Rotary Entscheider
Der Lese-Anstifter
Thalia-Chef Michael Busch über nichtlesende Kunden, die neue Rolle des Buches und sein Verhältnis zu Amazon.
Eine Stadt wie Hagen, die auch auf den zweiten Blick nicht durch ihre äußere Schönheit besticht, versteckt ihren größten Schatz. Thalia, nach der Fusion mit der Mayerschen Europas größter klassischer Buchhändler, residiert in einem unprätentiösen Gebäude an der Batheyer Straße. Zufällig kommt man dort nicht vorbei. Auch die Eingangshalle und das Chefbüro im zweiten Obergeschoss lassen nicht vermuten, dass hier der Mann sitzt, der 6000 Mitarbeiter führt und einen Umsatz von zuletzt 1,2 Milliarden Euro verantwortet.
Wie steht es um das Buch?
Wirtschaftlich betrachtet wieder besser, der Buchmarkt wächst hauchzart. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat gerade vor einigen Tagen ein Umsatzwachstum von 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr bekanntgegeben – wir entwickeln uns deutlich besser. In den vergangenen sechs oder sieben Jahren gab es zwei einschneidende Ereignisse, die zur rückläufigen Entwicklung beigetragen haben: Zum einen ist der Bertelsmann Club aus dem Markt ausgeschieden, zum anderen hat die Weltbild-Gruppe umstrukturiert und sich neu ausgerichtet. Beide Unternehmen hatten Kunden gebunden, die der Markt in Teilen zunächst einmal verloren hat. Gemessen am Umsatz und Ergebnis war das vergangene Jahr das beste unserer Unternehmensgeschichte. Wir sind schuldenfrei und damit maximal handlungsfähig.
Wie hat sich das Leseverhalten in Deutschland und weltweit verändert?
Das Leseverhalten hat sich massiv verändert. Vor allem das vertiefende Lesen, das Eintauchen in Geschichten, ist weniger geworden. Das physische Buch hat durch die Digitalisierung und ein damit einhergehendes verändertes Freizeitund Mediennutzungsverhalten an Relevanz verloren. Mit dem E-Reading und dem Hörbuch haben sich jedoch neue Medien etabliert. In den vergangenen 20 Jahren gab es drei maßgebliche Wellen, die den Markt verändert haben. Von 2000 bis 2010 hat das Internet an Bedeutung gewonnen, Bücher wurden aber weiterhin gelesen. Die zweite Welle begann etwa 2009 mit der ersten Generation der E-Reader. Sie hat uns eine neue Zielgruppe beschert und damit neue Leser erschlossen. Der größte Vorteil der E-Reader: Sie bieten maximale Flexibilität. Früher hatte ich im Urlaub mindestens zwei Bücher dabei, heute sind Hunderte auf dem E-Reader verfügbar. Mit dem Oyo brachte Thalia 2010 den ersten E-Reader auf den deutschen Markt – noch vor Amazon Kindle. Heute können wir uns über einen stabilen E-Book-Marktanteil von rund 25 Prozent in Deutschland freuen. Die dritte Welle, Hörbücher in Verbindung mit Abo-Modellen, beschäftigt uns seit ungefähr drei Jahren. Auch sie hat der Branche Vorteile gebracht, denn so erleben auch Nichtleser Geschichten – durch Zuhören beim Joggen oder Autofahren.
Welche Rolle spielt das Smartphone?
In Nordamerika und Europa hat der EReader den Markt durchdrungen, hier werden nur zehn bis 20 Prozent der E-Books auf dem Smartphone gelesen. Der Lese - komfort ist beim E-Reader einfach deutlich höher. In Asien ist das anders, dort sind E-Reader bislang nicht verbreitet.
Wie steht es um den stationären Buchhandel?
Deutschland hat auch heute noch eine vielfältige und interessante Buchhandelslandschaft. Dennoch haben zu viele nicht angemessen auf die fortschreitende Digitalisierung reagiert. Auch wir haben schwierige Zeiten hinter uns und mussten Rückschläge verkraften. Aber wir waren bereit, uns den Herausforderungen zu stellen. So haben wir schon sehr frühzeitig auf die Vernetzung der unterschiedlichen Vertriebskanäle gesetzt. Unsere Kunden erwarten ein rundum gelungenes Einkaufserlebnis, das treibt unsere Entwicklung voran. In Hinblick auf Innovationen und Investitionen kann der inhabergeführte Buchhandel mit einem oder nur wenigen Standorten in Teilen nur schwer mithalten. Aber es geht nicht nur um Größe. Es geht darum, die vorhandenen Mittel konsequent ins Unternehmen zu investieren und neue Ideen zu testen. Wir haben beispielsweise eine Eigenmarke entwickelt. Das sind Artikel, die es nur bei uns gibt und die gut zum Thema Buch passen. Ein Beispiel: Im Jahr 2017 wurde der erste Loriot-Sketch 50 Jahre alt. Aus diesem Anlass haben wir Lizenzen gekauft und eine ganze Loriot-Kollektion mit Tassen, Schals oder sogar Kopfkissen hergestellt. Diese Kollektion haben wir einzeln oder als Paket mit Büchern und DVDs verkauft. Das Weihnachtsgeschäft mit diesem Sortiment lief sogar 2019 noch hervorragend. Musik, Filme, Schreibwaren, Kalender, verstärkt Spiele und Spielwaren sowie Trend- und Geschenkartikel ergänzen unser Portfolio. Das Non-Book-Sortiment trägt mittlerweile – je nach Größe der Läden – etwa 20 bis 25 Prozent zum Umsatz bei.
