Österreich, Distrikt 1920
Kommet ihr Hirten in Bethlehems Stall
Eine "Kripperlroas" im Salzkammergut gehört zu Weihnachten: Staunenswert für Erwachsene und eine Freude für Kinder.
Die Idee zur Krippe als "stehendes Bild" hatte im 13. Jahrhundert Franz von Assisi. Was sich in der Heiligen Nacht im Stall von Bethlehem zugetragen hat, fasziniert die Menschen seit Jahrhunderten. So lässt sich an vielen Orten das Geschehen der Heiligen Nacht nacherleben. Einst Liebhaberei oder Prunkstücke sind sie kunstvoll geschnitzt oder aus Lehm geformt. Die Menschen versuchen, das Weihnachtswunder verstehbar und auf ihre Weise sichtbar zu machen. Exotisch oder urtümlich, naiv oder mit den Mitteln der Technik als mechanisches Meisterwerk. Es ist eine "Roas" durchs waldreichreiche Salzkammergut, von Seen und Flüssen durchpflügt, welches seit Jahrhunderten in der Kunst des Holzschnitzens versierte Männer und Frauen hervorbrachte. Wenn das Holzgeschäft für die Salinen und ihre Bauten winters stilllag und Holzknechte oder Schiffer keine Arbeit hatten, lebten die Familien ihr ganz eigenes Können und dazu gehörte das Krippenschnitzen. Daher kommt die Krippe im Kammergut der Natur sehr nahe, gerade wenn es sich um Wurzelkrippen handelt oder jedes Jahr neues Material wie Moos, Flechten oder Latschen und dergleichen bei der Aufstellung Verwendung finden. Voll Stolz werden seit dem Barock bis heute geerbte, geschenkte oder selbstgefertigte Krippen ausgestellt und nach altem Brauchtum Besuchern zugänglich gemacht.
Krippenkunst
Die Fahrt führt zuerst an den Traunsee, das Herzstück traditioneller Krippenbauer. Wir sind in der Stadt Gmunden, betreten die um 1300 erbaute Pfarrkirche und stehen vor der größten Krippe überhaupt, dem Dreikönigsaltar mit der Heiligen Familie aus dem Jahre 1678. Ihn hat Meister Thomas Schwanthaler geschaffen, der dafür Anleihe am St. Wolfganger Pacher-Altar nahm und seinen Ruhm mit Krippen begründete. Mit seiner Darstellung der Anbetung des Christuskindes durch die Heiligen Drei Könige im Hochaltar von Gmunden wird er zum Vorbild vieler Krippenschnitzer. In der "Hauptstadt" des Kammergutes lebten arm und reich nahe beisammen. Während in den volkstümlichen, einfachen Krippen häufig Figuren aus dem Alltagsleben eingebaut werden, stellt die „Kunstkrippe“ eine Form dar, die sich auf die künstlerische Gestaltung konzentriert. Arme Leute wie die Schiffer bedienten sich naher Tongruben, um Krippen auszustatten und zu veräußern. Sogenannte „Loahm-Manderl-Krippen“, deren Herstellung bis ins 17. Jahrhundert reicht, wurden mit zweierlei Figurenarten ausgestattet: mit durch Modeln geformte oder handgeformte, plastische Figuren: beide bunt bemalt und nach Preis in vier Größen lieferbar. Anders die Bürger, welche sich ihre Krippen etwas kosten ließen. Ungefähr hundert Jahre hindurch schnitzten mehrere Generationen der Künstlerfamilie Schwanthaler wie Johann Georg und Johann Peter für sie und Kirchen Krippen. 1782, als Kaiser Joseph II. Krippen aus den Kirchen verbannte, sollte dieses Schaffen offiziell enden. Krippen mussten entfernt werden und vieles ging verloren. Trotz Strafen wurde der Brauch weitergeführt und hatte zur Folge, dass die Krippen vermehrt Einzug in die private Sphäre fanden, wo sie sich bis heute größter Beliebtheit erfreuen. Das städtische Kammerhofmuseum kann jeden Advent über 60 Krippen ausstellen. Bescheidene Loammanderl gleichwie aufwendig geschnitzte Kastenkrippen für den Herrgottswinkel, orientalische oder alpenländische und bürgerlich bis hochherrschaftliche Landschafts-Krippen sind dann zu bewundern.
Schnitzmeisterschaft
Den Weg am See nach Süden genommen, finden sich im nahe gelegenen Altmünster mehrere Krippenstandorte. Im Markt, in der Pfarrkirche steht die schönste Landschaftskrippe des Johann Georg Schwanthaler mit gemaltem Prospekt: Gmunden am Traunausfluss in die Perspektive von Jerusalem gerückt. 60 Figuren, feinst gearbeitet, erzählen sieben Geschichten wie die Flucht nach Ägypten. Der Künstler kannte weder Kamel noch Elefant aus eigener Anschauung, sodass er der Phantasie freien Lauf ließ. Rundum sind weitere Privatkrippen zu besichtigen. Darunter jene der Familie Natmessnig, ein ererbtes hundertjähriges Prachtstück mit heute 500 Figuren, deren Aufbau einen Monat dauert. Gelangt man hinauf, in die Viechtau, erreicht man eine Sehnsuchtslandschaft heimischer Holzschnitzerei. Hier haben Kleinbauern, Holzarbeiter und deren Familien im Winter ganze Meisterwerke von Krippen zu Stande gebracht. Bewegliche Krippen sind der Hit, welche mittels Gewichtes an der Hauswand, das hinaufgezogen wird, durch Kurbeln oder auch Wasserkraft und ein Räderwerk Arbeiten im Wald, den Sägen oder Bergwerken in aufregende Betriebsamkeit versetzen. Sogar die Heilige Familie muss arbeiten – Maria wiegt das Kind und Josef schneidet an einem Stück Holz. Und im Hauptort Neukirchen bedienen Krippen im Heimathaus, der Pfarrkirche und Wohnungen noch dazu lokaltypische Themen wie Vogelfang oder Wildfütterung.
