Peters Lebensart
Kann denn Essen Sünde sein?
Fasten ist heute mehr ein Lifestyle denn ein religiöses Statement.
Fastenbrechen in der Quadragesima, Fleischessen in den 40 Tagen zwischen Karneval und Ostern. Der heilig gesprochene Kaiser Karl der Große verstand da keinen Spaß. 785 verkündete er für diese Sünde die Todesstrafe wegen heidnischer „Verachtung des Christentums“.
Gut, dass wir in Europa nicht mehr in so fundamentalistischen Zeiten leben. Fastenvorschriften waren kein Zuckerschlecken in einer Epoche schwerer körperlicher Arbeit. Fast die Hälfte der Woche galt damals als Fastentage: jeder Mittwoch, Freitag und Samstag, außerdem war eine zweite 40-tägige Fastenzeit im Advent zu beachten, neben Fleisch war auch Butter und Milch untersagt.
Warum das alles? Um es Christus oder Johannes dem Täufer gleichzutun, die sich 40 Tage in der Wüste kasteiten. Luther sollte sich entschieden gegen diesen Zwang zu religiösen Rekorden aussprechen: Einen Gedanken des mittelalterlichen Theologen Abälard aufgreifend, fragte er, worin der Verzicht läge, wenn man sich an luxuriösen Fischmählern aufgeile? Und überhaupt sei Gott nicht durch Werkegerechtigkeit zu erpressen und deswegen Fasten allenfalls Privatsache. So wurde Fasten zum distinktiven Merkmal, das die Konfessionen schied. Und – auch wenn das nicht ursprünglich intendiert war – der katholischen Küche einen Gourmet-Vorsprung bescherte. Denn nun mussten Köchinnen und Klosterbrauereien verlockende Alternativen zum verbotenen Fleisch kreieren. Bockbier und böhmische Mehlspeisen sind stärkende Leckereien, geboren aus dem Verzicht.
Heute, wo selbst in katholischen Krankenhausmensen schon mal freitags ein Fleischgericht auf dem Plan steht, ist Fasten wieder hochaktuell. Allerdings herrscht babylonische Begriffsverwirrung darüber, was der Begriff bedeutet. Gar nichts essen und trinken, wenig essen und trinken, auf Alkohol verzichten? Oder sich lehrmeinungsgetreu an christliche, jüdische, islamische oder buddhistische Fastenregeln halten? Also etwa Fleisch essen, aber nicht tagsüber? Starkbier trinken und fette Aale essen, aber auf tierischen Magermilch-Joghurt verzichten? Auch längst vergessene theologische Diskussionen werden nun in Diät-Blogs diskutiert: Bricht Schokolade das Fasten?
Jeder scheint etwas anderes darunter zu verstehen, was man auch als Emanzipation vom religiösen Gehorsam hin zum spirituellen und körperlichen Erlebnis deuten kann. Fasten ist heute weitgehend ein individueller Akt, der gut zu gesellschaftlichen Moden wie Konsumverzicht oder Veganismus passt. Mit dem wir Hoffnungen auf Reinheit, Fitness, ganzheitliche Entschlackung verbinden. Fasten bedeutet für die meisten: säkulares Wellnessfasten oder neudeutsch Bodyshaping. Essen ist wieder Sünde, aber gegen den eigenen Köper. Wir verzichten auf Speisen, um schlanker, attraktiver, sportlicher und damit auch erotischer zu wirken – eine fast schon subversive Umdrehung theologischer Fastendoktrinen.
In unserer übergewichtigen Gesellschaft tut es vielen gut, je nach Durchhaltevermögen Askese zu üben, wenn man auch das Gespür fürs rechte Maß behalten und sich keine Wunderheilung davon versprechen sollte. Siddharta, der härteste aller Faster, der seine tägliche Nahrung auf ein Reiskorn reduziert hatte, sodass sein Rückgrat sich stachlig durch die Bauchhaut abzeichnete, erkannte, dass radikales Fasten ein Irrweg ist. Erst als er die neurotische Fixierung aufs Nicht-Essen nicht mehr zum Hauptzweck seines Lebens erklärte und sich entspannt ein Bäuchlein wachsen ließ, war er seelisch reif, als Buddha erleuchtet zu werden.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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