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Entscheider - Der Konsumumdenker
Kaffee, Kunst und Klimaschutz gehören zu Wolfgang Anzengrubers Lieblingsthemen. © Regina Hügli

Vorstandschef Wolfgang Anzengruber über energetische Dummheiten und ambitionierte Klimaschutzziele

Björn Lange01.01.2020

Im Herzen von Wien, direkt am Graben und unweit des Stephansdoms, befindet sich die Zentrale der Verbund AG mit der illustren Adresse Am Hof 6A. Mit einem Jahresumsatz von knapp drei Milliarden Euro ist das Unternehmen mit großem Abstand der größte Energieversorger Österreichs. Ein Haus, an dessen Fassade der dänisch-isländische Installationskünstler Olafur Eliasson allabendlich in der Dämmerung gelben Nebel aufsteigen lässt, verpflichtet quasi zu großer Kunst auch im Innern. Der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Anzengruber residiert in einem stattlichen Büro im dritten Stock – umgeben von moderner großformatiger Kunst.

Worüber sprechen wir? Energie oder Kaffeehäuser?
Wir können über alles sprechen, aber besser zuerst über Energie.

Bereits 95 Prozent der Stromproduktion der Verbund AG stammen aus erneuerbaren Energien, doch Sonne, Wind und Niederschläge sind volatil. Wie sicher ist die Stromversorgung?
Mit 90 Prozent unseres Portfolios bildet die Wasserkraft den Schwerpunkt, Wind trägt fünf Prozent bei, die Photovoltaik derzeit noch ganz wenig. Über 100 unserer Wasserkraftwerke stehen in Österreich, 20 in Deutschland. Unter den erneuerbaren Energien ist die gesicherte Leistung bei der Wasserkraft am höchsten. Da gibt es zum einen die Speicherkraftwerke, die für das Engpassmanagement wichtig sind, weil die Energie binnen 90 Sekunden bereitgestellt werden kann. Zum anderen gibt es die Wasserkraftwerke in Flüssen. Und dann haben wir noch ein Gaskraftwerk im Mellach mit einer Leistung von 850 Megawatt (MW), das bei Bedarf stundenweise zugeschaltet wird – im vergangenen Jahr war das knapp 300-mal nötig. Wir brauchen es, um die Netzstabilität zu gewährleisten.

Spüren Sie die Folgen des Klimawandels?
Natürlich. Noch nie zuvor hatten wir so viele Tage mit über 30 Grad. Die Wassermenge, die wir übers Jahr gesehen zur Verfügung haben, bleibt zwar gleich, aber die Niederschläge konzentrieren sich. Die Sommer werden länger, heißer und trockener, die Winter milder und nasser. In der Folge schmelzen die Gletscher ab, weshalb sich Gestein löst und Muren herunterkommen, die auch unsere Kraftwerke beschädigen. Außerdem hat sich das Verbraucherverhalten angepasst: Wegen der Hitze sorgen Klimaanlagen im Sommer für signifikante Verbrauchszuwächse, und im Winter sorgen Beschneiungsanlagen in den Skigebieten für einen deutlich höheren Energieverbrauch.

In Österreich kommt die Stromproduktion schon zu 75 Prozent aus erneuerbaren Energien. Die letzte Bundesregierung hatte das ehrgeizige Ziel, bis 2030 vollständig auf Ökostrom umgestellt zu haben, darüber hinaus eine CO 2-Reduktion um 36 Prozent. Dann hat sie sich selbst entsorgt. Sind die Ziele noch realistisch?
Diese 25-Prozent-Lücke füllen wir derzeit mit Gaskraftwerken und Importen. Diese Lücke in nur zehn Jahren schließen zu wollen ist hochambitioniert. Dazu muss die Wasserkraft, die derzeit schon 65 Pro - zent der österreichischen Stromproduktion ausmacht, noch effizienter werden. Wir müssen aber auch die Windausbeute steigern und die Photovoltaik größer machen. Ich bin der Meinung, dass kein Haus mehr ohne PV-Anlage gebaut werden darf. Also: Technisch ist es machbar, aber dazu müssen auch Leitungen und Netze gebaut werden, und die Infrastruktur ist Aufgabe des Staates. Auch Stromkunden werden in der Zukunft eine wichtige Funktion im Gesamtsystem übernehmen.

