diesem rustikalen Subtext kann man alpine Authentizität kaum herüberbringen. Wildhendl erfüllt die Sehnsucht nach freilaufendem Geflügel in der Traumlandschaft des Traunsees, und Wastlhackhof könnte sich kein Heimatschriftsteller knorriger zusammenreimen. Eine perfekte Idylle? Warum nicht, Gastronomie zaubert gern Illusionen, und die Evozierung heiler touristischer Bilder ist durchaus appetitanregend – nicht nur in den österreichischen Alpen.
Szene statt Oma-Nostalgie
Der Trend ist längst international. Heimatküche, das war einmal Oma-Nostalgie mit immer mehr Fertigprodukten angeblicher Hausmannskost, auf denen eine trügerische Welt von gestern abgebildet wurde. Dann kam Slow Food, pochte auf die Rettung authentischer handwerklich erzeugter Lebensmittel. Jetzt ist das Schlagwort gründlich entstaubt bei den Szenestars angekommen, den gern tätowierten jungen Starköchen der Metropolen. Das „Upper Eat Side“ in München zapft zum Sashimi aus Starnberger See-Fischen Giesinger Stadtteil-Aale. Das „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin hat Zitrone als nicht brandenburgisch von der „brutal lokalen“ Speisekarte verbannt. Idol ist das „Noma“ in Kopenhagen, das mit streng antimediterraner nordischer Küche, Porzellantabu und Tischdeckenverzicht zum besten Restaurant der Welt aufstieg.
Einst galt die Kenntnis der weiten Welt, heute die der dörflichen Kräuter, mokierte sich ein Kritiker. Ein geodätischer Begriff wie kilomètre zéro wird zum gastronomischen Schlagwort. Im Idealfall ist jedes Produkt null Kilometer entfernt vom Restaurant entstanden – das geht auf katalanischen Bauernhöfen, burgundischen fermes und toskanischen Agriturismi, aber auch in New Yorker Toprestaurants – auf dem Roof top des Skyscrapers zieht die Küchen-Equipe eben ihre eigenen Gemüse. Fast scheint das Bismarcksche Credo, sich möglichst nur mit Produkten von den eigenen Gütern zu ernähren, unbewusst
in neuem Gewande wieder aufzuleben.
Die Gesellschaft rebelliert gegen die kollektive Bescheidenheit standardisierter Koffeingetränke oder Burgerketten, ist auf der Jagd nach dem Individuellen, nicht Exportierbaren, nicht in Supermarktregalen Erhältlichen. Heimat ist fernab von nationalistischem Ballast plötzlich cool, und die gastronomische Avantgarde kombiniert das mit einem geschärften Blick auf die raren Spitzenressourcen der unmittelbaren Umgebung.
Mit diesem Perspektivenwechsel ist die Umwertung der kulinarischen Werte da. Alte bunte Rübensorten verschaffen elitärere Geschmackskicks als Flugspargel, gesottene fränkische Flusskrebse reizen mehr als gefangene Tankhummer oder asiatische Zuchtshrimps. Lieber Bamberger Hörnchen-Kartoffeln mit Bauernbutter als Bambussprossen, lieber das Lokale oder Regionale in bester Qualität als scheinbare Weltmarktgourmandisen wegen ihres bloßen Namens ordern. Gut essen bleibt eine Frage des Geschmacks,
ja der persönlichen Identität und nicht des zu Markenartikeln gehypten Pseudoluxus. Die Delikatessen von morgen werden die echten einfachen Dinge sein, in denen das Kostbarste steckt, was moderne Lebensmittel zu bieten haben – Authentizität.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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