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Was Ganztagsschulen leisten

Mehr Förderung - mehr Chancen

Fragen an Dr. Ursula Weier, RC München-Bavaria, Institutsrektorin am Bayerischen Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung, München, zuständig unter anderem für das Thema Ganztagsschulen.

Matthias Schütt16.06.2014

Frau Dr. Weier, die Ganztagsschule ist vermutlich die erfolgreichste Innovation im deutschen Schulwesen der jüngsten Zeit. Woran liegt das?
Viele Eltern müssen oder möchten beide arbeiten. Daher hat sich der Betreuungsbedarf für viele Kinder in den letzten Jahrzehnten sehr verstärkt. Ganztagsschulen tragen mit ihrem Angebot dazu bei, dass sich Familie und Beruf besser vereinbaren lassen. Ganz wesentlich ist aber darüber hinaus, dass sie mehr Möglichkeiten zur Chancengerechtigkeit und individuellen Förderung bieten.

Die Experten unterscheiden gebundene und offene Ganztagsformen. Wo liegt der Unterschied?
Die gebundene Ganztagsschule findet immer in einem festen Klassenverband statt, das heißt in Bayern, dass alle Schüler einer Klasse an mindestens vier Wochentagen bis 16 Uhr in der Schule sind. Offene Ganztagsschulen bieten mehr Wahlmöglichkeiten. Nach dem Unterricht am Vormittag besuchen Schüler, deren Eltern das möchten, die offenen Angebote mit Mittagsverpflegung, Hausaufgabenbetreuung und Fördermaßnahmen, aber auch Sportkursen oder musischen Angeboten. In der offenen Form werden nachmittags keine Lehrkräfte mehr eingesetzt, sondern externe Partner wie Sozialpädagogen, Erzieher oder auch Experten aus Wirtschaft und Kultur.  

Welche Angebote sind aus Ihrer Sicht besser?
Das lässt sich nicht verallgemeinern. Gebundene Ganztagsangebote bieten natürlich viel mehr Möglichkeiten der Rhythmisierung und durch den Einsatz der Lehrkräfte mehr Unterrichtsvielfalt. Besonders bei älteren Schülern ist es aber oft so, dass sie sich am Nachmittag mehr Freiheiten wünschen. Dafür besteht an der offenen Ganztagsschule mehr Wahlmöglichkeit.

Wo sehen Sie die besonderen Vorteile der Ganztagsschulen?
Die Schüler werden nicht nur betreut, sondern in vieler Hinsicht gefördert. Besonders in einer gebundenen Ganztagsklasse wird der gesamte Tagesablauf rhythmisiert. Das heißt, es gibt viel Abwechslung zwischen Unterrichts- und Übungsphasen, aber genauso Pausen, in denen die Schüler Zeit für sich haben oder zum Sport gehen können. Durch das Miteinander mit den anderen Schülern bis zum Nachmittag verbessern sich auch oft ihre sozialen Kompetenzen. Die Lehrkräfte können durch das „Mehr“ an Zeit häufig individualisierender unterrichten. Dazu gehört auch, dass die Schüler zur Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung angeregt werden. Das ist in der offenen Ganztagsschule so nicht möglich, aber auch hier profitieren die Schüler von vielfältigen Anregungen und Angeboten.

Im Konzept der Ganztagsschule setzt die Pädagogik auf die Kooperation mit externen Partnern. Warum?
Durch die Verlängerung des Schultags bis in den Nachmittag greifen Lernen und Leben noch enger ineinander. Mit der Öffnung nach außen kann die Ganztagsschule praxis- und lebensnäher werden. Externe Partner bringen Expertenwissen ein oder unterstützen über Freizeitangebote die individuellen Interessen der Schüler. Dazu tragen auch Rotary-Angebote bei. Bei Rotary finden sich Experten aus vielen unterschiedlichen Berufs- und Lebensbereichen. Außerdem bringen Rotarier auch besonderes Wissen und Können zu vielfältigen Freizeitinteressen mit. Wenn Schüler solche besonderen Menschen kennenlernen und an ihrem Expertentum teilhaben dürfen, ist das mit Sicherheit eine große Bereicherung.

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.