Wie meinen Sie das?
Über smarte Netze lässt sich die Stromversorgung optimieren. Mittels Digitalisierung müssen wir die Kunden stärker als bisher ins System bringen. Dafür müssen wir vom Kunden wissen, wie und wann er Strom braucht. Dabei helfen uns Smartmeter, um die Balance im System bewerkstelligen zu können. Bei industriellen Großkunden funktioniert die Laststeuerung über ein Demand-Side-Management. Im Privatkundenbereich könnten sogar Elektrofahrzeuge eine Rolle spielen, denn während sie herumstehen, sind sie dezentrale Energiespeicher. In Abstimmung mit den Kunden könnten wir aus diesen Speichern Energie entnehmen, wenn sie woanders gebraucht wird.

Vor dem Hintergrund der Speicherproblematik der erneuerbaren Energien ist die Tatsache, dass in Millionen Haushalten Öl für stationäre Heizzwecke genutzt wird, doch eine der größten Dummheiten überhaupt.
Freilich! In Österreich werden endlich keine neuen Ölheizungen mehr zugelassen. Besitzer bestehender Ölheizungen sollten über finanzielle Anreize zum Umbau angeregt werden. Das muss man jetzt rasch angehen.

Die Kosten für all diese Maßnahmen sind hoch.
Natürlich kostet das Geld, aber wenn wir nichts tun, kostet es mehr. Die Rechnung unserer Umweltsünden zahlen wir nicht sofort, sondern später und über ein anderes Konto. Die Frage muss daher lauten: Können wir es uns leisten, nichts zu tun? Natürlich nicht! Schauen Sie, wie viele Klimaflüchtlinge es heute schon gibt. Auch bei uns in Mitteleuropa wird es trockener. Wir dürfen diese Probleme nicht auf die nächsten Generationen schieben, sondern müssen etwas tun. Und zum Glück können wir etwas tun!

Dafür müsste sich unsere ganze Lebensweise grundlegend ändern.
Ja, absolut. Wir müssen uns fragen, inwieweit es klug ist, für 30 Euro nach London zu fliegen. Im Bereich der Mobilität tut sich derzeit viel. Die Jugend wird die Shared Economy vorantreiben, der öffentliche Nahverkehr wird ausgebaut und auch die Ernährung der Menschen stellt sich allmählich um. Muss man Erdbeeren im Winter essen? Müssen wir Jeans aus Asien kaufen? Nein. Wichtig ist aber, dass wir diese Veränderungen lustvoll erleben.

Die deutsche Bundesregierung hat ein Klimapaket auf den Weg gebracht, das im Rahmen des nationalen Emissionshandelssystems ab 2021 die Bepreisung von CO2 für Verkehr und Wärme vorsieht. Beschlossen wurde ein Festpreis pro Tonne CO2 von zunächst zehn Euro, der bis 2025 auf 35 Euro steigen soll. Wie beurteilen Sie das?
Die überaus große Herausforderung, die CO2-Emissionen in den nächsten Jahren drastisch zu reduzieren, hat nur dann eine Chance auf Erfolg, wenn auch die Sektoren, die nicht durch das „Emission Trading System (ETS)“ erfasst sind und circa 60 Prozent der gesamten CO2-Emissionen ausmachen, von einem Bepreisungsmechanismus umfasst werden. Eine EU-weite Regelung dafür wäre notwendig und sinnvoll. Da dies kurzfristig nicht zu erwarten ist, halte ich den von Deutschland gewählten Weg für richtig, auch wenn der Startpreis von zehn Euro pro Tonne CO2 etwas zaghaft und nicht sehr ambitioniert ist. Die Notwendigkeit einer synchronisierten europäischen Vorgehensweise bleibt aber nach wie vor aufrecht, um Standortnachteile für die energieintensive Industrie zu vermeiden. In diesem Zusammenhang sind auch CO2-Zölle überlegenswert.

