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Glitzern im Sand

Die Diamanten des Sperrgebiets sind Namibias wichtigstes Exportgut.

Thomas Kruchem29.02.2012

Greg McGregor verbreitet ein wenig die Aura des Sheriffs von Santa Fe damals im Wilden Westen: ein hochgewachsener Athlet in Khaki-Hemd und engen Jeans; schwere Gürtelschnalle, graubärtig-kantiges Gesicht mit dunkler Sonnenbrille auf einer markanten Nase.
Greg passt hierher – ins fast 27.000 Quadratkilometer große „Sperrgebiet“ im Südwesten Namibias; eine seit 1908 dem Diamantenabbau vorbehaltene, für Normalsterbliche schwer zugängliche Zone. Dies Gebiet reicht vom Orange River zwischen Sendelingsdrif und der Mündung fast 300 Kilometer nach Norden, bis weit hinter Lüderitz.
Um das „Sperrgebiet“ zu besuchen, brauchte ich grünes Licht vom Bergbauunternehmen Namdeb, vom zuständigen Ministerium, ein polizeiliches Führungszeugnis. Die Papiere wohlsortiert auf dem Beifahrersitz, habe ich gestern von Alexander Bay aus den Orange überquert – auf der beängstigend schmalen Oppenheimer-Brücke. Kein anderes Auto weit und breit; trotzdem dauerte der Schriftkram beim Zoll eine halbe Stunde; es folgte eine sorgfältige Kontrolle beim Namdeb-Sicherheitsdienst. Telefonat hin, Telefonat her und nochmals hin; dann endlich begannen die gestrengen Offiziellen zu lächeln, öffneten die Schranke und wiesen mir den Weg nach Oranjemund – ein Städtchen wie aus dem Bilderbuch: gebettet in Rasenflächen an schattigen Alleen sehe ich schmucke Wohnhäuser, Kirchen, Restaurants und einladende Herbergen.
Julien Cloete und Ronel van der Merwe, Umweltexpertinnen bei Namdeb, nahmen mich unter ihre Fittiche; das Abendessen war gut, das Bett im Gästehaus auch; und jetzt sitze ich mit dem Geologen Greg McGregor in einem Pritschenwagen, den Gregs kupferreifgeschmückter Arm den Orange entlang gen Osten steuert. Die Landschaft hier ist schroff: kaum bewachsene Wüste, steinige Hügel, Dünen aus rötlichem Sand; ab und zu glitzert rechterhand, hinter dunkelgrünem Ufergebüsch, der Fluss auf.
Eine Stunde lang verfolge ich in der Morgensonne verspielt wirkende Wechsel von Felsformationen und Farbschattierungen; dann, plötzlich, der Schock: Gigantische Stein- und Sandhaufen versperren die Sicht, Gräben und Löcher tun sich auf; ich erblicke Hügel, aufgerissen von monströsen Zähnen. Bin ich, wie Jonathan Swifts Gulliver, im aufgewühlten Sandkasten der Riesenkinder von Brobdingnag gelandet?

