Afrika
Der Kampf um das Wasser
Am Nil, dem längsten Fluss Afrikas, brauen sich Konflikte zusammen. Auch die Staaten am Oberlauf des Flusses wollen künftig sein Wasser nutzen. Die Bauern Ägyptens, die bislang den Löwenanteil verbrauchten, müssen sich umstellen.
Böiger Wind treibt Regenwolken über das 3000 Meter hoch gelegene Tselale-Hochland im Norden Äthiopiens; über kahle Hänge oberhalb des Blauen Nils, der – tief ins Gestein geschnitten – tausend Kilometer durch Äthiopien fließt. Ein kleiner Junge hütet an einem felsigen Hang Ziegen und Schafe; weiter unten, wo noch fruchtbare Krume den Fels bedeckt, sprießt grüne Gerstensaat. „Während der Regenzeit schwemmen Wolkenbrüche mein Getreide und jede Menge Erde von den Feldern“, sagt der Bauer Asfar Hepa, der knapp einen Hektar bewirtschaftet. „In der Trockenzeit aber versiegt sogar unsere einzige Trinkwasserquelle.“
300 Meter entfernt vom Hof Hepas fließt der Melka Jasa vorbei – jetzt ein reißender Strom, in wenigen Monaten nur noch eine rissig-trockene Rinne. „Wenn wir das Wasser dieses Baches speichern könnten“, sagt der Bauer, „hätten wir mehr Geld und könnten unsere Kinder zur Schule schicken.“
5000 Kilometer stromabwärts, in der Wüste des westlichen Nil-Deltas, zieht sich der ägyptische Fellache Abdel Chatr den Turban tiefer ins Gesicht – zum Schutz vor 40 Grad heißen Sandwolken. New Nubaria heißt die 250.000 Hektar große Wüstenregion, die Ägyptens Regierung Mitte der 80er Jahre in Ackerland verwandelte – für 200.000 Bauern, die im sogenannten „alten“ Land kein Auskommen mehr fanden. Lange Reihen foliengedeckter Gewächshäuser weniger Großinvestoren; schäbige Beton- und Ziegelhäuschen der Kleinbauern; verstaubte Dattelpalmen, unter denen Rinder und Ziegen Schatten suchen – und überall im Sand schwarze Bewässerungsschläuche. Mit Nilwasser, das über Kanäle hierher geleitet wird, werden Erdnüsse, Bohnen und Orangenbäume am Leben erhalten.
Abdel Chatr – früh gealtert, trübe Augen, struppiger Bart – lebt seit 23 Jahren in dieser unwirtlichen Umgebung. 1987 kaufte er vom Staat zwei Hektar Wüstenland. „Aber nach zwei Jahren wuchs auf meinem Land nichts mehr. Es wurde immer wieder von salzigem Grundwasser überschwemmt.“ Die Ursache: Weil immer weniger Nilwasser das Delta erreicht, drückt der steigende Meeresspiegel Salzwasser ins Landesinnere – mit der Folge, dass inzwischen 15 Prozent des Ackerlands von New Nubaria nicht mehr benutzbar sind. Und so arbeitet Abdel Chatr seit nunmehr 20 Jahren als Tagelöhner.
Chatr und sein Kollege Asfar Hepa im Hochland Äthiopiens sind Schicksalsgenossen. Die Zukunft ihrer Familien und ihrer Länder mit je über 80 Millionen Einwohnern hängt ab vom Wasser des Nils, des mit fast 6700 Kilometern längsten Flusses der Erde. Zehn Staaten liegen im Nilbecken: am Weißen Nil die Demokratische Republik Kongo, Ruanda, Burundi, Uganda, Kenia und Tansania; am Blauen Nil Äthiopien und Eritrea; am Unterlauf Sudan und Ägypten. 300 Millionen Menschen in einer Region, die infolge rapiden Bevölkerungswachstums unter zunehmendem Wasser- und damit Nahrungsmangel leidet.
Den Löwenanteil am Nilwasser ließ sich im 20. Jahrhundert Ägypten zusichern: in Verträgen mit Äthiopien 1906, mit der Kolonialmacht Großbritannien 1929, mit dem Sudan 1959. Doch die Verträge ließen die Interessen der Staaten am Oberlauf völlig unberücksichtigt.