Das ist ein globales Thema. Wenn die USA, China und Indien laufend neue Kohlekraftwerke bauen, werden Österreich und Deutschland nicht die Welt retten.
In China sind sie zum Teil weiter als wir. Dort wird es in 15 Jahren nur noch Elektroautos geben. Wir haben in Europa in den letzten 150 Jahren auf Kosten der Zukunft gelebt und unseren Wohlstand erschaffen. Jetzt sagen die anderen: Hey, jetzt sind wir dran. Wir waren in der Industrialisierung Vorreiter und müssen es jetzt wieder sein. Und wenn die anderen sehen, dass es uns damit gut geht, werden sie folgen.

Die Verbund-Aktie hatte im September einen neuen Höchststand von über 55 Euro erreicht, dann aber bis November um mehr als zehn Euro verloren. Woher kommt diese zuletzt negative Entwicklung?
Nach dem in den letzten zwei Jahren erfolgten starken Anstieg des Kurses bis zum September dieses Jahres war eine Kurskorrektur nicht ganz unerwartet. Insbesondere auch deshalb, da sich der Marktpreis für Strom in den letzten Monaten seitwärts bewegt. Trotz dieser Korrektur konnte unsere Aktie im heurigen Jahr bis dato rund 20 Prozent zulegen. Das Unternehmen ist kerngesund, stark im Cashflow und Ertrag, hat eine niedrige Verschuldung und eine gute Strategie für die Zukunft.

Verbund gehört zu 51 Prozent der Republik Österreich. Börse-Chef Christoph Boschan sagte einmal, er wünsche sich eine Privatisierung. Wie stehen Sie dazu?
Natürlich wünscht er sich das, weil das für den Börsenhandel mehr Umsatz bedeuten würde. Unsere Liquidität würde steigen, aber der Nachteil wäre, dass man ohne einen klaren Eigentümer Spielball von Spekulationen werden würde. Nein, dazu wird es nicht kommen. Die 51 Prozent sind im Verfassungsgesetz verankert. Wir haben eine gute Aktionärsstruktur, eine gute Balance.

Sie gelten als leidenschaftlicher Kaffeehausgänger. In welchem kann man Sie antreffen?
Der Gang ins Kaffeehaus gehört zur Wiener Kultur. Ich lese gern Zeitung in angenehmer Atmosphäre. Dabei kann ich gut abschalten. Ich gehe gern ins Café Frauenhuber, aber ein Stammhaus habe ich nicht.

Wie viele Clubmeetings schaffen Sie?
Zu wenige. Dienstagmittag haben wir Clubmeeting und Vorstandsmeeting – das kollidiert leider. Ich versuche, das durch andere Präsenzen auszugleichen, indem ich andere Clubs besuche oder am Abend Vorträge halte.

Und was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich lese gern, eigentlich alles außer Managementliteratur, auch mal Belletristik. Die Wochenenden verbringe ich in Salzburg bei meiner Frau und meinen drei Töchtern. Mit meiner Frau gehe ich viel wandern, das ist immer ein wenig Urlaub vom Alltag.

Björn Lange
Björn Lange arbeitete seit April 2019 zunächst als stellvertretender Chefredakteur des Magazins im Rotary Verlag. Seit Juli 2020 ist er Chefredakteur des Rotary Magazins. Zuvor war er unter anderem Redaktionsleiter des Pressedienstleisters Rheinland Presse Service in Bonn und des B2B-Wirtschaftsmagazins inside B in Offenburg.