Entscheider
„Wir definieren uns nicht über das reine Wachstum“
Beim Blick auf die Geschäftszahlen kann Carsten Cramer mehr als zufrieden sein, doch auf den Geschäftsführer von Borussia Dortmund warten immer neue Herausforderungen, denen er mit einer schier unbändigen Leidenschaft und Tatkraft entgegentritt.
Carsten Cramer bewegt sich als Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund im Spannungsfeld zwischen leidenschaftlicher Fankultur und notwendigem Kommerz, um konkurrenzfähig zu sein. Er erklärt im Gespräch, warum sportlicher Erfolg nicht alles ist und die Deutsche Fußball Liga einen Investor als Partner braucht.
Vor Kurzem hat die Beratungsgesellschaft Deloitte bekannt gegeben, dass die Fußball-Bundesliga Rekordeinnahmen aus Spieltagserlösen in der vergangenen Saison zu verzeichnen hatte. Die Konzernumsatzerlöse von Borussia Dortmund im Geschäftsjahr 2022/23 addieren sich auf knapp 420 Millionen Euro. Das ist eine Steigerung um mehr als 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Da haben sicher die Champagnerkorken geknallt, oder?
Champagner ist die Währungseinheit, die überhaupt nicht zu Borussia Dortmund passt. Ganz im Gegenteil: Wir haben eine sehr anspruchsvolle Coronazeit hinter uns, in der wir 151 Millionen Euro verloren haben. Wir sind erleichtert, auch wenn wir um die Stärke unseres Klubs wissen, dass wir den Turnaround aus eigener Kraft geschafft haben. In dieser Zeit haben wir uns auch dadurch ausgezeichnet, dass wir keine Kurzarbeit eingelegt haben und es keinerlei Freistellungen gab. Wir haben unser Geschäftsmodell fortgesetzt. Nun freuen wir uns, dass das Interesse am Fußball und speziell an Borussia Dortmund nicht nachgelassen hat. Am Ende sind die Zahlen, die Sie gerade genannt haben, ein Ausdruck dafür, dass die Menschen und auch die Unternehmen sowie Medienpartner sich nach Corona nicht vom Fußball entfernt haben. Das ist eine schöne Bestätigung. In der Coronaphase hatten wir natürlich die Sorge: wie geht das weiter? Ich kann mich an Spiele erinnern, da saßen wir mit 50 Leuten im Stadion. Nun zeigt sich, welche Kraft vom Fußball im Allgemeinen und von Borussia Dortmund im Speziellen ausgeht.
Wird diese positive Entwicklung anhalten oder ist irgendwann sprichwörtlich die Stadiondecke erreicht?
Wir definieren uns nicht über das reine Wachstum. Wir wollen nicht um jeden Preis wachsen, um dann jedes Jahr neue Umsatzrekorde verkünden zu können. Unser Ziel ist es, Fußball zu spielen und Menschen zu begeistern. Das wollen wir ambitioniert im bestmöglichen Umfeld. Für Borussia Dortmund heißt dies, maximal emotional zu sein. Wir möchten die Menschen im Herzen erreichen. Natürlich wollen wir auch gewinnen, aber am Ende sind wir mehr als ein Fußballverein. Ein Verein wie Borussia Dortmund hat einen gesellschaftlichen Mehrwert zur Verfügung zu stellen. Diese Symbiose macht die Borussia so wertvoll und attraktiv. Sie führt dazu, dass das Interesse am Verein nicht abnimmt, sondern weiter steigt.
Wo zeigt sich dies konkret?
Das Stadion ist immer ausverkauft, die Zahl der Mitglieder steigt (auf aktuell mehr als 190.000, d. Red.), die Zahl der Menschen, die Lust haben, unser Trikot zu tragen und dafür Geld ausgeben, nimmt auch zu. All dies wird aus meiner Sicht dazu führen, dass wir weiter wachsen können und weiterhin ambitionierten Fußball spielen. Wir werden aber nichts wirtschaftlich Unvernünftiges machen. Das hatten wir ja schon mal vor 20 Jahren hier in Dortmund. Und es ging gründlich schief..
Wenn Sie über Attraktivität sprechen, stellen wir fest, dass diese unmittelbar mit dem sportlichen Erfolg der Mannschaft zusammenhängt. Sportlicher Erfolg wiederum korreliert damit, wie viel Geld letztlich in der Clubkasse ist, was ich ja benötige, um gute Spieler zu kaufen. Insofern ist der Blick auf die Umsatzzahlen und den Gewinn doch nicht unwesentlich.