1999 beteiligte sich Ägypten immerhin an der sogenannten „Nilbecken-Initiative“ (NBI) der Flussanrainer, die den Boden bereiten sollte für eine gemeinsame Nutzung der Nil-Ressourcen. In den folgenden Jahren aber verschleppte Kairo die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen. Während die Oberanrainer eine „gerechte Aufteilung der Ressourcen“ als Leitprinzip vorschlugen, besteht Ägypten bis heute darauf, dass ihm weiterhin 55,5 Kubikkilometer Nilwasser jährlich garantiert bleiben, fast 90 Prozent. Im Mai 2010 schließlich platzte den sieben Staaten am Oberlauf der Kragen. Sie verabschiedeten das Rahmenabkommen in ihrer Version. Ägypten und Sudan reagierten mit massiven Drohungen und Säbelrasseln.
Im Kairoer Hochhaus des halbstaatlichen „Al-Ahram-Zentrums für strategische Studien“ verteidigt Präsidentenberater Hany Raslan die Position seines Landes. Ägypten – einst Kornkammer Roms, heute größter Weizenimporteur der Welt – erhalte derzeit nur noch 760 Kubikmeter Wasser pro Kopf und Jahr; die UN halten tausend Kubikmeter für nötig, um die Grundbedürfnisse zu erfüllen. Ägypten wird zusehends zu einem wasserarmen Land. „Deshalb können wir ein Abkommen, das uns keine feste Wassermenge garantiert, nicht unterzeichnen.“
Tatsächlich hat Ägypten immer größere Probleme, seine pro Jahr um 1,6 Millionen Menschen wachsende Bevölkerung zu ernähren – sagen auch Experten wie Paul Weber von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der die ägyptische Regierung in Bewässerungsfragen berät. „Die Produktivität der ägyptischen Landwirtschaft, schon heute eine der effizientesten weltweit, ist kaum noch zu steigern“, sagt Weber. Auch die vielfach als verschwenderisch gegeißelte Überflutung von Feldern sei tatsächlich eine über Jahrtausende bewährte, durchaus effiziente Form der Bewässerung.
Dies gilt allerdings nur für die seit pharaonischen Zeiten bewässerten fruchtbaren Schwemmböden am Nil – und nicht für das „neue“ Land, sandige Wüstenböden, in denen Wasser rasch versickert. Hier wird, um Wasser zu sparen, die lange praktizierte Beregnung zunehmend ersetzt durch Tröpfchenbewässerung: Aus Schläuchen mit winzigen Öffnungen bekommt jede Pflanze kontinuierlich mit Dünger versetztes Wasser. Kostbares Nass zu sparen versuchen ägyptische Bauern auch, indem sie durstige Kulturen durch weniger durstige ersetzen: In der Wüste müssen weder Reis noch Zuckerrohr wachsen.
Wirtschaftlicher Niedergang
Doch das Wassersparen der Ägypter stößt allmählich an kaum mehr verrückbare Grenzen: Erstens müssen Äcker, damit sie fruchtbar bleiben, regelmäßig durchspült werden – um sie von in Bewässerungswasser und Dünger enthaltenem Salz zu befreien. Zweitens büßt Ägypten heute dafür, dass der Nil seit dem Bau des Assuan-Staudamms kein äthiopisches Schwemmland mehr in sein Delta trägt. Das Land dort senkt sich ab, es kompaktiert – ein natürlicher Prozess, der aber immer größere Regionen des Deltas unter den Meeresspiegel sinken lässt. Salzwasser drängt deshalb ins Delta. Um die Böden fruchtbar zu halten, muss der Spiegel süßen Grundwassers steigen; man muss folglich viel Wasser verbrauchende Kulturen wie Reis anbauen. Drittens schließlich muss die rapide zunehmende Wasserverschmutzung verdünnt werden. Rückstände aus Dünger- und Pestizideinsatz und die Abwässer von 20 Millionen Menschen allein im Großraum Kairo fließen meist ungeklärt in den Nil; sie belasten das Wasser im Delta inzwischen so stark, dass Lebererkrankungen dort stark zunehmen und die Lebenserwartung sinkt.
