Porträt
„Ich bin ein Terrier“
Johanna Hey ist die einflussreichste Steuerrechtlerin des Landes, legt sich mit Großkonzernen an, berät die Politik und liebt klassische Musik.
Johanna Hey gehört nicht zu den Menschen, die sich auf ihrem Erfolg ausruhen. Es gelingt ihr auch nur in den ersten Minuten des Gesprächs, still zu sitzen, dann hält sie nichts mehr, dann ist sie wieder ganz sie selbst. Warum auch nicht? Am langen weißen Esstisch ihres Kölner Hauses, das nur einen Steinwurf vom weitläufigen Stadtwald entfernt liegt, hat sie ein Heimspiel – und gedenkt nicht, sich hier oder irgendwo sonst das Heft des Handelns aus der Hand nehmen zu lassen. Sie redet schnell, gestikuliert, schlägt die Beine übereinander, wirft ihren Oberkörper nach vorne und zurück, fährt sich mit beiden Händen durchs blonde Haar.
Obwohl Johanna Hey schon lange nicht mehr gejagt wird – zu weit ist sie allen anderen enteilt –, ist sie eine Getriebene. Wer sich mit der renommiertesten Steuerrechtlerin Deutschlands über sie und ihren Beruf unterhält, spürt schnell, dass das Feuer in ihr brennt. Das muss schon früher so gewesen sein, sonst hätte die junge Johanna Hey, in Hamburg geboren und in Kiel aufgewachsen, nicht solch eine steile Karriere hingelegt. Dem Einser-Abi am Internat Birklehof im Schwarzwald und dem Jura-Studium mit Prädikatsexamen an der Uni Würzburg folgte mit 31 Jahren die Habilitation in Köln. Und nur ein Jahr später hatte die Juristin ihre erste C4-Professur an der Universität Düsseldorf.
Den Großen das Spiel verderben
Es hätte auch alles ganz anders kommen können, sagt sie, Architektur, Musik, Malerei und Medizin würden sie bis heute faszinieren, aber es kam nicht anders. In Köln traf sie am altehrwürdigen Institut für Steuerrecht auf Joachim Lang, der sie für das Steuerrecht, für dessen politische Bedeutung und Gerechtigkeitsfragen begeisterte. Und es muss wohl auch ein wenig daran liegen, dass Johanna Hey kaum größer ist als 1,60 Meter, dass sie größte Freude daran hat, den ganz großen Playern in der Wirtschaftswelt ihr Spiel zu vermasseln. Denn abgesehen von ihren zwei Kindern beschäftigt sich Hey am liebsten mit Fragen zur Besteuerung großer Unternehmen. Google, Amazon und Ikea, sagt sie, würden es sehr geschickt nutzen, dass das Steuerrecht einzelner Staaten nicht abgestimmt ist. Das ermögliche diesen Großkonzernen, das Steuerniveau gegen null zu senken. Sie kämpft gegen diese aggressive Steuerplanung und verfolgt dabei die Interessen der Staaten, auch die Deutschlands. Seit 15 Jahren sitzt sie im Beirat des Bundesfinanzministeriums.
Wer sich mit Google, Amazon und Ikea anlegt, hat keine Angst in einer Branche, die von Männern dominiert wird. Unter den gut 20 Steuerrechtlern, die an deutschen Hochschulen lehren, war Hey rund zehn Jahre lang die einzige ernst zu nehmende Frau. Das beginnt sich zu ändern. „Zum Glück“, sagt sie. Sie glaubt nicht an die Macht der Netzwerke und das Gebrüll alter weißer Männer. „In der Wirtschaft mag das anders sein, aber so lange man als Frau keine Kinder hat, hat man in der Wissenschaft gute Chancen“, sagt sie. Als sie ihr erstes Staatsexamen mit 24 geschafft hatte, bat sie ihr Repetitor aus Würzburg, auf einer Fachtagung in Hamburg vor 200 Leuten zu sprechen. Sie hatte Bammel, biss sich durch, überzeugte und zog daraus großes Selbstvertrauen. Diesen Mut und weniger Selbstzweifel, das würde sie sich von mehr jungen Frauen wünschen. Dann lacht sie und sagt: „Ich bin ein Terrier“.
Unbeholfene Attacken
Selbst heute noch komme es vor, sagt sie, dass ein Kollege einen blöden Spruch bringt: „Wenn ich eine Frau wäre, hätte ich das auch so schnell geschafft.“ Sie reagiert auf solch unbeholfene Attacken so, wie man reagiert, wenn man weiß, dass einem der Aggressor nicht auch nur im Entferntesten das Wasser reichen kann.
Mit einem müden Lächeln. Sie ist es, die mehrmals im Jahr zu Gastvorträgen an die Universität nach New York geholt wird, sie ist es, die Politikern und dem Volk in Talkshows die Welt der Steuern erklärt, sie ist es, die sofort an die Unis in Berlin oder München wechseln könnte, wenn sie wollte. Will sie aber nicht, denn ihre Kinder sind mittlerweile in Köln verwurzelt, und der Blumenhändler auf dem Wochenmarkt um die Ecke würde sie vermissen.
Von Klee, Fisch und BMW
Ihre vielfältigen Interessen hat sich Johanna Hey bis heute bewahrt und mag sich nicht auf ein Genre festlegen. Sie liebt die Werke von Paul Klee, aber auch zeitgenössische Kunst und Fotografie, sie spielt Klavier, aber zu selten, sie hört ausschließlich klassische Musik, fährt einen 5er BMW, liest gern Krimis, hat keine Freizeit, kocht aber gern, vor allem Fisch, und ihr fehlt der Blick aufs Meer. Sie beschreibt sich als total unsportlich, neugierig, resilient und ungeduldig, als alltagstauglich, schnell und wendig. „Aber ich bin mir meiner persönlichen Grenzen sehr bewusst“, sagt sie, und ergänzt, dass sie gern „tiefer wäre, ein tieferes Wissen hätte“. Sie lacht, wirft ihren Oberkörper nach vorn, nach hinten, fährt sich mit beiden Händen durchs Haar, sieht auf die Uhr, steht auf und sagt, sie müsse nun für ihre Kinder kochen. 80 Stunden Arbeit pro Woche, aber an dieser Stelle ist sie kompromisslos. War sie immer.
Zur Person
Prof. Dr. Johanna Hey (RC Köln am Rhein) wurde 1970 in Hamburg geboren. Sie ist Direktorin des Instituts für Steuerrecht an der Universität zu Köln. Seit 2008 ist Hey wissenschaftliche Direktorin des Instituts Finanzen und Steuern e. V., seit 2015 geschäftsführende Herausgeberin von Steuer und Wirtschaft, Zeitschrift für die gesamten Steuerwissenschaften.
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