Wühlen im Kies

„Dies ist Daberas, Namdebs Diamantentagebau am Orange River“, sagt Greg und fährt einen Hügel hinauf. Nein, doch keine Riesenkinder; stattdessen Dutzende gelbe und rote Frontlader, Bagger, Kipper, transportable Förderbänder. Eine vielteilige Maschinerie verwandelt Hangflanken in 20, 30 Meter hohe Steilwände; sie häuft Halden aus Millionen Tonnen Abraum an, baggert sich heran an jene wenige Meter starke Schicht von Kies, die – so Greg – Diamanten enthält und deshalb Erz genannt wird.
„Wie kommen die Diamanten dorthin?“ frage ich. Greg beginnt zu erzählen: vom Ur-Orange, der in wechselnden Betten gewaltige Mengen Wasser aus den Bergen Lesothos nach Westen trug – und Milliarden Tonnen erodierten Erdreichs, Sand, Gestein. In diesen unvorstellbaren Massen geologischen Materials versteckten sich Diamanten aus den zahlreichen Kimberlit-Schloten im Becken des Orange River.
Einen Teil seiner Fracht trug der Fluss ins Meer; er wurde vom Benguela-Strom nach Norden getrieben und dort in großen Mengen wieder an Land gespült. So entstand die Namibwüste; so entstanden an und vor der Küste Namibias die weltweit größten Vorkommen alluvialer Diamanten; Geschenke Lesothos und Südafrikas, quasi, für den netten Nachbarn.
Der andere Teil der Sediment-Fracht aus dem Osten lagerte sich in den Flussbetten ab. „Wir haben, anhand von Luftbildern und geologischen Indikatoren, alte Flussbetten des Orange identifiziert – und dann in den geschichteten Sedimenten ‚Flussterrassen‘: Grundgestein und darüber liegende alluviale Schichten von Kies, in denen sich fast alle Diamanten abgelagert haben.“
Diamanten, die bis zu 60 Meter über dem heutigen Bett des Orange lagern. „Wir legen den Kies frei und graben ihn komplett ab. Anschließend saugen wir mit den blauen ‚Staubsauger‘-Schläuchen dort unten die Aushöhlungen des Grundgesteins leer. In solch einer Aushöhlung finden wir hin und wieder ein Dutzend Diamanten – mit, zu 98 Prozent, Schmucksteinqualität.
Während sich unter uns Bagger durch Grundwasserteiche quälen, erzählt mir Greg, wie die Förderung von bis heute fast 100 Millionen Karat in Namibia begann: 1908 fand der Bahnarbeiter Zacharias Lewara bei Lüderitz einen Diamanten – was höchste Betriebsamkeit bei der kaiserlich deutschen Kolonialverwaltung auslöste. Flugs grenzten die Deutschen ein riesiges „Diamanten-Sperrgebiet“ ab; und binnen Wochen nach den ersten Funden krochen in „diamantenverdächtigen“ Regionen Hunderte Arbeiter in langen Reihen über den Boden. Unter brütender Sonne und strengster Bewachung siebten sie von Hand den Sand. Rasch mechanisierten dann deutsche Ingenieure und Handwerker die Diamantensuche; und bis 1915, als sie ihre Kolonie verloren, sammelten die Deutschen insgesamt sieben Millionen Karat. Die Ausbeute lag bei rekordverdächtigen hundert Karat pro hundert Tonnen durchsuchten Sandes.
Nach dem Ersten Weltkrieg formte Sir Ernest Oppenheimer das Diamantenmonopol der Firma De Beers in Namibia. Heute kontrolliert, als Nachfolgerin des De Beers-Unternehmens CDM, die „Namdeb Holding“ Namibias Diamantenabbau – mit einer Förderung von zwei bis drei Millionen Karat jährlich. Namdeb ist Namibias wichtigste Devisenquelle, der größte Steuerzahler und, mit 1600 Mitarbeitern, der größte private Arbeitgeber. Der Umsatz erreichte 2010 fünf Milliarden namibische Dollar, rund 500 Millionen Euro.
Greg und ich fahren den Hügel hinab zu einem stählernen Ungetüm aus Trichtern, Förderbändern, Wassertanks und Türmen: die Aufbereitungsanlage für Diamantenerz. Eine Anlage, die aus täglich vielen tausend Tonnen Gestein ein paar Gramm Diamanten fischt: Gelbe Kipper schütten Kies in Trichter über Rüttelbändern; diese sortieren in mehreren Stufen die Steine mit einem Durchmesser von drei bis 25 Millimetern Durchmesser heraus; darunter befinden sich fast alle Diamanten. Es folgt das Bad in einer Flüssigkeit, in der leichtere Steine aufschwimmen und schwerere wie Diamanten absinken.
Ein letztes Ausscheiden minderwertigen Gesteins mit Röntgentechnik; dann fliegt ein Hubschrauber das in Dosen abgefüllte „Konzentrat“ zur Sortieranlage zehn Kilometer außerhalb Oranjemunds. „Fort Knox“ nennt Greg diese Anlage, die wohl besser bewacht wird als der neue Präsidentenpalast in Windhuk. Und als ich mich ein einziges Mal nach einem glitzernden Steinchen bücke, setzt Greg sofort sein „Sheriff von Santa Fe“-Gesicht auf und deutet auf mehrere Hochleistungskameras ringsum.
50 Millionen Tonnen Erdreich bewegt Namdeb Jahr für Jahr. 1950 gewann man noch 50 Karat, also zehn Gramm, Diamanten aus hundert Tonnen Erdreich; heute sind es weniger als zwei Karat. „Der Boom des Diamantenbergbaus am Orange River ist – nach über hundert Jahren – vorbei“, sagt Greg. Um am Orange noch eine Weile zu fördern, muss Namdeb immer effizientere Technologie einsetzen und Arbeiter einsparen.

