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Erinnerungskultur im Grenzland

Stelen für die Schicksalsorte

Erinnerungskultur im Grenzland - Stelen für die Schicksalsorte

Rotary, Bund Naturschutz und das Grüne Band: Eine Verbindung, die auch auf Erinnerungskultur setzt. In der bayrisch-sächsisch-böhmischen Grenzregion soll am 23. September die erste von elf Erinnerungsstelen gesetzt werden – zur Mahnung an Zeiten des Leids und der Menschenverachtung, die nie zurückkommen mögen.

Kerstin Dolde15.09.2025

Als Berlin noch getrennt war zog sich auch eine Mauer quer durch Deutschland, trennte Ost von West. Im Zuge dieser Grenzziehung ist viel Leid geschehen, Familien verloren ihre Heimat oder den Kontakt zu nächsten Verwandten – noch heute berichten Zeitzeugen von schlimmen Geschichten.

Mit der Grenzöffnung im Jahr 1989 war die traurige Zeit glücklicherweise vorbei – auch im Dreiländereck der   Freistaaten Bayern, Sachsen und Thüringen. Doch wie kann man die Erinnerung an diese Schicksalsorte, an die  Zeit von Trennung und Eisernem Vorhang der Nachwelt zur Mahnung am Leben erhalten? Dietmar Kühn aus Posseck im Vogtland und Peter Stehr aus Regnitzlosau im Landkreis Hof hatten eine Idee: Sie wollten die Region entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze mit Erinnerungstafeln bestücken, die an den ehemaligen Kolonnenwegen am heutigen Grünen Band aufgestellt werden sollen.

"35 bis 40 Kilometer auf dem Grünen Band, vom Dreiländereck bei Oberprex bis zum Drei-Freistaatenstein bei Feilitzsch können wir privat stemmen", erzählt Peter Stehr. Rotary Clubs aus Hof und Oelsnitz haben dies möglich gemacht. Am 23. September 2025 um 16 Uhr wird bei Papstleithen der Startschuss für den Erinnerungslehrpfad "Schicksalsorte" fallen. Die erste Tafel des Lehrpfades, die speziell an die Zwangsmaßnahmen nahe des Dreiländerecks zwischen Sachsen-Böhmen und Bayern zwischen 1952 und 1974 erinnert, wird dabei feierlich eingeweiht.

Nahe der ehemaligen Zollhäuser wird die erste Tafel stehen, die nicht nur über Geschichtliches, sondern auch Wichtiges zu Flora und Fauna informiert, schließlich ist auch der Bund Naturschutz in Bayern mit im Boot. Die Information erfolgt nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Tschechisch.

"Der ehemalige Grenzverlauf zwischen Sachsen und Bayern beziehungsweise Sachsen und der ČSSR, wurde nach Gründung der DDR 1949 durch Grenzsicherungsanlagen in Form eines Schutzstreifen ins Landesinnere zur damaligen DDR angelegt", erklärt dazu Peter Stehr. Ansiedlungen, Weiler, Vorwerke oder Gehöfte, die sich in unmittelbarer Nähe zu den Grenzsicherungsanlagen befanden, wurden geräumt und abgerissen, geschleift, wie es damals hieß. Deren Bewohner wurden ohne Rücksprache mit den Betroffenen ins Hinterland der DDR zwangsumgesiedelt. 

Binnen weniger Stunden, manchmal auch bis zu wenigen Tagen, mussten die Bewohner der abzureißenden Anwesen ihre Habe zusammenpacken und wurden dann mit Lkws in andere Unterkünfte gebracht. "Menschen, die bis dahin in einer jahrhundertelang gewachsenen Kulturlandschaft lebten und privaten Besitz hatten, meist ländliche Anwesen, wurden ihres privaten Eigentums beraubt", berichtet Stehr. Die Anwesen wurden danach dem Erdboden gleichgemacht.

"Unser Projekt möchte genau an diese Zwangsumsiedlungsaktionen 1952, Aktion Ungeziefer genannt, 1961 (Aktion Kornblume) und 1974 erinnern und den betroffenen Menschen eine Bühne geben." Erinnert werde dabei an Orte, bei denen vieles dem Erdboden gleich gemacht wurde: Pabstleithen (44 Anwesen), Hammerleithen (gesamter Ort mit sieben Anwesen), Gräben im Tal, Ober- und Unterwieden (zwölf Anwesen), Zollhäuser (Posseck, zwei Anwesen), Schüttermühle (Posseck, ein Anwesen), Hasenreuth (zwei Anwesen), Troschenreuth (gesamter Ortsteil), Blosenberg, Markusgrün (ein Gutshof), Kandelhof, Gutenfürst, Stöckigt (zwei Anwesen).

Achim Hager, Präsident des RC Hof-Bayerisches Vogtland, und Ralph Müller, Präsident beim RC Vogtland Schloß Voigtsberg, hatten im Jahr 2023 die Idee für ein gemeinsames, grenzüberschreitendes Projekt. Ein Kulturlehrpfad sollte es werden – und so wurde der Kontakt über das Landratsamt im Vogtlandkreis geknüpft. Dort wusste man um die Pläne von Peter Stehr und Dietmar Kühn – und schnell wurde man sich einig. "Mit dieser Unterstützung hätten wir nie gerechnet", freut sich nun Peter Stehr über die kräftige Finanzspritze, die die Erinnerungstafeln möglich machte.

Elf Informationstafeln sind angefertigt, die an den betroffenen Stellen am Kolonnenweg aufgestellt werden, um den Besucher einen erlebbaren Eindruck zu vermitteln. Der Kolonnenweg, einst Postenweg der DDR-Grenztruppen, ist heute der einzige Weg durch das Naturschutzgebiet "Grünes Band", das 1989/90 in Hof gegründet wurde. Das "Grüne Band" mit dem Kolonnenweg und die Geschichte der ehemaligen innerdeutschen Grenze sind bereits untrennbar miteinander verbunden und bilden in ihrer Gesamtheit heute, eine "Natur-Historische-Route" quer durch Deutschland.

"Es ist eine Folge des Todesstreifens", sagt Ralph Müller. Und: "Es darf nie mehr so ein Wahnsinn geschehen." Gemeinsam mit seinem Präsidenten-Kollegen Achim Hager  freut er sich auf die Einweihung am 23. September in Pabstleithen. Alle Bürgermeister der deutsch-tschechischen Anrainergemeinden werden dabei sein. Alle eint ein Ziel, wie Peter Stehr betont: "Wir wollen den Menschen, die viel Leid erfahren haben, 35 Jahre nach Grenzöffnung eine Bühne und ein Gesicht geben."

Kerstin Dolde
Kerstin Dolde ist Journalistin und arbeitet zurzeit als Verantwortliche Redakteurin für Regionales bei der Frankenpost. Seit Januar 2011 steht sie zudem als Leseranwältin des oberfränkischen Medienhauses den Leserinnen und Lesern als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Von 2005 bis Mitte 2020 war sie als Distriktberichterstatterin für D 1880 unterwegs.