Da haben Sie recht. Aber wenn wir darauf schauen, wer die letzten elf Jahre Deutscher Meister geworden ist, dann war es nicht Borussia Dortmund. Trotzdem haben wir noch mehr Menschen für uns begeistern können.
Das ist richtig. Aber der FC Bayern München, der die letzten Jahre Deutscher Meister wurde, der liegt zudem bei den Umsatzzahlen uneinholbar vor Ihnen.
Das warauch schon vor elf Jahren so, als wir zweimal hintereinander Meister geworden sind. Vergleichen Sie mal Hamburg, München, Frankfurt und Berlin mit Dortmund. Dann werden Sie mir Recht geben, dass wir einen Standortnachteil haben. Trotzdem haben wir eine Menge auf die Beine gestellt, und ich bin davon überzeugt, dass dies auch damit zusammenhängt, dass wir mehr als ein Fußballverein sind. An vielen Stellen übernehmen wir gesellschaftliche Verantwortung und geben Menschen Orientierung. Wir machen den Menschen deutlich, wie lohnend es ist, Teil der BVB-Familie zu sein. Das ist völlig unabhängig von der Frage, ob wir Meister werden oder nicht.
Sportlicher Erfolg ist somit nicht der allein entscheidende Faktor.
Wenn dem so wäre, hätten sich die Menschen nach der verpassten Meisterschaft in der vergangenen Saison vom BVB abwenden müssen. Das Gegenteil ist passiert. Immer dann, wenn wir mal in sportlich schwierigen Fahrwassern unterwegs sind, führt dies zu noch mehr Loyalität. Daraus ergibt sich aber zugleich, dass wir nicht jeden Euro annehmen können. Wir müssen aufpassen, wo das Geld herkommt. Wir haben keinen Eigentümer oder ein DAX-Unternehmen hinter uns, das im Zweifel sagt, wir subventionieren. Wir haben Rahmenbedingungen, die wir sehr schätzen, die aber ein limitierender Faktor im Hinblick auf das Wachstum sind.
Stecken Sie in dem Dilemma, dass Sie wie kein zweiter Verein einerseits mit leidenschaftlichen Fans konfrontiert sind, die einer weitere Kommerzialisierung des Fußballs sehr kritisch gegenüberstehen, aber gleichzeitig bei der Vermarktung des Vereins davon profitieren, dass die Borussia so viele Fans hat, die für eine außergewöhnliche Stimmung im Stadion sorgen?
Sie haben es gerade super beschrieben. Genau deshalb liebe ich diesen Verein und meinen Job. Ich bekomme ab und an meine natürlichen Grenzen während meiner Arbeit aufgezeigt, und gerade das von Ihnen gezeichnete Spannungsfeld macht diesen Verein so besonders. Das hilft mir im Positiven aber auch, über den 27. Mai des vergangenen Jahres hinwegzukommen. Blicke ich nur unter Businness-Gesichtspunkten auf die verpasste Meisterschaft, tut dies unfassbar weh. Aber die Kraft, die ich nach dem Spiel aus dem Stadion und den Reaktionen der Fans mitnehmen konnte, die hat mich drei Tage später wieder angeschoben und mir erneut gezeigt, was den Reiz meines Jobs ausmacht. Ich liebe diesen Verein über alles und kann mir keinen besseren Job vorstellen kann.
Man kann doch auch nur dann erfolgreich in seinem Job sein, wenn man ihn liebt, oder?
Das sehe ich auch so. Ich habe meinen Kindern neulich gesagt:Ihr müsst das machen, was euch richtig gefällt, woran ihr Spaß habt. Ich habe den hier jeden Tag. Klar wäre manches bei einem anderen Verein einfacher, aber das macht uns hier aus.
Wir haben bereits das Spannungsfeld Kommerzialisierung angerissen. Die Clubs der 1. und 2. Liga haben sich mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Investoreneinstieg bei der DFL entschieden. Sechs bis neun Prozent der Anteile einer DFL-Tochtergesellschaft, in welche die kompletten Medienrechte ausgelagert werden, sollen für 20 Jahre verkauft werden. Warum ist dies notwendig?
