Peters Lebensart
Ein populäres Plagiat
Vom Kalb, hauchdünn, mit knuspriger Panade – so geht Wiener Schnitzel. Aber warum eigentlich „Wiener“?
Das politische Berlin hat eine Lieblingsspeise. Nicht wirklich die Currywurst, in die einst Zigarren-Kanzler Schröder so publikumswirksam volkstümlich biss. Sondern ausgerechnet das Wiener Schnitzel, das man sich im Borchardt am Gendarmenmarkt oder beim Ottenthal in der Kantstraße panieren lässt. In Wien schwankt man da zwischen Empörung und Verwunderung. Können die Preußen das? Dürfen die Preußen das?
Ob sie’s können, sei dahingestellt. Zwar werden die deutschen Kneipen selten, in denen das autochthone Friteusen-Jägerschnitzel mit braunen Tütensaucen verklumpt wird. Nicht wenige Berliner Gastronomen haben offensichtlich einträchtig mit Touristen aus der ganzen Welt vorm Figlmüller, wenige Schritte entfernt vom Stephansdom, Schlange gestanden, um Wiens populärstes Schnitzel zu genießen – und nachzuahmen. Das gelingt nicht immer – die Fleischlappen sind meist ebenso hauchdünn und elefantenohrgroß geklopft, aber dass man dann vor allem bei Kalb eine kräftige, aromatische Fleischqualität wählen muss, die sich gegen die dicke Panade behauptet, scheint vielen nicht aufgegangen zu sein. Einige wenige kriegen es auch so meisterhaft hin, dass man sich den Flug nach Wien sparen kann. Nicht ganz verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Österreicher einst wesentlich daran beteiligt waren, der deutschen Hauptstadt kulinarische Hauptstadtmanieren einzuhauchen: Vom ausgewanderten Wiener Zuckerbäcker Kranzler bis zur Kaffeehauskultur des Einstein, von der Paris Bar bis zum Polit-Asylanten und Aktionskünstler Ossi Wiener, dessen Tochter Sarah die Szene bespielt. Nur so viel: Das in Butterschmalz pfannengebratene Wiener vom Borchardt geht jedenfalls auf wie Donauwelle, wie der steirische Experte Johann Lafer lobend sagen würde.
Und dann wäre da noch die knifflige Frage, wann das Wiener Schnitzel eigentlich zum Wiener wurde? Die beliebteste Legende ist, dass der in Mailand stationierte Feldmarschall Radetzky die panierte costoletta alla milanese (mit Knochen!) so schätzte, dass er das Geheimnis einem Habsburger Hofkoch zuflüsterte. So blieb als kostbarstes, sinnlichstes Erbe des italienischen K. u. k.-Reiches das Schnitzel! Zu schön, zu ess-romantisch, um wahr zu sein. Schon 1790 beschreibt ein Osttiroler Kochmanuskript das Rezept als Kälbernes Schnitzel. Die Verbindung mit Wien dürfte über das kulinarische Wahrzeichen der Donaumetropole, das Backhendl, gelaufen sein. Paniert, das war auch im Kochfranzösisch einfach à la viennoise.
Begünstigt wurde das Schnitzel durch Markt- und gesellschaftliche Trends. Die westungarischen Ochsenherden machten Kalbfleisch billig, die Weizenfelder Mährens feines Weißgebäck, das man zu Panierbröseln zerrieb. Die durch Panade gestreckte Einzelportion passte perfekt zur neuen, sparsamen bürgerlich-individuellen Esskultur. Dass das Wiener Schnitzel zum Lieblingssonntagsessen der jüdischen Bevölkerung der Donaumonarchie avancierte, mag dazu beigetragen haben, für echtes Wiener auf Kalb zu insistieren.
Preiselbeeren zum Schnitzel sind kulinarischer Landesverrat, ätzte der Josefstadt-Regisseur Otto Schenk gegen Tirol und Salzburg und ließ nur die Zitronenscheibe zu. Beim Borchardt verrät man. Mit Preiselbeeren, Kapern und Sardelle. Wieso?
Ganz einfach, die salzigen Komponenten bilden die in Wien unbekannte „Wiener Garnitur“, die von
französischen Köchen komponiert wurde, um das zu schlichte Schnitzel aufzuhübschen. Im hugenottischen Berlin schielt man kulinarisch eben auch nach Paris.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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