Peters Lebensart
Überraschender Gang in die Heimat
Gibt es etwas Globaleres als Hamburger? Dachte man. Und dann taucht plötzlich eine Edel-Burger-Kette auf, die sich treudeutsch Hans im Glück nennt, ihre Speisekarten mit Märchenbildern verziert und genau deswegen bei einer jungen Stammkundschaft boomt. Ein bisschen mit Spießigkeit kokettieren ist in bei einer Generation, die diese Welt von Gestern nur vom Hörensagen kennt. Vorreiter dieses aufmüpfigen, ironisch inszenierten Heimat- gefühls war das Oktoberfest, das seit den 1990ern eigentlich längstvergessene Trachten und Zöpfe zum Dresscode einer ekstatischen Tischtanzparty macht. Für viele Erben der Generation 68 bedeutet Heimat eben keine Tradition, keine direkte „Weitergabe“, sondern die coole, avantgardistische Neuaneignung des vergessenen Vorgestrigen. Das gilt insbesondere für die Küche – und tut ihr gut. Denn das, was da jahrzehntelang mit Tütensaucen und Fertigklößen als deutsche Hausmannskost tradiert wurde, grenzte an kulinarischen Heimatverrat.
Weltoffener Patriotismus
Der Imagewandel ist allgegenwärtig, vielleicht inspiriert durch die WM 2006, in der sich ein weltoffener und doch fahnenstolzer Patriotismus offenbarte, den viele dieser Nation nicht zugetraut hatten. Ein lange eher mit Heimatvertriebenen, Senioren und dem klagenden Motto „früher“ assoziiertes Tabu-Wort ist zum Modebegriff urbaner Hipster avanciert. Aktuellster Trend: Der politisch korrekte, aber leider mittlerweile ausgeleierte Begriff Regionalküche wird nun gern durch ein provokantes „Heimatküche“ ersetzt. Klingt doch einfach emotionaler! So nennt ein TV-Star mit Zeitgeistgespür wie Tim Mälzer sein neuestes Kochbuch schlicht „Heimat“. Amazon liefert den Jamie-Oliverhaften Kommentar dazu: „ Heimat Deutschland – Bockwurst und Sauerkraut, Präzision und Lederhose? Tim Mälzers Blick auf seine Heimat ist anders und frei von Klischees. Für ihn ist Heimat überall, wo man sich zu Hause fühlt: im Fußballstadion, bei der Familie, am Meer wie in den Bergen, beim Camping, zu Lande und zu Wasser.“
Wirtschaftlicher Gradmesser für die neue Popularität ist das Magazin „Heimatküche“. 2014 erwarb der Burda-Konzern das Heft, das eher auf wertkonservative schwäbische Pilzsammler und Albwanderer zugeschnitten war. Doch jetzt passt der Titel perfekt ins modische Portefeuille.
Winzersekte heißen auf einmal Dicker Fritz statt Frizzante, und Rotkäppchen-Bier ist auch wegen des Etiketts Kult. Könnte das daran liegen, dass in Zeiten, in denen Vorträge Powerpoint-Präsentationen heißen, sich der Prestigegewinn von Anglizismen abgenutzt hat? Zugleich erlebt die Kulinaristik eine nie dagewesene sprachschöpferische Differenzierung. Gourmets und Branche fahnden nach neuen Reizen und Namen, goutieren halbverschollene Rezepte und Speisen – oft verfremdet wie die Yves-Klein-blaugespritzen Geweihe, die in postmodernen Speisesälen hängen.
Nicht immer sind alte und neue Heimat kompatibel. Für die einen ist sie der neuste Ethno-Kick, ja Modegag, für andere ein Herzensanliegen. Nicht nur Alpentäler hängen an der Idee einer „dialektalen“ Küche, deren Rezepte sich von Generation zu Generation vererben. Umgekehrt: Wenn man das Etikett Heimat draufpappt und trotzdem World-Food anbietet, beweist man mit dieser nur scheinbar paradoxen Marketingstrategie die Konjunktur heimatlicher Symbole. Heimat, das ist eben auch kulinarisch ein weiter Schutzmantel.
Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.
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