Wir sind an einigen Stellen nicht in der Lage, mit eigenen finanziellen Mitteln Prozesse anzuschieben, die die DFL für alle 36 Vereine starten muss. Es ergibt zum Beispiel keinen Sinn, wenn jeder Verein für sich anfängt, Digitalplattformen aufzusetzen, auf denen man international Bundesligainhalte konsumieren kann. Die Internationalisierung als Verbund anzugehen, ist mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Ligen sinnvoll. Ansonsten müsste jeder Verein nochmal selbst Geld in die Hand nehmen, was meist gar nicht vorhanden ist. Geld und die Hilfe von einem Investor in Anspruch zu nehmen, mit der wir die zentrale Plattform Bundesliga stärken können, ist der eine Mehrwert, der sich dahinter verbirgt. Der zweite Mehrwert ist, dass man bestimmte Entwicklungen mit einem Input und einer Expertise von außen besser realisiert, besser angeschoben und besser aufgesetzt bekommt, als wenn man dies mit eignen Mitteln und Personal macht. Wir haben klare rote Linien definiert, die vom Investor auch akzeptiert werden. Ich kann Ängste verstehen, die es diesbezüglich gab. Die Pauschalkritik an dieser Entscheidung erachte ich aber als falsch. Auf einzelne Kritikpunkte, die von Fanseite an uns herangetragen wurde, haben wir passende Antworten. Grundsätzlich gilt: Mit einem Investor sind wir auch in Krisenzeiten besser aufgestellt. Für mich wäre ein derartig leistungs- und kapitalstarker Partner auch eine Haftpflichtversicherung für die Liga und ihre Clubs.
Ein Problemfeld bleibt: die internationale Vermarktung der Bundesliga. Warum ist das so schwer?
Wir haben das lange nicht mit der Intensität angepackt, wie wir es hätten tun müssen. Wir haben zudem einen sehr heterogenen Ligaverband mit 36 Vereinen, bei denen die Interessen des Bundesligameisters und des Letzten der zweiten Liga schwer immer in Einklang zu bringen sind. Wir waren vor zehn Jahren stärker präsent, als wir 2013 das rein deutsche Champions-League-Finale hatten und 2014 Weltmeister wurden. Die Frage, warum sind wir so weit hinter den Engländern, warum hinter der spanischen Liga, warum hinter der Champions League, lohnt sich nicht. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir mit der Bundesliga mehr Aufmerksamkeit generieren können. Das werden wir aus eigenen Bordmitteln nicht hinbekommen.
Aber die Frage, was die Premier League in England besser macht, ist doch zielführend. Ab 2025 kann die knapp zwei Milliarden Euro pro Saison ausschütten, während die Bundesliga derzeit bei 1,1 Milliarden Euro liegt.
Das ist ein überhaupt nicht vergleichbarer nationaler Markt. Die Engländer erzielen die zwei Milliarden, weil sie eine andere Wettbewerbssituation zwischen Pay-TV und Kabelnetzbetreibern haben. Wir haben in Deutschland nur Streaming-Plattformen, die um die Rechte bieten, aber keinen Telekommunikationsanbieter, der glaubt, mit dem Inhalt Fußball, Netzanschlüsse verkaufen zu können. Der größte Wettbewerber von Sky in England ist BT beziehungsweise TNT. Telekom, Vodafone und Co. sind in Deutschland anscheinend nicht davon überzeugt, über Inhalte Konnektivität verkaufen zu können. Der zweite Punkt: Die Engländer zeigen am Sonntagabend irgendwann die Highlights im Free-TV und haben zwölf oder 13 Subscriber für Bezahlangebote. Bei uns läuft zum Topspiel des Pay-TV-Senders Sky parallel die Sportschau mit den Highlights der Nachmittagsspiele. Dass wir deshalb die Anzahl der Menschen, die gegen eine Extrazahlung Fußball konsumieren, nicht hochgedreht bekommen, liegt in der Natur der Sache.
Dann wäre es gut, wenn wir die Sportschau am Samstagabend abschaffen.
Nein. Die Sportschau ist nicht der Platzhalter für die Lösung aller Probleme. Es ist wichtig, dass Fußball frei zugänglich ist. Deshalb bin ich auch ein großer Fan unserer Ticketpreispolitik. Wir haben großes Lob von den Fans unserer Champions-League-Gegner aus Paris und Newcastle erhalten, dass du hier für unter 20 Euro ein Europapokalspiel ansehen kannst. Nur mal zum Vergleich: In Eindhoven zahlen unsere Fans dafür 75 Euro. Wir meinen: Der Erfolg des Fußballs in Deutschland ist auch deshalb nachhaltig, weil unser Sport für jeden zugänglich ist. Da spielen Inhalte im Free-TV eine wesentliche Rolle. Ob man das aber so machen muss, wie wir das derzeit tun, das ist eine andere Frage.