Unterm Strich zeichnet sich, bei gleich bleibender Wassermenge pro Jahr, ein beispielloser wirtschaftlicher Niedergang Ägyptens ab: Das Land scheint – mit seinem extrem niedrigen Bildungsniveau und dem verbreiteten Inschallah-Fatalismus – kaum fähig, die existenziellen Herausforderungen von Wassermangel und Bevölkerungswachstum zu meistern; die sozialen Spannungen wachsen.
Ägyptens Regierung versucht, den Niedergang hinauszuzögern. Sie schickt Millionen Männer als Wanderarbeiter in andere arabische Staaten; und sie plant mit den künftigen Herrschern des ab 2011 wohl unabhängigen Südsudan den Bau des sogenannten Jonglei-Kanals. Dieser Kanal soll den Sudd trockenlegen – das größte Sumpfgebiet der Erde im Westen des Südsudan, gespeist aus dem Weißen Nil. Im Sudd verdunsten jährlich über zehn Kubikkilometer Nilwasser – Wasser, das der Jonglei-Kanal den Ägyptern bescheren würde; mit unabsehbaren ökologischen Folgen allerdings: für gewaltige Herden wilder Tiere und Hunderttausende Menschen, für das Klima in ganz Ostafrika.
Die Sicht Äthiopiens
Im Hotel Imperial, unweit des Flughafens von Addis Abeba, zeigt der äthiopische Regierungsberater Yakob Arsano wenig Mitleid mit den Ägyptern. Schon die Nil-Verträge der letzten hundert Jahre und der Bau des Assuan-Damms hätten gezeigt, dass Ägypten möglichst alles Nilwasser für sich haben wolle. Ägyptens Staatschef Nasser habe gegen Äthiopien die eritreische Unabhängigkeitsbewegung unterstützt; sein Nachfolger Sadat stets mit dem Säbel gerasselt, wenn Äthiopien auch nur erwog, den Nil zu entwickeln. Gemeinsam mit dem Sudan, klagt Arsano, unterstütze Ägypten bis heute Feinde der äthiopischen Regierung – in Äthiopien, Eritrea und Somalia. Und immer wieder interveniere Kairo bei internationalen Banken, um die Finanzierung äthiopischer Nilprojekte zu blockieren.„Mit dieser Diktatur der Araber über die Schwarzafrikaner aber ist jetzt Schluss“, sagt der Regierungsberater vehement. Äthiopien werde jedenfalls unbeirrbar sein bis zu 30.000 Megawatt großes Wasserkraftpotenzial am Blauen Nil ausbauen – und damit verbundene Bewässerungsmöglichkeiten. „Wir haben erst 15 Prozent unseres Agrarpotenzials ausgeschöpft“, sagt Arsano. „Unsere Entschlossenheit, dies zu ändern, dokumentiert der jüngst eingeweihte Beles-Damm am Tana-See. Allein dieser Damm wird 460 Megawatt Strom liefern und 120.000 Hektar Land bewässern.“
Kooperationen eingehen
Insgesamt, schätzt Arsano, könnte Äthiopien seinen Verbrauch an Nilwasser binnen 15 Jahren auf bis zu zehn Kubikkilometer im Jahr ausdehnen. Die Ägypter müssten, um ihre Wasserverluste auszugleichen, Fehler korrigieren und mit den Staaten am Oberlauf kooperieren. „Allein im Assuan-Stausee, einer gewaltigen Fehlinvestition, verdunsten jährlich zehn Kubikkilometer Nilwasser. Viel günstiger könnte Ägypten mit Äthiopien Wasser in den Schluchten des Blauen Nils speichern, so den Nil regulieren und jede Menge sauberen Stroms erzeugen.“ Zudem solle Ägypten in die Landwirtschaft Sudans, Äthiopiens oder Ugandas investieren. „Dann könnte es, in Form von Agrarprodukten, „virtuelles“ Wasser importieren und so den unausweichlichen Strukturwandel der ägyptischen Wirtschaft fördern.“ Die Stabilität im Nilbecken, sagen der Äthiopier und andere Vertreter der Staaten am Oberlauf des Nils, hänge von Ägypten ab. Das Abkommen vom Mai 2010 berge vielfältige Chancen zur Kooperation – wenn Ägypten und Sudan unterschreiben, statt weiter auf Konfrontation zu setzen.
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