Das Traditionsgetränk der Weinachtszeit
Süßer die Weine nie glühen...
Alle Jahre wieder, alle Jahre früher öffnen unsere Adventsmärkte – und wir kultivieren das probate Ritual des Glühweintrinkens
Die kollektive Einnahme von Glühwein kann die dröge Atmosphäre eines Firmenumtrunks zum Outdoorvergnügen mit romantischem Hüttenzauber adeln, sportlichen Après-Ski-Touch evozieren oder einfach den Novemberblues bekämpfen. Glühweinbuden haben sich zu Hotspots unserer „adventlichen Partymeilen“ entwickelt.
Seltsam, aber in unserer figur- und diätbewussten Gesellschaft scheint zuckersüßer Glühwein einen Du-darfst-Sonderstatus zu genießen.
Denn ehrlich gesagt, der Heißtrunk hat partiell einen verheerenden Ruf – und Sommeliers, die zum Testen die Republik durchqueren, schwärmen von neu entdeckter handwerklicher Gewürzfinesse, monieren aber auch vorfabrizierte, klägliche Massenware.
Der Tetrapackwein hat eine ruhmvolle Vorgeschichte. Seit homerischen Zeiten versetzten die Griechen ihren Rebensaft im Mischkrug mit Kräutern, um ihn so haltbarer und schmackhafter zu machen. Eine Vorstellung der sensorischen Aromenvielfalt liefert nicht nur moderner Vermouth, sondern auch ein zur Nachahmung reizendes Rezept des vorchristlichen Marcus Gavius Apicius für das Getränk conditum paradoxum: Der römische Koch versetzte mit reichlich Honig vermischten Wein mit Pfeffer, Mastix, Lorbeer, Lavendel, Safran und gerösteten Dattelkernen und köchelte den Sud in einem Metallgefäß. Der mittelalterliche Heiltrunk Hypocras trägt den verballhornten Namen des Arztes Hippokrates und kündet vom orientalischen Gewürzluxus der Kreuzzugsepoche: Bis heute wärmt er in Basel zusammen mit Läckerli Silvesternächte auf.
Und dann gibt’s da noch eine Menge konkurrierender Heißalkoholika: „germanischer“ Honigmet und steifer Grog mit Rum, Beerenwein und Glühmost, karamellisiertes Stachelbier oder die gute alte Feuerzangenbowle. Nicht zu vergessen den aus fünferlei Zutaten bestehenden Punsch, den die Briten aus Indien mitbrachten. Eine modische Antwort auf die Image-Probleme von Glühwein ist der Glögg-Hype – im Skandinavier-Trunk zum Lucia-Lichterfest, der gern mit einem Schuss härteren Alkohols aufgepeppt wird, schwimmen Mandeln und Rosinen.
Da ich in Wien studiert habe, habe ich persönlich ein Faible für österreichische Winzer-Glühweine entwickelt. Mein absoluter Favorit ist eins der herrlich altmodischen Holzstandln, die sich zu Füßen der steirischen Wallfahrtsbasilika Mariazell ducken: Bei Brunos Buffet gibt’s puristisch ungesüßten heißen Grünen Veltliner oder Zweigelt, die Zuckerdose steht zur Selbstbedienung (oder Verschmähung) auf dem Tresen. Wenn ich im Schneegestöber des Salzburger Adventstreibens einen Stehplatz in der winzigen Likörstube Sporer in der Getreidegasse ergattere und inmitten heimischer Lodenmantelträger den legendären Orangenpunsch schlürfe, wird mir einfach warm ums Herz.
Wie mir Berliner Freunde posten, genießt die Glögg-Bude auf dem Weihnachtsmarkt der Kulturbrauerei Kultstatus, und auch die schrillen Heißcocktails auf dem Winterdeck am Hamburger Spielbudenplatz finden ihre Fans.
Vor zwei Jahren landete Searcys in London einen Pressecoup mit einem „mulled wine“ aus Champagner, Bordeaux, Cidre und süßem Beaumes-de-Venise, der stolze 60 britische Pfund (knapp 70 Euro) kostet. Und doch, der beste bleibt der selbst gemachte, hausgemachte, der köstlich nach einem Gewürzbouquet von Sternanis oder Zimtrinde, Blutorangen- oder Bergamottschale duftet. Oder, liebe Rotarierinnen und Rotarier, der stimmungsvollste – ich wünsche sehr viel Erfolg beim alljährlichen Benefiz-Glühweinausschank!
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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