Die Wunden des Bergbaus schließen

Jeder Bergbau birgt soziale und ökologische Gefahren. Bergbau kann Geisterstädte hinterlassen, Elendssiedlungen aus plötzlich arbeits- und perspektivlosen Menschen; ein Tagebau kann Landschaften verwüsten. Das weiß auch die Namdeb-Umweltexpertin Ronel van der Merwe.
Namdeb versuche, die Natur im Sperrgebiet zu schonen, betont Ronel. „Vor jedem Projekt erstellen unabhängige Experten eine Umweltverträglichkeitsstudie und auch schon einen Schließungsplan. Bereits vor dem ersten Spatenstich steht fest, wie wir später soziale Fragen bewältigen und die Umwelt rehabilitieren.“ Bis heute allerdings ist erst ein kleiner Teil der vom Bergbau betroffenen Gebiete tatsächlich rehabilitiert worden. Namdeb muss noch viele Wunden schließen im Sperrgebiet, das kürzlich offiziell zum „Sperrgebiet-Nationalpark“ erklärt wurde.
In einigen Jahren sollen Besucher bei Daberas 8000 Jahre alte Felsgravierungen der San bewundern; sie sollen Fossilienfundstätten erkunden, wo sich vor Millionen Jahren Elefanten, Krokodile und frühe Formen des Hundes tummelten. Und so mancher Besucher wird in sandverwehten Geisterstädten, wo noch Bier- und Whiskyflaschen deutscher Kolonialbeamter herumliegen, den Hauch der Geschichte spüren.

„Vision Namdeb 2050“

„Bergbauunternehmen müssen sich immer wieder neu erschaffen“, hat Greg McGregor ein wenig pathetisch gesagt. „Genau das tun wir mit unserer ‚Vision Namdeb 2050‘, unserer groß angelegten Suche nach alluvialen Diamanten im Meer.“ Nach Schätzungen liegen im küstennahen Meer zwischen Oranjemund und Lüderitz bis zu anderthalb Milliarden Karat oder 300 Tonnen an Diamanten – genug Arbeit für ein halbes Jahrhundert.
Die Förderung von Diamanten im Meer hat sich zum Standbein Namdebs entwickelt. „Allein die geologische Vorarbeit lässt dir graue Haare wachsen“, sagt Greg. „Du musst ehemalige Betten des Orange imaginär ins Meer verlängern und Auswirkungen von Wind und Strömung auf bestimmte Sedimenttypen über Millionen Jahre berechnen.“ Mühen, die sich offenbar lohnen: Namdeb fördert im Meer über zehn Karat pro hundert Tonnen bewegten Sandes: Um unter dem Strand lagernde Diamanten zu erschließen, schieben Frontlader an Stellen, wo einst der Orange mündete, gewaltige Mengen Sand ins Meer; sie häufen so riesige, bis zu drei Kilometer lange Deiche auf. Hinter den Deichen wird dann, bei stetem Abpumpen von Wasser, der Strand aufgegraben – bis zu 25 Meter unter dem Meeresspiegel. Ist die diamantenhaltige Kiesschicht erreicht, treten „Staubsauger“ und Aufbereitungsanlage in Aktion.
„Den verwüsteten Strand“, bedauert Greg, „können wir leider nicht aktiv rehabilitieren. Im Laufe einiger Jahrzehnte jedoch holt sich das Meer zurück, was ihm gehört.“ – Vorläufig bleiben über 400 Kilometer zwischen Kleinsee in Südafrika und Lüderitz in Namibia weite Teile der Atlantikküste verwüstet; Fische, Krebse und anderes Getier verlieren immer wieder Brutstätten.
Diamantenvorkommen unmittelbar vor der Küste erschließen „Seawalker“, Saug- und Aufbereitungsanlagen auf beweglichen Stelzen; bis 200 Meter weit im Meer operieren Schwimmplattformen mit Landeplätzen für Hubschrauber. Saugbohrer mit bis zu 140 Zentimetern Durchmesser saugen an vielversprechenden Stellen den Meeresboden bis aufs Grundgestein leer; aussortiertes Material wird wieder über Bord gekippt.
„Die Förderung von Diamanten aus dem Meer ist Namdeb’s Zukunft“, meint Greg zum Abschluss. “Hier investieren wir derzeit Milliarden namibische Dollar; hier hoffen wir noch in 40 Jahren zum Wohlstand Namibias beizutragen.“

Thomas Kruchem
Thomas Kruchem bereist als freier Hörfunkjournalist regelmäßig Entwicklungsländer. Der Autor mehrerer entwicklungspolitischer Fachbücher hat unter anderem vier Mal den "Medienpreis Entwicklungspolitik“ des BMZ erhalten. Zuletzt erschien sein Werk "Am Tropf von Big Food" (Transcript Verlag, 2019).