Welche Rolle spielen Player wie Amazon für die Entwicklung im Buchmarkt?
Amazon ist ein wesentlicher Wettbewerber, der etwas von seinem Geschäft versteht – wir haben viel von denen gelernt. Wir sollten uns fragen: Wo liegen unsere eigenen Stärken und wie können wir diese optimal nutzen? Was können wir von den großen Onlinehändlern lernen? Wir haben beispielsweise gelernt, professionell im Internet zu agieren. Das betrifft die Logistik, den Vertrieb und ganz generell die 100- prozentige Orientierung an unseren Kunden. Auch mit unserem E-Reader Tolino machen wir und unsere Partner offenbar vieles richtig.
Immer mehr Menschen, vor allem junge Leute, nehmen sich zum Lesen immer weniger Zeit. Sie suchen und finden die schnelle Information im Internet. Wie kann man diese Gruppe zum Lesen animieren?
Das ist für uns, für die gesamte Branche eine ganz zentrale Frage. Wir beschäftigen uns seit 2017 intensiv damit und sind dabei auf eine gesellschaftliche Spannung gestoßen, die wir auflösen möchten: Einerseits gibt es immer mehr Informationen, aber diese werden immer oberflächlicher. In der Folge fühlen sich immer mehr Menschen nicht richtig informiert. Auf der anderen Seite wünschen sich viele, tiefer in Themen einzutauchen, die sie wirklich umfassend verstehen wollen. Wir glauben, dass die Auseinandersetzung mit Inhalten den sich überall in Europa ausbreitenden Populismus bekämpfen kann. Zudem kommt man beim Lesen zur Ruhe und konzentriert sich ganz auf eine Sache. Lesen bindet die Aufmerksamkeit: gleichzeitig bügeln oder telefonieren – das klappt nicht. Das Lesen fordert uns, aber es gibt viel mehr zurück. Wir setzen uns deshalb für eine Welt ein, in der Inhalt zählt.
Welche Bücher verkaufen sich gut?
Grundsätzlich gewinnen Sachbücher an Bedeutung. Das große Thema unserer Zeit ist die Nachhaltigkeit. In diesem Jahr haben wir zudem zwei wichtige Jahrestage auf der Agenda. 75 Jahre Kriegsende Anfang Mai und 30 Jahre Wiedervereinigung Anfang Oktober. Als Klammer setzen wir darum das übergeordnete Thema „Der Untergang totalitärer Regime“. Das Sortiment reicht von der historischen Literatur über Belletristik und Biografien bis hin zu aktuellen Politikbüchern.
Vor Kurzem haben Sie das Buch „Welt, bleib wach“ herausgegeben. Worum geht es?
Das Buch ist eine Aufsatzsammlung namhafter Autoren, die wir gefragt haben, welche besonderen Erfahrungen sie persönlich mit dem Lesen von Büchern verbinden. Stefan Aust, Norbert Blüm, Sebastian Fitzek, Philipp Lahm und viele andere stellen den Wert des Lesens heraus. Es soll die Menschen zum Lesen anstiften.
„Welt, bleib wach“ – haben Sie Sorge, dass sie wegdämmert?
Ja.
Warum?
1933 haben doch auch einige geschlafen.
Und eine ähnliche Gefahr erkennen Sie heute wieder?
Ich nehme den Rechtsruck in der Gesellschaft wahr und sehe ähnliche Entwicklungen wie vor 100 Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – nicht selten ist Unwissenheit dabei der Treiber insbesondere des Populismus.
In diesem Jahr werden die 250. Geburtstage von Hegel und Hölderlin gefeiert. Paul Celan wäre 100 Jahre alt geworden. Sind das Themen für Thalia?
Natürlich. Wir gehen mit unseren Sortimenten nicht nur in die Breite, sondern auch in die Tiefe. Um große Zielgruppen zu erreichen, muss ich Hegel, Hölderlin oder Habermas je nach Standort im Sortiment haben, aber auch leichtere Kost anbieten. „Populäres mit Niveau“ leitet uns bei unserer Auswahl. Meine persönliche Leidenschaft gilt historischen und politischen Themen. Von mir aus könnten wir sofort eine Hegel-Kampagne machen. Was aber zählt, ist, was unsere Kunden möchten.
Handke ging gerade durch die Presse, aber wer kennt denn noch Sloterdijk, Habermas und Enzensberger?
Leider zu wenige, ich gebe Ihnen recht. Altbundespräsident Joachim Gauck hat uns anlässlich unserer 100-Jahr-Feier im letzten November in der Elbphilharmonie mit einer großen Rede geehrt – einen Vortrag von Jürgen Habermas hätte ich mir auch sehr gut vorstellen können.
Welches Buch lesen Sie derzeit?
Auf meinem Nachttisch liegt „Der Tyrann“ von Stephen Greenblatt. Zusammen mit dem Thalia Theater holen wir Greenblatt im März für eine große Veranstaltung nach Hamburg. Außerdem lese ich noch die letzten Seiten der „Schulz-Story“ von Markus Feldenkirchen. Es zeigt verblüffend ehrlich und deutlich, was Politiker im Wahlkampf durchmachen – und Martin Schulz als sehr sympathischen, wertegetriebenen Menschen.
Wann und an wen haben Sie zuletzt einen handschriftlichen Brief verfasst?
Das ist schon etwas länger her. Es war ein kurzes Dankesschreiben an Altbundespräsident Joachim Gauck für seine Rede anlässlich der 100-Jahr-Feier.
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