Diese Frage wird womöglich demnächst gestellt.
Wichtig ist, dass wir einen authentischen eigenen Weg gehen. Wir dürfen uns deshalb nicht immer mit anderen vergleichen.
Aber Sie werden mir doch zustimmen, dass die Attraktivität der Bundesliga darunter leidet, dass die vergangenen elf Spielzeiten der Meister FC Bayern München hieß. Wagen wir hier den Vergleich mit der Premier League, ist es dort seit Jahren viel spannender. Da hat die Bundesliga doch ein Problem, oder?
Da haben Sie vollkommen Recht. Trotzdem ist die Premier League nicht die eierlegende Wollmilchsau. Blicken wir nach Frankreich, gibt es dort genauso wenig Wettbewerb, in Spanien ist es auch überschaubar. Aber klar, mehr Wettbewerb an der Spitze ist ein Treiber für mehr Interesse und Aufmerksamkeit. Nebenbei bemerkt: In keiner europäischen Liga war der Meisterkampf im vergangenen Jahr so spannend wie in der Bundesliga – und ich habe auch aktuell nicht den Eindruck, als würde der FC Bayern einfach so durchmarschieren.
Kommen wir zurück zum BVB. Hans-Joachim Watzke hat angekündigt, seinen Vertrag als Geschäftsführer nicht zu verlängern und im Herbst 2025 aufzuhören. Wann wird bekannt gegeben, dass Sie ihm an der Spitze der Geschäftsführung nachfolgen?
Ich freue mich, dass Hans-Joachim Watzke erst am Ende des Kalenderjahres 2025 aufhört, weil wir seit Jahren im Team extrem gut zusammenarbeiten. Deshalb bin ich erleichtert, dass das nicht schon morgen oder übermorgen ansteht. Da wir in den nächsten 18 bis 24 Monaten noch so viele Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen haben, beschäftigt sich keiner mit dem Tag XY. Jetzt werden Sie vermutlich sagen, diese Antwort ist langweilig. Wir konzentrieren uns aber dennoch auf das nächste Spiel und die folgenden Wochen. Mit dem Tagesgeschäft haben wir genug zu tun.
Eine solche Antwort hatte ich erwartet. Es überrascht mich nicht, dass Sie mir kein Datum genannt haben.
Mich hat meine Antwort auch nicht überrascht.
Herr Cramer, ich muss gestehen, dass ich vor wenigen Wochen noch davon ausgegangen bin, dass wir heute über den neuen Trainer des BVB sprechen können. Warum haben Sie an Edin Terzic festgehalten?
Es passt überhaupt nicht zur BVB-DNA in dieses Hire-and-Fire-Muster zu verfallen. Unsere Stärke ist unser hohes Maß an Kontinuität. Sie haben ja gerade die Personalie Watzke angesprochen, die seit Jahren für Stabilität steht. Ich freue mich, dass wir im Falle unseres Trainers alle zu dem Ergebnis gekommen sind, dass zwei, drei schlechte Ergebnisse keine personelle Veränderung bedingen. Wir sind überzeugt davon, dass wir mit dem Umbau des Trainerteams und der Verpflichtung von zwei neuen Spielern in der Winterpause die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Wir haben dadurch aus meiner Sicht auch mehr Glaubwürdigkeit gewonnen als verloren.
Sollte aber die Qualifikation zur Champions League nicht erreicht werden, wird die Trainerdiskussion von Neuem beginnen.
Ich fürchte, dass allein Sie in Person dazu beitragen. Wir diskutieren intern nicht so offensiv über konjunktivische Negativszenarien, wie Sie das als Medienvertreter tun. Das hört sich nach einer Ausrede an, ist aber so. Dass Sie diese Fragen stellen, ist legitim. Dass wir solche Fragen anders beantworten, ist auch legitim. Wir sind von unserem Weg überzeugt. Schauen Sie mal, was wir hier in den letzten Jahren erreicht haben. Das ist das erfolgreichste Jahrzehnt in den 114 Jahren von Borussia Dortmund. Wir haben uns immer für einen europäischen Wettbewerb qualifiziert, in 12 der letzten 13 Jahre für die Champions League. Wer hat das schon in Europa geschafft? Wir haben übrigens in den vergangenen 24 Monaten in Erling Harland und Jude Bellingham zwei der aktuell besten Fußballer der Welt verloren. Da ist eine kleine sportliche Delle, von der wir noch nicht wissen, wie sie sich auswirken wird, durchaus mal zu verkraften.
