Peters Lebensart
Schluss mit dem Stress
Der Fachkräftemangel in der Gastronomie ist in Teilen hausgemacht, die Arbeitsbedingungen für Köche und Servicepersonal müssen angepasst werden.
Das Noma in Kopenhagen, fünfmal zum weltbesten Restaurant gekürt, schließt. Avantgarde chef René Redzepi begründet es damit, dass Spitzengastronomie finanziell und wegen der Ausbeutung der Arbeitskräfte überholt sei. Eine ganze Branche sieht sich düpiert. Die Debatte ist heftig. Sterneköche wie Tim Raue oder Familie Reitbauer vom Wiener Steirereck halten dagegen. Dabei ist die Botschaft nicht ganz neu, nur der Verkünder prominenter.
Schon seit Bocuse gilt: Sterneküche rentiert sich trotz hoher Preise nicht, ist meist auf Querfinanzierung angewiesen. Aber sie ist das Herzstück kulinarischer Imperien. Sie ermöglicht dem Chef, mit Kochkursen, Werbung, TV und Bestsellern Geld zu scheffeln. Ab einer gewissen Prominenz lockt allerdings die Versuchung, sich den Stress des Restaurants nicht mehr anzutun und lieber als VIP Eventhonorare abzusahnen.
Ein leichter Job war Küche noch nie. Gott sei Dank sind die Zeiten vorbei, wo ein Genie wie Carême 1833 elendiglich an der Berufskrankheit Rußvergiftung zugrunde ging. Auch die skandalösen Küchenlöcher der Pariser Gourmettempel, die Orwell 1933 beschrieb, sind Vergangenheit. Wenn sich der Doyen Vincent Klink launig beklagt, dass er als Lehrbub schlechte Karten bei den „Mädle“ hatte, so hat sich auch einiges geändert: Koch oder Köchin zu sein gilt als schick, und vielleicht schafft die Elevin ja den Sprung zur Fernsehköchin. Was bleibt, ist ein Arbeitsrhythmus, der mit aktueller Work-LifeBalance häufig kollidiert.
Die Chance auf Prominenz gilt nicht für das Servicepersonal. Wobei es ein Geschmäckle hat, dass ausgerechnet Redzepi sich zum sozialen Anwalt erklärt. Denn das Erfolgsmodell des Noma beruht auch darauf, dass es den klassischen Kellner abschaffte. Die Köche servieren selbst. Eine Win-win-Situation, die das Gegenteil langjährig eingespielter Equipen darstellt. Das Gros absolviert kurze „Stages“ samt Top-Ausbildung, weltweite kulinarische Studienreisen und hauseigene Bibliothek inklusive, im Gegenzug gibt es nur ein Taschengeld.
Was hat sich so geändert, dass das Thema Krise plötzlich hochkocht? Sicher der Mangel an Fachpersonal und der berechtigte Wunsch, Job und Familie unter einen Hut zu bringen.
Dafür gibt es Lösungsansätze: Unterbezahlung könnte durch weitergereichte Einsparmaßnahmen und geänderte Trinkgeldmentalität gelindert werden. Warum nicht wie in den USA über zehn Prozent als Anerkennung für engagierten Service ausgeben – schließlich haben Gourmetrestaurants meist wenige Tische und nur einen Bezahl-Slot. Achtsamkeit gegenüber dem Personal drückt sich in der Tendenz aus, arbeitsintensive Spitzenlokale nur vier oder drei Tage zu öffnen – der Menüzwang bedeutet Rationalisierung und Zeitersparnis.
Berufliche Zufriedenheit hängt nicht nur vom Gehalt ab. Was das Ansehen von Serviceberufen anbelangt, könnte man auf Italien oder Wiener Kaffeehausober schauen, die als stolze Protagonisten auftreten.
Kochen umschließt auch Putzen. Der Trend zu offenen Hightech-Küchen macht den Arbeitsplatz ästhetischer und sicherer, was besonders Frauen anzieht.
Und dann geht es noch um die Atmosphäre: Brüllaffen am Pass wie in Claude Sautets Film Garçon von 1983 sind out. Der Kommandodrill im aktuellen Disney-Streifen The Menu stößt hierzulande Gästen unangenehm auf. Denn schließlich ersetzt das moderne Ideal der Gastfreundschaft die Dienerrolle durch punktuelle Partnerschaft. Es geht in der Regie eines Sternerestaurants eben nicht nur ums Essen, sondern immer mehr auch um gesamtheitliche Philosophie und kulinarische Wissensvermittlung durch die kochende Zunft und rhetorisch sensibles Personal.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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