Ein Besuch bei den Krippenschnitzern steht an. Das Krippenwesen wurde in der Zeit der Industrialisierung stark vernachlässigt, teilweise vergessen und nicht mehr praktiziert. Nur wenige beherzte “Schnegerer”, so die Bezeichnung für die Schnitzer im Salzkammergut, betätigten sich weiter. Der Krippenbau erlebte im 19. Jahrhunderts im ländlichen Raum eine Art Wiedergeburt, aber erst im 20. Jahrhundert bildeten sich wieder einige “Schnitzer-Hochburgen.” Nun gibt es erneut Künstler und begabte Dilettanten, welche Figuren einzeln - oft als jährliches, zum Sammeln bestimmtes Weihnachtsgeschenk - schnitzen oder kleine Krippenensembles für den Eigenbedarf und zum Verkauf herstellen. Markus Treml am Grasberg studierte in Wien und schafft als Bildhauer große Werkstücke, aber genauso sind kleinen Figuren seine Stärke. Er hat damit schon jung beim Nachschnitzen der Münsterer Schwanthalerkrippe begonnen. Gerne wird Horst Störinger am Fuß des Gmundnerberges besucht, weil dort eine eigene Kripperlroas möglich ist, so viele gehören ihm. Er veranstaltet Schnitzkurse und man darf seine Werkstätte besichtigen, wo vom Holzstück bis zur Figur alle Arbeitsvorgänge offen liegen.
Krippenlandschaften
Zurück an den See. In Traunkirchen, vom Nonnenkloster zur Jesuitenresidenz gewandelt, liegt der ganz spezielle, historische Ausgangspunkt der Krippenkunst. Waren es doch die Jesuiten, welche im Sinne der Gegenreformation in das protestantische Kammergut entsandt wurden und Kalvarienberg wie die Krippen unter die Leute brachten. Bereits 1604 stand ihre erste Krippe in Linz und bald in der ehemaligen Stiftskirche. Weiter geht die Reise zur eigentlichen Krippen-Hochburg: Nicht wie früher mit der Plätte über den See, sondern durch Tunnels gelangen wir nach Ebensee, dem über 400-jährigen Salinenort. Hier kann man nicht aufhören auszuschwärmen, um eine möglichst große Anzahl an privaten Krippen zu besuchen. In Landschaften mit Seen und Bergen eingebettet sowie mit Alm- und Jagdszenen oder Tieren aller Art bestückt, ist Bevölkerung und Gegend mehr Teil des Ganzen als die Heilige Familie. Sich bewegende Wagenzüge, rauchende Kohlenmeiler, die Saline, der Ort und ganze Dörfer werden dabei Zeugen der Heiligen Nacht. Und ganz eigene Gestalten wie der hausierende "Urbl mit der Leinwand" und der Sohn als "Vota-loß-mi-a-mitgeh’n”, der "Lampltroager" oder die "Traubentroager" sind dabei unterwegs; sie treten in allen Krippen des Kammergutes auf.
Die Traun aufwärts wird Bad Ischl erreicht. Die Stadt bietet neben der Viechtau und Ebensee den dritten Höhepunkt beim Besuchen von Krippen. Hier sollen Krippenspiele älteres Vorbild gewesen sein, sie sind aber erst seit 1654 nachweisbar. Herausragend die Kalßkrippe im Stadtmuseum, die einst als Gelöbnis selber Kinder zu bekommen, entstanden ist. Mechanisch und als riesige Landschaftskrippe konzipiert, werden dort zeitgleich Krippen mit globaler Herkunft vorgestellt. Unter den einheimischen Stücken ist die Neureiter-Krippe recht naturalistisch, denn der Bethlehemsche Kindermord wird nicht mehr gezeigt. In der Pfarrkirche finden wir die 1913 installierte große Maroder- und die kleinere Weihnachtskrippe. Der Ischl entlang geht es zum Abersee. Damit der Kitsch nicht zu kurz kommt, kann man dort "Lebende" und ganz große Krippen bestaunen wie solche am Weihnachtsmarkt kaufen. Im evangelischen Oberen Trauntal, von Bad Goisern bis Hallstatt/ Obertraun und Gosau sind Krippen hingegen bereits Mangelware. Hier wurden Krippen schon um 1700 verboten. Einzig in Goisern ist ein junger Krippenverein tätig, welcher die Tradition fortführt. Wer also einmal ins Salzkammergut kommt, soll es nicht verabsäumen, wenigstens einen Tag mit den eigenen Augen das „Kripperl schauen“ reichlich zu genießen.
DDr. Heinrich Marchetti-Venier wurde in Oberösterreich geboren. Nach dem Abitur nahm er ein Studium des Lehramtes sowie der Geistes- und Naturwissenschaften an den Universitäten Salzburg auf, es folgten die Stationen, Wien, München, Bochum, Turin, Strasbourg und Washington. Anfangs Tätigkeit in der Raumordnung, später als Historiker und Privat-Gutachter sowie Autor. Er hatte lange Zeit das Amt des Distriktberichters für die österreichischen Distrikte D 1910 und 1920 inne. Heinrich Marchetti-Venier starb im November 2015.
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