Was Sie als Verlust verkaufen, ist doch eine grandiose Transferpolitik: Junge Talente für verhältnismäßig wenig Geld zu kaufen, sie zu Weltstars zu entwickeln und dann für viel Geld wieder zu verkaufen.
Freut mich, dass Sie das auch so wertschätzen. Ich stimme Ihnen zu. Es lässt sich für uns auch gar nicht verhindern, dass uns hier und da der beste Spieler abgekauft wird. Mittlerweile wechseln unsere besten Spieler auch nur noch zu den Top Fünf in Europa und nicht mehr innerhalb der Liga. Das ist eine tolle Bestätigung unserer Arbeit. Aber natürlich ist es so, dass wir uns nach dem Abgang von Jude Bellingham nicht sicher sein konnten, mit der Verpflichtung zweier neuer Spieler diese Lücke sofort adäquat schließen zu können. Wir haben in Erling Halland den Mann mit den meisten Toren verloren, der hat vergangene Saison 50 in England geschossen, und spielen trotzdem bis zum letzten Spieltag um die Meisterschaft. Die Bayern haben Robert Lewandowski auch nicht so einfach ersetzen können. Das gehört zum Geschäft.
Seit der Saison 2023/2024 sind bei der DFL Nachhaltigkeitskriterien Bestandteil der Lizenzierung. Wo und wie präsentiert sich der BVB nachhaltig?
Da lasse ich Ihnen am besten unseren Nachhaltigkeitsbericht zukommen. Nicht, weil ich nicht im Thema wäre, sondern weil ich Ihr Interview mit all den Inhalten nicht sprengen möchte. Nachhaltigkeit ist im Übrigen nicht erst ein Thema bei uns, seitdem es Bestandteil des Lizenzierungsverfahren ist. Ich finde es gut, dass es Teil des Verfahrens ist, denn es ist ein klares Bekenntnis des Fußballs, sich gesellschaftlicher Verantwortung zu stellen. Borussia Dortmund ist durch die Übernahme von Verantwortung entstanden. Die Gründerväter haben von Tag eins an deutlich gemacht, wir müssen mehr tun als nur Fußball spielen. Das tun wir. Wir sind nicht perfekt, aber wir möchten auch auf diesem Terrain aus eigenem Antrieb immer besser werden.
Haben Sie konkrete Beispiele?
Wir positionieren uns klar gegen Antisemitismus und Rassismus. Wir sind in Yad Vashem als einer der größten Geldgeber gemeinsam mit fünf weiteren Unternehmen engagiert und unterstützen die Erweiterung dieser Holocaust-Gedenkstätte. Wir organisieren regelmäßig Bildungsfahrten nach Auschwitz für Mitarbeiter und Jugendspieler und lassen diese wissenschaftlich begleiten. Als erster europäischer Spitzenverein haben wir ein Benefizspiel zugunsten der Ukraine gegen Dynamo Kiew gespielt und eines für die Flutopfer im Sauerland. Wir haben unser Stadion als Corona-Impfzentrum zur Verfügung gestellt. Wir haben schon seit 2011 eine riesige Photovoltaikanlage auf unserem Stadiondach. Damals hat noch gar keiner darüber gesprochen. Jetzt schmücken sich alle damit, dass sie Solarpanel auf ihre Dächer kleben. Wenn ich dann noch schaue, was wir in dieser Stadt für die Menschen leisten, dann haben wir immer deutlich gemacht, dass wir mehr als ein Fußballverein sind. Das wird wertgeschätzt. Das gibt den Menschen auch den Halt, den es braucht, wenn man eine Meisterschaft verliert.
Mit Sorge blicken wir auf die anstehende Europameisterschaft. Teilen Sie die Sorge, dass für die deutsche Nationalmannschaft auch dieses Turnier sprichwörtlich in die Hose geht?
