Peters Lebensart
Fleisch kulturhistorisch aufgeschnitten
Weniger ist oftmals mehr – und Ethik in der Ernährung mitunter heuchlerisch
Ein Denkmal deutscher Metzgerskunst wackelt: Rügenwalder Mettwurst gibt’s jetzt auch vegan. Vor Kreuzberger Imbissbuden mit Gemüse-Döner bilden sich lange Schlangen. Insektenkochkurse, Umweltbewegte und Ernährungsberater machen uns abschreckende Umwelt- und Gesundheitsbilanzen auf – fast wäre den Grünen geglückt, was sich die katholische Kirche kaum noch traut: Fleischfreie Veggie Days in deutschen Kantinen einzuführen.
Kein Zweifel, Fleisch, einst die Krone schlaraffischer Freuden, steht auf dem Prüfstand. Zu Recht, wenn man sich die Lebensbedingungen der meisten Fließband-Schlachttiere ins Bewusstsein rückt. Kann man wirklich guten Gewissens Käfighühner oder mit Fisch- und Knochenmehl vollgepumptes Rindfleisch essen? Und Ethik mal beiseite: Schmeckt das? Reagieren wir nicht bigott? Essen Salat mit ach so gesunden Streifen von Putenbrust aus Massentierhaltung, aber lehnen aus ethischen Gründen die Jagd ab, obwohl das Wild im Gegensatz zu seinen zahmen Artgenossen bis zum Blattschuss ein freies, artgerechtes, ungequältes Leben führen durfte.
Natürlich hat Fleisch eine uralte Jäger- und Macho-Tradition, an die ein Männermagazin wie Beef mit Eye-Catcher-Fotos von fettmarmorierten Riesensteaks erfolgreich anknüpft. Aufschlussreich, dass antike Ärzte Impotenten zu reichlich Fleischkonsum rieten – was im Umkehrschluss christliche Fastenaskese sehr beflügelte. Der gichtige Karl der Große soll sich fürchterlich aufgeregt haben, als sein Leibarzt ihm empfahl, sich weniger an Grillfleisch zu laben. Ältere können sich noch an die Geschichten aus Arbeiterhaushalten der Schwarzmarktzeit erinnern. Das ergatterte Paar Bratwürste wurde nach folgendem Schlüssel aufgeteilt: eine ganze für den malochenden Vater, eine halbe für Mutter, der Rest für die Kinder. Spannend wird’s auch in Asien. In der traditionellen indischen Gesellschaft, deren brahmanische Oberschicht strikt auf Vegetarismus hält, stärken sich die Kshatriyas der rajasthanischen Kriegerkaste an üppigen Tandoori-Fleischspießen. Es ging auch anders: Die Samurai, Japans männerbündlerischer Schwertadel, kräftigten sich jahrhundertelang nur mit Fisch, Früchten, Getreide, Gemüse, bis 1853 die USA die Öffnung des Landes erzwangen – und die Sitte, (Wagyu-)Rind zu verspeisen, einführten.
Zurück in die Gegenwart, zurück zu Zukunftsvisionen. Die Utopie Fleisch täglich für alle ist bei uns längst banaler Alltag. Ein Kilo Schweinekotelett kostet oft weniger als ein Kilo Tomaten. Aber wir zahlen einen Preis dafür. Wir haben Qualität und Genuss ebenso wie den Respekt vor der Kreatur, die ihr Leben für unsere Speise opfert, kaputtgemacht.
Sagen wir’s offen. Wenn wir uns langfristig eine positive Einstellung zum Fleisch erhalten wollen, müssen wir uns an der kulinarischen Weisheit der Vergangenheit orientieren. Weniger Fleisch essen, dafür besseres. Das gibt es: Salzwiesenlamm, Weidegänse, frei laufende Hühner, alte Rinderrassen, die auf Almwiesen grasen. Das kostet mehr als Quälfleisch, aber es ist es wert. Und wenn wir unsere heutige Luxusfixierung auf möglichst fettfreie Filets überdenken, ist das nicht nur nach dem No-Waste-Prinzip, sondern auch für Geldbeutel und Gaumen erfreulich. Aus billigen Zuschnitten wie Rippchen, Brustkern oder Markknochen lassen sich köstliche Brühen und Schmorgerichte simmern.
Verzicht kann schmecken, wenn man sich als Carnivore auf den Einfallsreichtum der aktuellen Gemüseküche einlässt und Fleisch wieder als kleinen Luxus zelebriert!
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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