Porträt
„Humor ist Tragödie plus Zeit“
Über die deutsche Kabarettszene kann Cartoonist Dirk Meissner nicht mehr lachen. Zum Glück weiß er, was ein guter Gag wirklich braucht
Dirk Meissner ist Cartoonist. Jemand, der uns zum Lachen bringt. Mit wenigen Strichen verleiht er Männern, Frauen, Situationen eine subtile Komik. Manchmal voll auf die Zwölf, manchmal muss man genauer hinsehen, zum Beispiel montags im Wirtschaftscartoon „Meissners Strategen“ in der Süddeutschen Zeitung. „Über die Schwächeren macht man sich nicht lustig, über Manager immer wieder gern“, sagt er. Wer ist dieser Meissner, woher bezieht er seine Inspiration und worüber kann er lachen?
Die Theorie des Witzes
Ein unscheinbares Reihenhaus in Köln-Rodenkirchen, der Künstler öffnet die Tür, und zunächst einmal gibt’s nichts zu lachen. Alles aufgeräumt, kein künstlerisches Chaos, nur Katze Molly und skandinavisch schlichtes Interieur. Meissner ist kein großer Witzeerzähler, er kommt aus der Humortheorie. Seit 2015 ist er Mitglied in der Gesellschaft für Humorstudien, die bei San Francisco ihren Sitz hat. „Das sind ernsthafte Leute“, sagt er, „Sprachwissenschaftler, Philosophen und andere, die sich einmal im Jahr treffen, um die Auswirkungen gegenwärtiger Trends auf den Humor zu diskutieren.“ Das klingt lustig.
In diesem illustren Kreis jedenfalls hielt Meissner einen Vortrag über die Quantentheorie des Witzes, mit dem Schluss, dass man eine Haltung braucht zur Wahrheit, zur Wirklichkeit und zum Witz. „Zur Wahrheit, um authentisch und ehrlich zu sein, zur Wirklichkeit, um nicht großkotzig aufzutreten, und zum Witz, um sich die Selbstironie zu bewahren. So kommt man gut durchs Leben und man ist gar nicht so weit weg von der Vier-Fragen-Probe von Rotary.“ Falle der Witz aus diesem Dreieck raus, so Meissner, dann sei nichts mehr veränderbar, alles werde eindimensional. Der Humorpraktiker Meissner braucht beim Zeichnen zudem eine Inkongruenz zwischen Wahrheit und Wirklichkeit. Denn wären sie deckungsgleich, hätte er keine Möglichkeit, einen Witz zu schaffen.
Meissners Karriere begann vor 32 Jahren, er war damals 14 und verdiente sich mit seinen Cartoons ein paar Taler bei einer Schülerzeitung, seine Eltern ließen ihn machen. Dann studierte er Volkswirtschaftslehre in Köln und lernte von Professor Fels vor allem eines: „Der Mensch ist nicht gut, der Mensch ist nicht schlecht, der Mensch ist schwach." Das, so erkannte Meissner, sei zutiefst humoristisch, weil es keine hohen moralischen Ansprüche an die Menschen stelle: Wenn es Verführungen gibt, lässt er sich verführen. Bis heute profitiert er davon, dass er die Innensicht der Wirtschaftslenker und deren Sprache kennt.
Irgendwann entdeckte Meissner seine Liebe zur Kunst und eröffnete 2007 die Galerie „Der Rote Pinguin“, begann Kunst zu sammeln und sich mit ihr auch humoristisch in seinen Cartoons auseinanderzusetzen. Jüngstes Ergebnis dieser Arbeit ist sein Buch „Sagen Sie jetzt nicht, das ist Kunst“, das 2019 im Schaltzeit-Verlag erschien. „Ich liebe Kunst, aber ich kann auch Witze über sie machen. Das können viele Künstler nicht, die sich zu ernst nehmen.“
Meissner sagt über sich, er sei kein Zyniker, kein Sarkastiker. Oft zeichne er sich und eigene Missgeschicke – das sei am glaubwürdigsten. Etwa in der Küche: „Ich brauche Kochvideos, sonst endet das in einer Tragödie.“ Überhaupt würde er ohne seine Frau verwahrlosen, sagt er. Männer hätten ja grundsätzlich einen Hang zur Verwahrlosung. Zu Aussagen wie diesen passt sein leichter, flüchtiger, schneller Strich, der ebenso schnell kommt und geht wie der Witz selbst.
Die Praxis des Witzes
Ob er über die deutsche Kabarettszene lachen kann? „Eigentlich nicht“, denn sie entferne sich immer mehr vom Humor und werde immer moralischer. „Die können heute nicht mehr so kalauern wie Didi Hallervorden, selbst Böhmermann hat das leichte Hemd des Hofnarren gegen das Kettenhemd des Moralisten getauscht.“ Auch Dieter Nuhr hätte seine Leichtigkeit verloren und wirke „irgendwie angefressen“. Humortheoretiker Meissner begründet das so: „Humor ist Tragödie plus Zeit, und die Zeit, mal über die Welt nachzudenken, nimmt sich keiner mehr. Die Welt dreht sich immer schneller, und indem sich die Menschen immer stärker festhalten, um nicht aus der Bahn zu fliegen, verkrampfen sie. Schauen Sie sich die Cancel Culture an. Die Lockerheit und Gelassenheit sind weg, die Leute halten nichts mehr aus.“
„Witz ist ersparter Gefühlsaufwand“
Was denn dann witzig sei, möchte ich wissen. Meissner sagt: Die größte Freude sei die Schadenfreude. Es reiche aber nicht, wenn der Schreibtisch umfalle, sondern er, Meissner, müsse eine Pointe schaffen. „Ein Witz ist ersparter Gefühlsaufwand. Jede Konversation braucht eine Pointe. Stellen Sie sich ein langes Telefonat ohne Pointe vor – da sind Sie hinterher fertig!“
Meissner mag Jazz und Rosinenschnecken. Was er gar nicht mag, ist Karneval! Und das als Kölner. Ist das nicht witzig?
Zur Person
Dirk Meissner (RC Köln-Rodenkirchen Riviera) lebt und arbeitet als freier Cartoonist in Köln. Nach seinem Ökonomiestudium veröffentlichte er mehrere Cartoon-Bände mit dem Titel „Manager at work“ und „Der letzte Leistungsträger“. Zuletzt erschien sein Jahreskalender 2021 unter dem Titel „Freiheit“. Meissner wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem 2. Preis beim Deutschen Karikaturenpreis 2009. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.
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