Der Papst im Deutschen Bundestag
Die Intoleranz der vermeintlich Toleranten
Bemerkenswert, dass ausgerechnet Martin Luther die angemessene Referenz scheint, um die Kontroverse um die Rede des Papstes im Deutschen Bundestag zu kommentieren. Denn der Wittenberger Reformator war es, der das Wort „tollerantz“ in die deutsche Sprache einführte. Luther war dabei der Meinung, dass Toleranz das Gegenteil von In-differenz ist, einer Haltung also, bei der dem sie Einnehmenden am Ende alles gleich-gültig ist. Anders als Gleichgültigkeit fiele Toleranz selten leicht und könne darum nur durch die Erfahrung ertragen werden, dass Gott selbst es ist, der uns erduldet und erträgt. Der Reformator betonte ganz ähnlich wie der Papst bei seinem Deutschlandbesuch, dass gerade Fragen religiöser Toleranz im politischen Raum mit nicht verhandelbaren Wahrheiten zu tun haben, und diese Fragen gelte es im Konfliktfall zu ertragen und zu erdulden – der Augsburger Religionsfrieden von 1555 stieß mit genau diesem Gedanken das Tor zur Religionsfreiheit auf. Bei der Rede des Papstes im Deutschen Bundestag haben das knapp 80 Abgeordnete offenbar komplett missverstanden; nämlich jene, die der Rede des Papstes fern blieben, um „ein Zeichen zu setzen“. Da der Papst vom Ältestenrat des Parlaments, in dem alle Fraktionen vertreten sind, eingeladen wurde, müssen sie sich die Frage gefallen lassen: ein Zeichen wofür oder wogegen? Gesetzt haben sie vor allem ein Zeichen ihrer Unkenntnis dessen, was sich da vollzog: Sie verwechselten offenbar die Rede eines Staatsoberhauptes mit der Messe eines Priesters. Nun mögen manche einwenden, dass es insgesamt problematisch sei, wenn fremde Staatsoberhäupter im Deutschen Bundestag das Rederecht ausüben. Dem ist zu entgegnen, dass bei anderen „lupenreinen Demokraten“, die schon als Staatsoberhäupter im Bundestag vortrugen, die Sitze gerade derjenigen, die dieses Mal nicht erschienen, voll besetzt waren. Warum also nicht beim Papst? Weil diejenigen, die dessen Argumente gar nicht hören wollten, offenbar dem Papst nicht etwa in-different, also gleich-gültig gegenüberstanden, sondern aus dem Recht auf ihre negative Glaubensfreiheit gemäß Artikel 4 GG abzuleiten meinten, auch die Freiheit jener boykottieren zu dürfen, die es für angemessen hielten, einen deutschen Papst zum ersten Mal in der Geschichte in ein deutsches Parlament einzuladen. Die vermeintlich Toleranten unserer Tage berufen sich gern auf das Wort Rosa Luxemburgs, dass Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden sei. Der Papstbesuch hat jedoch gezeigt, dass sich in den letzten Jahren ein bedenkliches und wachsendes Klima der Religionsfeindlichkeit etabliert hat. Diejenigen, die einst für sich reklamierten, nicht glauben zu wollen, wollen jetzt offenbar anderen vorschreiben, nicht glauben zu dürfen. Doch einen neuen, religionsfeindlichen Kulturkampf braucht in Deutschland niemand.
Univ.-Prof. Nils Ole Oermann, RC Stendal, lehrt Ethik mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik in Lüneburg und Oxford. Von 2002 bis 2020 hat er für und mit Wolfgang Schäuble gearbeitet und war der persönliche Referent von Bundespräsident Horst Köhler.
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