Kobe-Rinder
Marmorierter Mythos
Jedes Jahr werden in Deutschland und Österreich Millionen Schweine, Hühner, Enten und sonstige sogenannte Nutztiere gehalten und geschlachtet. Die dabei herrschenden Bedingungen wurden bis dato kaum diskutiert. Doch in jüngster Zeit rücken Tierhaltung und Tierschutz verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Nachdem Mitte Juli eine Fernsehdokumentation enthüllte, wie dramatisch die Zustände in manchen Massentierhaltungsbetrieben sind, wurde das Thema zum Politikum. Die Beiträge des August-Titelthemas widmen sich den Lebensbedingungen der Vierbeiner in unseren Ställen – und diskutieren dabei auch, ob Tiere eigene Grundrechte haben.
Der Preis ist Fakt, aber die Sonderbehandlung im Stall dürfte auf Mythenbildung beruhen. Fett lagern Tiere nun mal am zuverlässigsten ein, wenn sie sich möglichst wenig bewegen. Folglich verbringen die meisten Luxusrinder ihr Leben in Anbindehaltung – für eine Bergkuh, die einst für ihre Wendigkeit auf steilen Reisterassen berühmt war, nicht gerade ideal. Dafür gibt es garantiert keine Antibiotika, reines Quellwasser, Vorzugsfütterung und längere Lebenszeit. Der köstliche Wohlgeschmack und der hohe Anteil an gesunden ungesättigten Fettsäuren dürfte eher auf Rassenspezifika als auf Musiktherapie und Wellnessprogramm zurückgehen. Letzten Endes geht es um konsequent biologische Haltung einer alten, eher kleinwüchsigen Nutztierrasse.
Wieso dann die Legendenbildung einer extensiven, ja fast vermenschlichten Tierpflege? Die könnte durchaus in westlichen Köpfen als diffuser Abglanz der tausendjährigen vegetarischen Tradition Nippons entstanden sein. Seit der Regierung des Tennos Temmu im 8. Jahrhundertwurden buddhistische Tierschutzvorstellungen in strenge Gesetze gegossen, die bis zur erzwungenen Öffnung der Insel im Jahre 1853 galten. Erst mit der Meiji-Periode (1868-1912) wurde Fleischessen zum Symbol einer bewussten Verwestlichung, erst damals entdeckten zunächst britische Kaufleute, wie exzellent Rinder aus dem Hinterland des Handelshafen Kobe schmecken. Freilich: Heute noch den Japanern mit ihren Shabu-Shabu-Töpfen einen erhöhten Respekt vor dem Schlachtrind zuzuschreiben, dürfte romantische Projektion sein. Hier geht es viel eher um das patriotische Nahrungsprinzip reinster einheimischer Produkte – und vielleicht um die Ästhetik des marmorierten Fleischanschnitts.
Exportiert werden ohnedies nur minimalste Mengen, und das legal auch erst seit 2014. Was hierzulande auf den Tisch kommt, ist fast immer in Deutschland oder im Ausland nachgezüchtetes Wagyu-Rind (ein Sammelbegriff für „japanische Rinder“), das häufig mit anderen Rassen eingekreuzt ist. Etwas preisgünstiger, etwas fettärmer, dafür oft frei weidend.Und auch der scheinbare Musiktrick ist nach Europa geschwappt. Das oberösterreichische Mühlviertel vermarktet mittlerweile recht erfolgreich mit Klassikern im Stall beschallte einheimische „Mozart-Rinder“.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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