Ich schaue gerade auf mein Glas hier auf dem Tisch. Das ist halb voll. Ich denke immer positiv. Wir haben es gerade bei der Handball-Europameisterschaft erlebt. Deutschland kann ein richtig guter Gastgeber sein und die Freude im Land auch auf alle übertragen. Die Mannschaft wird sich davon anstecken lassen – und sie ist besser als ihr derzeitiger Ruf. Ich freue mich auf die Europameisterschaft und darüber, dass sechs Spiele davon in Dortmund stattfinden werden. Vielleicht gar ein Achtel- oder Halbfinale mit deutscher Beteiligung.
Die vergangenen Ergebnisse bieten dazu aber keinen Grund zur Hoffnung.
Das ist schwierig einzuschätzen. Wir haben keine Qualifikationspflichtspiele, dann spielen wir gegen hochengagierte Gegner wie Österreich und die Türkei. Gegen Österreich auch noch in Wien und gegen die Türkei in Berlin.
Was auch ein Auswärtsspiel war.
Das sind besondere Gegner, die bewusst den Finger in die Wunde legen. Klar ist man angespannt, und die Ergebnisse wecken keine Euphorie. Ich glaube, wenn es los geht, wissen alle, welche Verantwortung sie haben. Mit dieser Verantwortung entsteht Freude und es wird positive Energie freigesetzt.
Sie wurden Anfang des Jahres mit der Goldenen Peitsche, einer der höchsten Karnevalsauszeichnungen von Münster, bedacht. Sind Sie ein begeisterter Karnevalist?
Nein. Aber um es mit den Worten von Friedrich Merz zu sagen: Eine gewisse Brauchtumspflege gehört dazu. Ich komme nun mal aus Münster und dort hat der Karneval einen gewissen Stellenwert. Wenn man mit solchen Auszeichnungen konfrontiert wird, die ja auch ein Zeichen von Wertschätzung sind, dann nehme ich die nicht nur pflichtbewusst entgegen, sondern freue mich.
Sie leben ja auch noch privat in Münster. Was spricht gegen ein Haus mit Blick auf den Signal Iduna Park?
Zehn Stunden habe ich tagtäglich aus meinem Büro heraus einen unverbauten Blick auf den Signal Iduna Park. Zudem habe ich eine Wohnung im Dortmunder Kreuzviertel, die fünf Minuten fußläufig vom Stadion entfernt ist. Mit der Familie hatte ich schon vor meinem Wechsel zu Borussia Dortmund entschieden, dass Münster immer unser Lebensmittelpunkt bleiben wird.
Sind Ihre Kinder leidenschaftliche BVB-Fans oder drücken die Preußen Münster die Daumen?
Natürlich Borussia Dortmund. Aber wie es sich für Kinder gehört, die ihre Heimatstadt lieben, spielen sie dort in ihren Stadtteilvereinen Fußball beziehungsweise Hockey und identifizieren sich mit ihrem Heimatverein. Aber zugegeben, die Fantrikots in den Schränken sind alle schwarzgelb, und bei fast allen Heimspielen des BVB sind sie hier in Dortmund mit dabei.
Was bedeutet Ihnen Rotary?
Ich hatte mir Sorgen um die rotarische Gemeinschaft gemacht, als man mich fragte, ob ich denn nicht Mitglied werden möchte. Wenn jetzt schon der Fußball Einzug in die rotarische Welt hält, was ist dann mit Rotary los. Ich habe mich darüber sehr gefreut. Mein Ziehvater bei Preußen Münster sagte immer, montags von 13 bis 14.30 Uhr bin ich nicht anzutreffen, weil ich immer bei Rotary bin. Ich finde den rotarischen Gedanken sehr lobenswert und die rotarische Freundschaft extrem gewinnbringend. Durch die wechselnden Präsidentschaften sind immer andere Begegnungen möglich. Ich kann darüber hinaus auch andere Rotary Clubs besuchen. Wenn ich im Ausland bin, besuche ich regelmäßig Rotary-Treffen. Ob in Singapur, in den USA oder gelegentlich auch mal bei einem Dortmunder Club – ich nutze die sich bietenden Möglichkeiten. Jederzeit, egal an welchem Ort, willkommen zu sein, gibt mir ein gutes Gefühl.
Sie leben den internationalen Gedanken von Rotary.
Ja, getragen aus meinem beruflichen Kontext.
Das Gespräch führte Florian Quanz.
Copyright: Andreas Fischer
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