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Tübingen

Schwaben im Kaukasus

Tübingen - Schwaben im Kaukasus
Statuette von Katharina II., die die erste Einladung an deutsche Handwerker aussprach © Wikipedia Commons (beide Fotos)

Zur Auswanderung von Deutschen ins Russland des 19. Jahrhunderts – interessante Historie in aktuellem Zusammenhang

Immo Eberl01.03.2018

Im RC Reutlingen-Tübingen hielt Dorothee Kimmich, Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Tübingen, einen sehr interessanten Vortrag über in den Kaukasus eingewanderte Schwaben. Neben den USA wurde in der zweiten Hälfte des 18. und im 19. Jahrhunderts Russland bis weit in den Kaukasus zu einem Einwanderungsgebiet für Deutsche. Grundlage war eine Einladung der Zarin Katharina II. an deutsche Siedler (1762), die ihr Enkel Alexander I. weiter ausgestaltete.

Neben einer gewissen Abenteuerlust waren das Streben nach einer besseren wirtschaftlichen Situation und die Möglichkeit einer freien Religionsausübung Auswanderungsgründe der damaligen Deutschen. Die Auswanderung begann im Raum Tübingen, Reutlingen, Urach und dem Remstal 1816 mit den ersten 40 Familien aus Schweikheim. Insgesamt haben sich in Transkaukasien rund 500 Familien mit erheblichen Schwierigkeiten niedergelassen und dort Ortschaften wie Elisabethtal, Katharinenfeld, Marienfeld (alle heute Georgien) und Helenfeld, Annenfeld und Georgsfeld (alle heute Aserbaidschan) gegründet.

Alexander I., Russland, G. Dawe, Gemälde, Commons on Wikipedia
Gemälde von Zar Alexander I., der die Einwanderungspolitik von Katharina fortführte

Neben den deutschen Einwanderern kamen auch Schweizer, Holländer und Italiener nach Transkaukasien. Auch damals gab es bereits Schlepper, die es auf das Geld der Auswanderer abgesehen hatten. Die russischen Zaren waren aber nur an Einwanderern interessiert, die Qualifikationen als Handwerker und Landwirte besaßen und dazu noch verheiratet waren.

Die Entscheidungen auszuwandern wurde durch das von der russischen Regierung bereitgestellte kostenlose Land, Reisegeld, eine steuerfreie Anlaufzeit und zinslose Kredite für den Hausbau und eine Gesundheitsversorgung gefördert. Dazu kamen die Garantien der Selbstverwaltung, der Befreiung vom Militärdienst und die freie Religionsausübung, die für die schwäbischen Pietisten (Chiliasten) besonders wichtig war.

Durch den Ersten Weltkrieg änderte sich die Situation für die wenig integrierten Auswanderer. Nach Enteignungen, stalinistischen Erschießungen und Deportationen erfolgte die Rückwanderung am Ende des 20. Jahrhunderts als "Russlanddeutsche". Der Vortrag brachte das Geschehen im Kaukasus in einen eindrucksvollen Zusammenhang mit den derzeitigen Vorgängen und Diskussionen in Deutschland: Geschichte als Gegenstand der Forschung, aber auch als Information für die Gegenwart und ihre Probleme. 

Immo Eberl
Immo Bernhard Eberl, geb. 1947, Studium an der Universität Tübingen (Geschichte, Germanistik, Kirchenrecht und Rechtswissenschaft - M.A.). Später Erstes Staatsexamen in Geschichte und Germanistik. 1976 Promotion und Habilitation zum Dr. phil. habil. Ernennung zum apl. Professor 1990. Arbeit an der Uni Tübingen, unter anderem am Historischen Seminar, Abteilung für mittelalterliche Geschichte sowie als Geschäftsführer des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde. Tätigkeit als Leiter des Stadtarchivs Ellwangen (Jagst) bis 2015; nebenamtlich Leiter der Volkshochschule Ellwangen. Bis heute Lehrtätigkeit an der Uni Tübingen, an der Hochschule für Politik München, der Phil.-Theol. Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz im Wienerwald.
Mitglied im RC Ellwangen seit 1994, Club-Präsident 2009/2010, Paul-Harris-Fellow. Verheiratet, ein Sohn. 2017 bis 2020 war er Distriktberichterstatter in D1830.